Stadtplanung: Im Westen gibts was Neues

Mit der Sanierung und dem Umbau von fünf Stadtgebieten im Westen will die Senatsverwaltung verlorenen Boden gegenüber dem Osten gutmachen.

Baut auf, baut auf: jetzt auch am Wetsufer der Spree Bild: AP

75 Millionen Euro wird das Programm Stadtumbau West Land und Bund kosten. Dafür sollen fünf Gebiete im ehemaligen Westteil der Stadt entwickelt werden. In Kreuzberg geht es um das Spreeufer rund um die Oberbaumbrücke. Das Gebiet Tiergarten-Nordring/Heidestraße reicht vom Charlottenburger Spreebogen bis zur Lehrter Straße. Weitere Projekte sind das Südkreuz in Schöneberg rund um den neuen Fernbahnhof,

der Neuköllner Südring und

die Großsiedlung Falkenhagener Feld in Spandau.

Das neue Berlin liegt im Osten. Dort sind die Viertel entstanden, die Berlin nach dem Fall der Mauer symbolisieren: der Potsdamer und Pariser Platz, das Regierungs- oder Botschaftsviertel in Mitte, die neuen Architekturen und Nutzungen rund um die hippen Stadtteile in Prenzlauer Berg oder Friedrichshain. Nicht umsonst haben Bürgermeister und Architekten, Landschafts- und Verkehrsplaner aus den Westbezirken der Stadt in den vergangenen zehn Jahren neidvoll auf Quartiere und deren Akteure im Osten Berlins geschaut. Während die City-West eine unvergleichliche Stagnation erlebte, haben neue Arbeitsplätze, Kinos, Kulturstandorte, Wohnungen, Plätze und Parks die Innenstadt von Ostberlin verwandelt und belebt. Die Stadt ist dort jung, kreativ, alternativ, dynamisch. Wilmersdorfer Witwen sind verboten.

Maßgeblich mit dazu beigetragen haben private Anstrengungen, öffentliche Gelder sowie das Leitmodell der Berliner Bauverwaltung - genannt "Planwerk Innenstadt" zur Verdichtung der historischen Mitte. Hinzu kam, dass seit 2001 das Bund-Länder-Förderprogramm "Stadtumbau Ost" erfolgreich in Bereichen Ostberlins umgesetzt wurde. Mit dreistelligem Millionenaufwand ist etwa der Abriss leer stehender Wohnungen, Gewerbe- und Infrastruktureinrichtungen aus DDR-Zeiten beschleunigt worden, um diese Flächen und Räume neu gestalten zu können. In der historischen Mitte, am Ostkreuz, in der Spandauer Vorstadt, in der Wissenschaftsstadt Adlershof, aber auch in Marzahn lagen - und liegen - die Schwerpunkte dieses Aufbauprogramms. Die östlichen Stadtteile haben von dieser Sanierung baulich, sozial, ökonomisch und kulturell in großen Teilen profitiert.

Am ehemals boomenden Westen ging dieser Aufschwung vorbei: Weder der Kurfürstendamm, noch Charlottenburg oder Schöneberg, Kreuzberg oder Neukölln haben vom Berlin-Hype der letzten Jahre profitiert. Im Gegenteil: Der "Aufbau Berlin Ost" ist für den "Niedergang West" direkt verantwortlich. Symptomatisch dafür steht das Kino- und Theatersterben Ende der 1990er-Jahre in der City-West, als die Institutionen und Festivals reihenweise in Richtung Potsdamer Platz und Mitte zogen - samt jüngerer Bewohner im Schlepptau.

Weil im Schatten der Ostentwicklung der Westen seine Entwicklungschancen zu verschlafen drohte, hat das Land Berlin seit dem vergangenen Jahr das Programm Stadtumbau West angeschoben. Westberlin soll wieder mehr "in den Fokus" der Stadtentwicklung genommen werden, um "untergegangene Stadträume wieder in Wert zu setzten", wie Ingeborg Junge-Reyer, Senatorin für Stadtentwicklung sagt.

Jetzt liegen die ersten Daten und Modelle auf dem Tisch. Rund 75 Millionen Euro wird das Programm Stadtumbau West kosten. Das Geld soll aus den öffentlichen Töpfen des Bundes und des Landes kommen. Anvisiert sind außerdem Mittel des EU-Strukturfonds. Das Land hat für fünf ausgewählte Stadtumbaugebiete in Kreuzberg, Tiergarten, Schöneberg sowie Neukölln und Spandau nun erste Pläne entworfen und konkretisiert. Gemeinsam ist allen fünf Gebieten, dass sie zwischen 180 und 250 Hektar groß und wegen ihrer mehrheitlich gewerblichen Nutzung nur mäßig besiedelt sind. Zugleich ist klar, dass diese weitgehend verödeten, inselartigen Stadträume samt ihrer dortigen Infrastrukturen verbessert und neu an das umliegende Stadtgeflecht angebunden werden müssen.

Zudem hat das Land inhaltliche Konzepte im Auge, wie die Gebiete zu hochwertigen innerstädtischen Wirtschafts-, Wohn- und Kulturstandorten entwickelt werden könnten. Die darbende City-West um den Bahnhof Zoo und den Kurfürstendamm wurde allerdings ausgespart. Denn die ausgewählten Areale an der innerstädtischen Peripherie sollen vor allem sich selbst und weniger dem westlichen Zentrum zu zusätzlichem Schub verhelfen.

