Märchenstunde: Erfahrungen sinnlicher Natur

Der Finanzsenator hatte in die Austernbar geladen - um aus seiner Kindheit zu erzählen.

Hat sonst wenig für Märchen übrig: Thilo Sarrazin (SPD) Bild: AP

Finanzexperten gelten gemeinhin als so genannte "trockene Schleicher" (Goethe). Was nichts anderes meint, als dass diese Personen - oder besser ausgedrückt Nichtpersonen -, bei denen sich alles ums Geld dreht, keinen Hang zu Humor oder gar Gefühlen, sprich zum Leben, erkennen lassen. Als Prototypen gelten Robert McNamara, Karl Schiller, Hans Eichel, Pedro Solbes, Alan Greenspan u. v. a. Nie sah man sie saufend, ungezügelt oder losgelöst von Sinnen. Dagegen waren sie immer beherrscht. Geld verdirbt eben doch ein bisschen den Charakter.

Ausgerechnet Thilo Sarrazin, ausgerechnet Berlins Finanzsenator, der die Haushaltsschraube in den vergangenen Jahren so eiskalt angezogen hatte, sollte am Montagabend den Gegenbeweis antreten. Nämlich, dass selbst Finanzexperten nicht nur aus Zahlen, Zahlen und nochmals Zahlen bestehen, sondern Menschen sind wie du und ich - und sogar noch mehr.

Lassen wir es einmal dahingestellt, ob "Dieckmanns Austernbar" im Hauptbahnhof der richtige Ort für den Revisionsversuch war. Denn das kleine Restaurant mit Blick auf das Kanzleramt ist alles andere als ein Beichtstuhl für frühe Sünden. Es ist schick, clean, und selbst die roten Vorhänge rufen kein anrüchiges Ambiente in die Erinnerung. Trotzdem. Sarrazin war der Einladung zur Reihe "Kindheitserinnerungen" des Vereins "Märchenland" gefolgt. Promis erzählen da Geschichten aus ihrer Jugend.

Draußen ward es dunkel und los gings, nachdem Sarrazin einen kräftigen Schluck Weißwein tat. Den Finanzmann legte er zwar langsam ab: "Das erste Wort, das ich verstand, lautete Währungsreform, das war 1948. Da war ich drei." Schneller weg dagegen war die Angst, sich zu blamieren: "Als Kind war ich dicklich und langsam. Sport war nicht mein Ding." Die Wege seiner Kindheit in Recklinghausen legte der Arztsohn weniger zu Fuß als vielmehr mit dem "Hartgummireifen-Holzroller" zurück. Der Spielplatz war die Straße, die Kulissen bildeten die Trümmer.

Der kleine Sarrazin hatte zwar mehr als andere Nachkriegskids damals - aber die gleichen Probleme und Ausreißer. "Meine Eltern waren streng, den Hintern gab es öfter voll", erzählte der SPD-Senator. Und, ganz antizyklisch, der Thilo war eine echte Kanone in der Schule. "Als ich ins Gymnasium kam, sackte ich immer mehr ab. Mathe 5, Physik 6, Griechisch 6, Englisch und Latein ne 5. Tja, so kanns gehen."

Es folgten die Ehrenrunde in der Schule und weitere Erfahrungen sinnlicher Natur: "Charlotte, das erste Kindermädchen, das roch streng. Elfriede, unser zweites Mädchen, hatte einen Hang zum Alkohol und wechselnde Männerbekanntschaften. Aber sie hatte einen Fernseher. Die Roswitha schließlich kam aus der DDR und war extrem frech." An mehr Frauengeschichten vor der Pubertät konnte sich der Senator nicht erinnern. Musste er auch nicht. Er hatte ja seinen "Lieblingsteddybären" von Steiff. Den mochte er sehr. "Der liegt noch heute bei uns auf den Dachboden." Und er hatte so ganz und gar nichts mit Finanzen zu tun. "Taschengeld gab es erst mit 18." Glückliche Kindheit.

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