Kommentar: Die Angst vor dem Wagnis

Die Berliner Grünen sprechen sich gegen ein Grundeinkommen für alle aus - und verabschieden sich so vorzeitig aus der politischen Reformdebatte.

Die wachsende Armut in der Bundesrepublik ist nicht mehr nur ein Skandal. Sie ist zum Glück längst Gegenstand der gesellschaftlichen Debatte. Die Sehnsucht nach tief greifenden Reformen ist so groß, dass erstaunlich vorurteilsfrei selbst über das Modell Grundeinkommen diskutiert wird, das jahrzehntelang in den Schubladen der Fachleute verstaubte. Und was machen die Grünen, die mal als politische Avantgarde anfingen? Sie legen das Modell gleich wieder zu den Akten.

Das muss nicht falsch sein. Denn auch von der glänzendsten Idee sollte man schleunigst die Finger lassen, wenn sie sich nach vorurteilsfreier Debatte als Irrweg entpuppt hat. Davon aber kann beim Grundeinkommen keine Rede sein.

Vor allem der beim Landesparteitag der Grünen diskutierte Entwurf ist unverkennbar im Bemühen geschrieben, jedem Vorwurf des Spinnertums von vornherein vorzubeugen. Dass radikalen Linken und neoliberalen Reformern dieser Entwurf nicht weit genug geht, ist mehr als verständlich.

Wenn ihn aber die Basis eines immer noch als links geltenden grünen Landesverbandes als utopischen Quatsch abtut, zeigt das vor allem eins: Berlins Haushaltsmisere hat sich dermaßen in die Köpfe der Politik eingemeißelt, dass nicht einmal mehr die Oppositionspolitiker den Gedanken an große Veränderungen wagen. Wer aber Utopien schon allein deshalb von seinem Programm streicht, weil er fürchtet, sie könnten in der gesellschaftlichen Debatte verwässert werden, leistet nur noch eins: den politischen Offenbarungseid.

Unbeantwortet lässt der realpolitische Flügel der Grünen zudem die Frage, was utopischer ist: die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle oder der Glaube der grünen Sozialpolitikerinnen an ein kundenorientiertes Jobcenter?

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