Dass sich dafür die Stadtplaner ganz herkömmlicher Stadtbilder und Spiegelungen bedienten, überrascht nicht: Am Wasser, etwa an der Spree oder an den Kanälen, so ihre Aussage, wohnt und lebt es sich gut. An Straßen, Verkehrstrassen der Bahn, entlang von Schifffahrtswegen und in der Nähe von Bahnhöfen siedeln sich gern Betriebe sowie touristische Einrichtungen wie große Hotels an. Wo Kultur und die Szene in der Nähe ist, können weitere innovative Arbeits- und Kulturstandorte nicht schlecht sein. Und es ist evident, dass sich die Stadtplanung an verkehrlichen Kreuzungsknoten wie dem Neuköllner Südring und am Südkreuz in Schöneberg auf ein Entwicklungskonzept für neue Gewerbe- und Industriebetriebe konzentrieren wird, die mit dem Umland vernetzt sind.

In Kreuzberg sucht man den Weg zum Wasser: So bietet beispielsweise das Spreeufer hinter der Köpenicker Straße mit seinen 14 Lagerhaus-, Gewerbe- und Wohnblöcken die Kulisse für neue vitale Ansiedlungen: etwa für Medien-, Dienstleistungs- und Entertainmentfirmen aber auch für Loftliebhaber. Als "Stadt an der Spree" mit einem durchgängigen Uferweg dürfte das Konzept zum interessantesten Entwicklungsprogramm gehören. Perphorieren heute das zwei Kilometer lange Uferband an der Spree, das bis 1989 die Sektorengrenze bildete, verwaiste Speichergebäude, große Baulücken und Bombenlücken sowie Wohn- und Arbeitsquartiere in typischen Berliner Alt- und Gewerbebauten, so soll zukünftig ein geschlossenes kompaktes Viertel mit Brücken zur Friedrichshainer Uferseite entstehen.

Auch die Ödnis aus Bahngleisen, Gewerbehallen, ruinösen Sportstadien und Kleinbetrieben, die sich im Halbkreis vom Moabiter "Nordring" bis runter zur Heidestraße am Hauptbahnhof schlängelt, hat im Aufbau-West-Programm Priorität: Schon jetzt gibt es rund um die Heidestraße Einrichtungen wie den Hamburger Bahnhof, die Flick-Collection, das Naturkundemuseum und Galerienhäuser. Diese könnten die kommende Heidestraße aufgrund ihrer zentralen innerstädtischen Lage hervorragend als "Kunstcampus" mit zusätzlichen Kulturangeboten auszeichnen.

Das Gelände des Nordrings dagegen sehen die Planer als Ort für Arbeitsplätze im wissens- und produktionsorientierten Dienstleistungsbereich. Schließlich eignet sich nach Ansicht der Bauverwaltung das Areal um das einstige Poststadion als Parkanlage für Sport und Freizeitangebote. Ein Gleiches - nämlich räumliche und strukturelle Aufwertung, Sanierung und Neuausrichtung - plant die Senatsverwaltung für die Spandauer Großsiedlung Falkenhagener Feld, rund um das Schöneberger Südkreuz und am Hafengebiet in Neukölln.

Schon jetzt halten viele die fünf Projekte schlicht für zu mickrig, um wieder auf Augenhöhe zum Osten zu gelangen. In der Tat gibt es im Westen - auch im Zentrum - riesige freie oder schlecht genutzte Flächen. Dass die Verwaltung aber nicht in Pharaonen-Kategorien wie noch in den 1980er- und 1990er-Jahren denkt und handelt, als man etwa mit der "Wasserstadt Spandau-Oberhavel" sich bauliche und finanzielle Mammutprojekte aufhalste, ist richtig. "Der Einsatz der öffentlichen Mittel erfordert ein hohes Maß an Effizienz. Das Programm wird deshalb nicht flächenhaft, sondern punktuell eingesetzt", argumentieren die Autoren des Stadtumbau-West-Programms in ihrer Studie.

Das erinnert an ein altes berlintypisches Stadtentwicklungskonzept. Seine Merksätze lauten: Berlin ist viele Orte. Die Stadt ist dezentral strukturiert, hat viele Kieze und Zentren, von denen Synergien in die Nachbarschaften ausstrahlen.

Auch dieses Programm verfolgt das Ziel der Wiedergewinnung und Entwicklung von spezifischen Berliner Westquartieren. Senatorin Ingeborg Junge-Reyer nennt das "Schlüsselstandorte". "Manchmal geht es in den Gebieten nur ums Aufräumen oder darum, Wege wiederherzustellen. Manchmal ist das gar nicht exorbitant teuer." Manchmal gehe es aber auch um Neuausrichtung der Areale, um Ansiedlung von neuen Kultur-, Wohn-, Gewerbe- und Arbeitsstandorten oder sogar den Umbau eines kompletten Reviers. Sicher ist: Mit dem Programm Stadtumbau West steigt Westberlin wieder ins Rennen um die gesamte Stadtentwicklung ein. Nach dem Motto "Go West" gibt es in der Stadtentwicklungsverwaltung wieder ein planerisches Verantwortungsbewusstsein für den Westen.

Eric Schweitzer, Präsident der IHK Berlin, der mit örtlichen Investoren das Programm zu fördern gedenkt, sagt, dies sei "ein erster Schritt, den Entwicklungs- und Sanierungsstau im Westen aufzulösen". Weitere planerische und wirtschaftliche Schritte müssten folgen, um das einstige Westberlin wieder erkennbar auf die Landkarte zu heben. Schließlich war man auch im Osten nach dem Mauerfall mit Siebenmeilenstiefeln unterwegs.

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