Ausländer: Urlaub von der Migration

Integrationsgipfel und Dialog verbessern die Situation von aufstiegswilligen Einwanderern nicht. Familie Özturk wandert deshalb jetzt aus - nach Belgien.

Deutsche geworden sind, sind sie Fremde geblieben - Berliner mit Migrationshintergrund. Bild: dpa

Vor dem Laden steht ein bescheidener Kleinwagen, ein zehn Jahre alter Fiat Cinquecento, auf dem Dachträger sehr viel Gepäck, davor steht Hasan Özturk und sinniert. Auf das Schaufenster klebt er schließlich zügig ein Papierband: "Günstig weiterzuvermieten", in Druckbuchstaben, handschriftlich fügt er die Mobilnummer hinzu. Es sieht nur auf den ersten Blick in diesen ersten Ferientagen aus wie ein Beitrag zu den Staus auf den Autobahnen Richtung Süden, denn der Familienvater will nicht ans Mittelmeer, nicht zu den Verwandten bei Diyarbakir - sondern nach Belgien, in die Nähe von Antwerpen.

Einer Straßenumfrage im Dreikilometerumkreis des berüchtigten Rütlischulviertels in Berlin-Neukölln zufolge gab es zu den Ferienzielen diese Angaben: Die meisten BürgerInnen mit Migrationshintergrund fahren dorthin, woher ihre Vorfahren stammen - aus der Türkei, Kroatien und dem Libanon.

Ausnahmen gibt es nur wenige: Eine türkischstämmige Familie probiert es dieses Jahr mit Clubferien in Alicante, Spanien, eine andere hat sich drei Wochen auf Amrum einquartiert - nach Empfehlung durch deutsche Freunde ihres Sohnes.

Das Gros verreist mit dem eigenen Auto - insofern sind die Straßen über den Balkan in die Türkei hinlänglich verstopft. Ob es einen Trend gibt, in den großen Ferien nicht mehr nur die eigene Herkunftsfamilie zu besuchen, war nicht feststellbar.

Nach Beobachtungen verschiedener Sozialinitiativen ist die Rate jener, die aus finanziellen Erwägungen die schulfreie Zeit mit ihren Kindern in Berlin verbringen, hoch bei gebürtig deutschen Familien. JAF

Ein seltsamer Urlaubsort für ihn, seine Frau und seinen Sohn? "Ist es ja auch nicht, Ferien. Wir wandern aus." Dann erzählt er, und solche Berichte hört man in jüngster Zeit öfter in diesem Viertel im Berliner Bezirk Neukölln, das durch die rowdyhaften Vorkommnisse in der Schülerschaft wie den Bekenntnissen einer verzweifelten Lehrerin an der Rütlischule unschön berühmt wurde. Herr Özturk nämlich hat die Schnauze voll. Nichts gegen Deutschland hat er, aber die Verhältnisse, die seien für einen wie ihn, für eine wie seine Frau in Belgien entschieden besser.

Die "ungünstigen Umstände"

Dabei hatte er Erfolg. Sein Bistro am Anfang der Weichselstraße, mitten im Gazastreifen Neuköllns, in Wurfweite des Rathauses, ging prächtig. Morgen für Morgen stand Hasan Öztürk auf, sehr früh, so gegen fünf. Bereitete das Geschäft vor und zeichnete sich seiner Kundschaft gegenüber mit einer unfassbar gleichmütigen Freundlichkeit aus. Vor sieben Jahren waren er und seine Frau aus der Türkei nach Deutschland eingewandert. Was niemand wusste, war, dass die Öztürks mit akademischer Qualifikation einwanderten. Sie ist Physikerin, er Mathematiker, aber als Lehrer fanden sie keine Anstellung. Die Umstände mögen ungünstig gewesen sein, aber richtig verstanden, galten ihre Diplome bei den Berliner Verwaltungen nicht sehr viel.

Dann kam ihr Sohn zur Welt, ein prächtiges Geschöpf mit den beeindruckendsten Henkelohren wie glühendsten Kulleraugen des Viertels. Öztürks hatten keine Chance, weiterhin ihren Traum vom akademischen Aufstieg in Deutschland zu träumen, pragmatischerweise ging es nur noch darum, der Familie finanziell eine Grundlage zu geben, die über staatliche Alimentationen hinausgehen würde. So kamen sie zum Bistro, das zum Geheimtipp von Neukölln wurde, des schlichten, aber köstlich zubereiteten Frühstücks wegen.

Was sie beide auch anstellten, stiftete Wohlgefallen. Das mag sentimental klingen, aber zugleich auch eine Tatsache: Öztürks ackerten wie die Teufel, um neue Deutsche zu werden, fleißig, gewitzt, kundenorientiert, freundlich, fern jeder Onkelökonomie, in der ein Patriarch das Sagen hat über einen Gemüseladen und von der halben Verwandtschaft unterstützt wird, wenn sie beim Kürbisschleppen hilft.

