Migration: Senat fördert Zwangsehen

Migrantinnen, die durch die Trennung von ihren Männern zu ALG-II-Empfängerinnen werden, wird zunehmend mit Abschiebung gedroht - trotz langjährigen Aufenthalts in Deutschland.

Bis dass der Tod euch scheidet: Sonst droht das Ausländeramt Bild: AP

Migrantinnen, die sich von ihrem Partner trennen oder auf Geld vom Jobcenter angewiesen sind, droht vermehrt die Abschiebung. "Der Druck auf die Frauen, jede Arbeit anzunehmen, hat seit einigen Monaten enorm zugenommen", berichtet Louise Baghramian vom Interkulturellen Frauenhaus. Die Mitarbeiterinnen berieten im letzten Jahr rund 2.900 Frauen. In den letzten Monaten hätten sie "täglich" mit Frauen zu tun, deren Erlaubnis trotz jahrelangen Aufenthalts nicht verlängert, sondern ganz neu geprüft werde.

Sie erhalten eine drei Monate gültige Fiktionsbescheinigung. Können sie nicht nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft finanzieren, sind sie nach Ablauf dieser Frist nur noch geduldet und können jederzeit abgeschoben werden.

Dass AusländerInnen ausgewiesen werden können, wenn sie zu EmpfängerInnen staatlicher Hilfeleistungen werden, ist keine neue gesetzliche Regelung. Doch werde sie in jüngster Zeit verstärkt angewendet, beobachten auch die Mitarbeiterinnen des Treff- und Informationsortes für türkische Frauen (TIO e.V.).

Frau M. etwa fiel aus allen Wolken. Sie werde, kündigte ihr die Mitarbeiterin der Ausländerbehörde an, künftig nur noch eine Fiktionsbescheinigung bekommen. Der Grund: Frau M. wollte sich von ihrem Mann trennen. Durch die Trennung wäre die aus der Türkei stammende Mutter von drei Kindern zur Empfängerin von Arbeitslosengeld II geworden. Ihre Erlaubnis, sich in Deutschland aufzuhalten, wo Frau M. seit mittlerweile 20 Jahren lebt, geriet damit in Gefahr. Die Praxis der Ausländerbehörde verstärkt nach Ansicht der TIO-Mitarbeiterin Saadet Özulusal die Abhängigkeit von Frauen. "Wie sollen sich Frauen von ihren gewalttätigen Ehemännern trennen, wenn sie dann Gewalt vom Staat erfahren?"

Frau M. verzichtete nach der Abschiebe-Drohung auf die Trennung von ihrem Mann. In Frau K.s Fall war es dafür zu spät: Sie hatte bei ihrer Ehescheidung noch einen zweijährigen Aufenthaltstitel. Erst nach der Scheidung und nach Ablauf dieser befristeten Aufenthaltserlaubnis teilte auch ihr die Ausländerbehörde mit, sie werde nun nur noch eine Fiktionsbescheinigung bekommen. Sie solle schon mal die Koffer packen, hatte die Sachbearbeiterin ihr gesagt: Da sie ALG II empfange, bestehe kein Grund mehr, dass sie in Deutschland bleibe. Ihre zwei minderjährigen Kinder sollten mit ihr das Land verlassen.

Bereits zu Jahresbeginn haben die TIO-Frauen sich deshalb mit einem Brief an Innensenator Ehrhardt Körting (SPD) gewandt. Die Antwort kam vier Monate später: Selbstverständlich, so hieß es da, könnten Aufenthaltserlaubnisse in solchen Fällen verlängert werden. Die Ausländerin müsse nur glaubhaft machen, dass sie den Bezug von staatlicher Hilfe "nicht selbst zu verschulden hat".

Gleichzeitig hob der Senat die finanzielle Latte nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts erheblich an. So müssen MigrantInnen mehr in der Tasche haben als einfache Hartz-IV-Empfänger, um bleiben zu dürfen. "Das ist gerade in Berlin eine sehr hohe Hürde aufgrund der hier herrschenden Arbeitsmarktsituation", meint der Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Günter Piening. Für Menschen, die um ihren Aufenthalt kämpften, sei die Situation erheblich komplizierter geworden.

Oft seien Frauen, die sich nach langjährigen, schlecht funktionierenden Beziehungen zur Trennung entschlössen, gar nicht in der Lage, gleich auf den Arbeitsmarkt zu gehen, sagt Saadet Özulusal. Und der Druck der Behörden erleichtere diesen Prozess nicht gerade: "Wer stellt schon jemanden ein, der keinen sicheren Aufenthaltstitel hat?"

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