Zu krank für Deutschland

Turgay Aydin soll in die Türkei abgeschoben werden, obwohl er schwer krank ist. Dass er kein Türkisch spricht, kümmert die Behörden nicht. Auch die Härtefallkommission schweigt.

Stop Deportation: Linke Demonstranten demolieren im Jahr 200 bei einer Demo den Eingangsbereich des Berliner Abschiebeknasts Bild: AP

Turgay Aydin ist erst 21, doch wie er im Besucherraum der Abschiebehaftanstalt Köpenick vor dem vergitterten Fenster sitzt, hat er mit dem Leben abgeschlossen. Langsam und mit ausdruckslosem Gesicht redet er vom Schmerz des gewaltsamen Abschieds von der Familie und der Furcht vor dem Wehrdienst in einem fremden Land. Aydin ist laut ärztlichem Gutachten Epileptiker und hat Schizophrenie. Trotzdem soll er in die Türkei abgeschoben werden - in ein Land, dessen Sprache er nicht spricht.

Jeden Tag könnten die Beamten kommen und ihn zum Flughafen bringen. In der Türkei erwartet Aydin niemand außer der Armee. Eine Ausmusterung ist unwahrscheinlich: "Deutsche Atteste bringen ihm gar nichts", sagt Rudi Friedrich, Experte für internationale Musterungsfragen bei Connection e. V. Der Seelsorger der Haftanstalt, Bernhard Fricke, der den jungen Mann fast täglich sieht, macht keine Umschweife: "Wenn er in der Türkei eingezogen wird, ist er am Ende."

Seit 18 Jahren lebt Aydin in Berlin. Seit drei Wochen sitzt er in Abschiebehaft. In Deutschland darf er nicht bleiben, weil seine Eltern auf der Flucht aus Ostanatolien einen libanesischen Namen angaben, um nach Deutschland einreisen zu dürfen. Der Libanon war anerkanntes Flüchtlingsgebiet, ihre Heimatstadt Mardin, wo türkische Truppen gegen die PKK kämpften, war es nicht. "Sippenhaft" nennt Bernhard Lux von den Grünen die Regelung, nach der die Kinder für eine Nothandlung ihrer Eltern büßen müssen. Hunderte Familien in Berlin sind davon betroffen. In einem Brief fordert Lux Innensenator Körting dazu auf, den entsprechenden Passus aus dem Berliner Bleiberecht großzügig auszulegen und Aydin aus der Haft zu entlassen.

Turgays Schwester Fatima (16), die trotz einer Gymnasialempfehlung die Realschule besucht, fragt: "Warum soll ich mich für gute Noten anstrengen, wenn ich wahrscheinlich sowieso vor dem Abitur abgeschoben werde?" Sie, die Eltern und ihre Geschwister Hakima (6), Adla (12) Turdan (18), Tölay (19) und Nurcan (24) leben unter ständigem Druck. So wurde Tölay eines Tages vor der Haustür von der Polizei abgefangen, die Beamten nahmen ihr das Handy ab. Die Familie rechnete mit dem Schlimmsten, bis die Tochter am späten Abend nach Hause kam, erzählt Fatima.

Vielleicht hätte Aydin eine vorläufige Duldung erwirken können, sagt Thuy Nonnemann vom Berliner Migrationsrat - mit guten Schulnoten. Die hatte er auch, bis er krank wurde. Doch paranoide Schizophrenie und Epilepsie sind kein Abschiebehindernis. Die Ausländerbehörde stellt nur die Transport- und Haftfähigkeit fest, die Lebensperspektiven eines Schwerkranken in einem fremden Land gehört nicht zu ihrer Zuständigkeit, bestätigt eine Sprecherin der Innenverwaltung. Ein Härtefall? Die Härtefallkommission entschied mit nein - auch wegen der schlechten Noten, sagt Nonnemann, die den Fall der Kommission vortrug. Deren Entscheidung versteht sie nicht. "Die besondere Härte ist offensichtlich, weil er schwer krank ist."

Bereits am 18. September wurde Turgay Aydin in der Wohnung seiner Familie in Kreuzberg festgenommen. Tags darauf, als er schon auf dem Weg zum Flugzeug nach Istanbul war, rettete ihn ein sogenannter Hängebeschluss des Verwaltungsgerichts. Das stoppte die Abschiebung, weil der Familienanwalt ein ärztliches Gutachten vorlegte. Aydin durfte zunächst bleiben, musste jedoch in Abschiebehaft. Eine Beschwerde gegen die Haft wurde abgewiesen, obwohl Aydin "eine chronische tiefgreifende seelische Erkrankung in Kombination mit einem Anfallsleiden" attestiert wurde. Nun läuft die Abschiebefrist bis zum 22. Oktober. Über zwei noch anhängige Beschwerden - eine beim Oberverwaltungsgericht gegen die Abschiebung und eine beim Amtsgericht Schöneberg gegen die Haft - kann jeden Tag entschieden werden. Dann folgt die Abschiebung auf dem Fuße.

Bis dahin erlebt Aydin "die Hölle", wie er sagt: "Die Ärzte glauben mir meine Anfälle nicht; ich habe Angst und Albträume, und ich weine jeden Tag." Die Haftkosten von 65,99 Euro pro Tag muss er selbst tragen: nach bislang 24 Tagen hinter Gittern immerhin fast 1.600 Euro.

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