Öztürks wollten nie ein Teil von dem sein, was als Parallelgesellschaft bekannt ist, nie ein Rädchen im arabisch-türkischen Selbstlaufgetriebe von Neukölln. Sie hatten Rosinen im Kopf, und sie hatten sie zu Recht. Sie sind eine moderne Familie, was man auch daran merkte, dass Frau Öztürk sich doch öfter, als das Muslimische erlaubt, sich mit ihren Verwandten anlegte und einmal sogar zu hören war mit den Worten, das Leben ihres Mannes, das ihres Sohnes und ihr eigenes ginge andere nichts an, schon gar nicht Tanten und Onkel.

Der Filius hätte leicht auf die benachbarte Grundschule gehen können, aber das wollten beide nicht. Wenigstens einige blonde Kinder in der Klasse, das wäre schon besser gewesen. Der Kleine sollte doch Deutsch und Englisch lernen, nicht nur das Fluchen und Hetzen auf Türkisch. Der Ton auf dem Schulhof zu schroff, die Anmutung der Lehrer allzu kapitulantenhaft, in einer Szenerie, die von Hass auf die Schule geprägt ist. So schickten Öztürks ihr Kind auf eine internationale Schule in Berlins Mitte - was den Verdacht nahelegt, dass diese Familie eine schnöselige ist, aber das wäre ein Missverständnis.

Beide entstammen eher arbeitssam-proletarischen Familien - und der Aufstieg zu Besserem sollte immer über Bildung gehen. Das Kochen war sein Hobby, erprobt viele Jahre als Cateringmann für die türkische Ringernationalmannschaft, Herr Öztürk wusste als Kampfsportler selbst, was die Athleten an Nahrung nötig haben. Nur wollte er nicht ewig köcheln und kneten, er wollte als Mathematiker arbeiten.

Was die Rede bringt auf das, was vorige Woche noch mächtig Gewitter machte, und zwar in allen Medien. Integrationsgipfel hieß der Anlass, und wieder war nur im Mittelpunkt alles, was absolut zur schlechten Laune beiträgt, vor allem bei interessierten Einwanderern, denen Türkisches, Arabisches oder Exjugoslawisches möglicherweise eine Grundierung ist, aber keine Zukunft. Öztürks sagten immer, Deutsche sein zu wollen, was sonst.

Aber sie hatten keine Chance, man wollte sie nicht, Frau Öztürk hat Mühe, dem Zuhörer ihren Kummer zu benennen, aber dann gibt sie ihn doch zu Protokoll: Sie seien nicht anerkannt. Eigentlich bräuchten sie keine warmen Worte, aber dauernd wäre nur die Rede von Terrorismus und von Sicherheit, andererseits von den lieben Ausländern, deren Töchter so schöne Kopftücher zur Mode machten. Frau Öztürk sagt lapidar, sie verabscheue diesen religiösen Kult, und in Belgien, hat man ihnen gesagt, könnten sie als gewöhnliche Menschen, wie Herr Öztürk sagt, leben, nicht als Ausländer oder mögliche Terroristen.

Was sie beide sich gewünscht hätten, wäre ein Leben, das ihnen nicht aufgezwungen hätte, in Neukölln nur Armut zu finden - und abgestempelt zu werden durch all die unfreundlichen Menschen, seien sie aus Deutschland oder von sonst wo. Frau Öztürk sagt noch, dass sie keine Kraft mehr habe, immer und immer wieder sich zu bewerben - und doch immer nur Absagen zu bekommen, obwohl ihre Zeugnisse und Diplome prima sind.

Was wiederum die Sprache zu bringen hat auf den Integrationsgipfel, auf die Zumutungen von Ministern wie Wolfgang Schäuble und anderen, die in Migration nach wie vor kaum mehr als Risiko und Sicherheitsgefährdung erkennen und zur gleichen Zeit keine Worte der Anerkennung für die neuen Deutschen finden. Anerkennung und Respekt meint, nach ganz schlichten altdeutschen Kriterien, öffentlich zu bekunden, dass der Wohlstand dieses Landes ohne seine neuen Bürger oder die Flüchtlinge nicht so gedeihlich ausfiele, dass ohne die neuen BürgerInnen das Land eine Wüste wäre, die man schon aus Angst vor Krähwinkeligkeit und Provinzialität eilig verlassen müsste.

Fehlender Protest der Mehrheit

Das Wunder an den tatsächlich fragwürdigen Protesten gegen das neue Ausländerrecht war ja eigentlich dieses: dass der Protest sich lesen ließ wie ein Wunsch nach weiteren Lizenzen zum Import von minderjährigen Ehefrauen und nicht wie eine Klage über die Verwahrlosung der sogenannten Problemviertel mit ihren Parallelgesellschaften. Eine Wut, die der schlechten Behandlung von neuen Deutschen hätte gelten können, dem Unmut, die Kinder von aufstiegsorientierten Eltern tüchtig zu fördern und sie zu ermutigen, Leistung zu bringen.

Herr und Frau Öztürk werden mit ihrem Sohn Hakan nach Belgien auswandern. Die meisten anderen verreisen alle Jahre wieder in ihre alten Heimaten. Das sollte niemand wundern: Dort müssen sie keine Fremden sein.

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