Richtfest: Das Unvollendete

In zwei Jahren soll die Erneuerung des Neuen Museums beendet sein, ab heute steht der Rohbau den Berlinern drei Tage offen. Er zeigt, dass Chipperfields Idee der historischen Collage gelingt: Das Moderne dominiert das Alte nie, es dient ihm.

Lichte Einblicke: Treppenhalle im Neuen Museum auf der Museumsinsel Bild: AP

Das ist sie also, die berühmte Treppenhalle. Backsteinwände recken sich nach oben, die Sonne fällt durch hohe, schmale Fenster, weit über ihnen spannt sich eine Dachkonstruktion aus dunklen Balken. Nicht unähnlich einer Feldsteinkirche, nur viel größer. In der Mitte entspringt David Chipperfields kühl-weiße Treppe: Wie Kaskaden eines gefrorenen Wasserfalls hat sie der Architekt in den Raum gebaut.

Drei Tage lang können sich die Berliner ab heute ein Bild vom Neuen Museum machen, gestern wurde mit Prominenz und Pomp Richtfest gefeiert. "Es ist eine ziemlich schwierige Collage", warnt David Chipperfield vor dem Presserundgang mit feiner Ironie. Manche Dinge sähen unfertig aus, seien aber nicht unfertig, manche sähen fertig aus, seien es aber nicht. Er hat Recht.

Zumal der Umstand, dass das Museum nach wie vor eine Baustelle ist, den Betrachter zusätzlich verwirrt. Erst in zwei Jahren soll es als letztes Schmuckstück die Museumsinsel ergänzen. Im Zweiten Weltkrieg wurde es stark zerstört, an den Säulen der Treppenhalle sind noch Brandspuren zu sehen. Die vielen erhaltenen Fragmente des Originals erhalten und behutsam ergänzen, so lautet Chipperfields Ziel. Beides will sein Entwurf zu einer Ganzheit zusammenführen, in der die Epochen sichtbar sind.

Was für ein Puzzlespiel das ist, zeigen die penibel nummerierten Ornamentstücke, die im Römischen Saal auf einer Arbeitsplatte liegen. Leuchtende Wandmalereien wie die prallen Trauben im Bacchussaal haben die Restauratoren behutsam ergänzt, mit etwas helleren Farben als im Original. So wirkt das Bild komplett, aber auf den zweiten Blick erschließt sich das Ausmaß der früheren Zerstörung.

Chipperfields klare Formen gehen dabei elegant mit Ziegelsteinmauern und Fresken zusammen. Im Apollosaal, der einst hellenistische Gipsstatuen beherbergte, gleitet das Auge ab vom glatten Werkstoff der kühlen Platten, hin zu den Nischen, in denen einst Statuen der römischen Jagdgöttin Diana standen. Das Moderne dominiert das Alte nie, es dient ihm.

Als das vom Schinkel-Schüler Friedrich August Stüler entworfene Museum 1859 eröffnete, galt es als bauliche Chiffre technischen Fortschritts. 2.000 Pfähle hatte man mit Dampframmen in den sumpfigen Grund getrieben, neue Stahlkonstruktionen angewendet. "Es ging darum, zu beweisen, wie gut Preußen war", sagt Chipperfields Mitarbeiter Alexander Schwarz.

Er sieht diese Tradition auch in der Erneuerung verwirklicht: Bis zu zehn Meter groß sind die Teile aus geschliffenem Betonwerkstein mit Stücken thüringischen Marmors, mit denen Chipperfield neue Wände, Räume und Fluchten geschaffen hat, die Fugen messen Millimeter. Seit den alten Ägyptern sei dies nicht mehr möglich gewesen, lobt Schwarz etwas vollmundig. Die Präzision hat ihren Preis: 233 Millionen Euro wird die Erneuerung des Museums kosten.

Eine Journalistin beugt sich im Ägyptischen Hof sehr, sehr vorsichtig über eine Brüstung. Kein Wunder, es geht tief herunter. Vom Boden bis zum Dach aus Milchglas misst der Raum 25 Meter, wie eine schwebende Insel ist jetzt ein Zwischengeschoss eingezogen. "Die Sperrholzwände hier hätten Sie vor der Besichtigung noch streichen können", murmelt ein Fotograf etwas weiter weg. Einen schöneren Beleg für die schwierige Aufgabe, die das Museum den Besuchern stellen wird, gibt es nicht. Wer, wenn nicht ein professioneller Hinschauer, sollte Betonwände als solche erkennen?

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