Jugendbewegung: Zur Sonne, zum Ziel

Die Sozialistische Jugend-Internationale feiert ihren 100. Geburtstag. Teilnehmer aus aller Welt diskutieren über soziale Gerechtigkeit und darüber, wie Globalisierung sozial gestaltet werden kann.

IUSY-Weltfestival 1996 in Bonn: Der Rudolf kümmert sich heute um Fahrräder, die Andrea um die SPD Bild: dpa

Auf einer Werbetafel der U-Bahn steht: "Sie sind am Ziel". Die Luft ist schwül. Auf dem staubigen Vorplatz des Postbahnhofs im Osten Berlins sammeln sich junge Menschen. Sie sind hierher gekommen, weil die Welt nicht so ist, wie sie eigentlich sein sollte. Sie wollen zusammen feiern, GenossInnen aus der ganzen Welt kennen lernen und über eine gerechte Welt diskutieren.

Die Sozialistische Jugend-Internationale, die International Union of Socialist Youth (IUSY) feiert ihren 100. Geburtstag. Im Jahre 1907 in Stuttgart gegründet, umfasst sie heute Mitgliedsorganisationen aus über 100 Ländern. Als deutschen Vertreter in der IUSY haben die Jusos und die Sozialistische Deutsche Jugend "Die Falken" zum Jubiläum geladen, rund 2.000 junge Sozialdemokraten und Sozialisten sind gekommen. Grußworte an die Genossen, gab es zum Auftakt der viertägigen Feier am Donnerstagabend von Berlins RegierendemBürgermeister Klaus Wowereit (SPD), den Vorsitzenden von Jusos und Falken sowie des IUSY-Präsidenten.

Inmitten des postmodernem Brachlandes am Postbahnhof hat ein angerosteter Robur geparkt. Das Auto, Baujahr 1988, ist die DDR-Version des Unimog und streute einst Saatgut auf irgendeiner LPG. Mit dem Robur gekommen sind Stephan Thiemann und seine Falken-Gruppe aus Schwerin. Sie sind für die Bewirtung der Genossen zuständig. Er meint: "Der Festival-Charakter der Veranstaltung ist wichtig". Was sich die Schweriner von der Veranstaltung politisch versprechen, antwortet er grinsend: "Nüscht". In Rage kommt er wegen der offiziellen Hochglanzbroschüre: "Die Genossen schwingen linke Parolen und knallen dann Anzeigen von Microsoft, E-on und der Telekom ins Blatt". Stephan versteht die Entscheidung nicht und glaubt, die Funktionäre und die Basis sprächen manchmal nicht dieselbe Sprache. In den nächsten Tagen wollen sie in Workshops sozialdemokratische Ideen für das 21. Jahrhundert entwickeln. Die Globalisierung soll gerechter gestaltet werden als bisher. In Workshops wird über Menschen- und Minderheitenrechte, Entwicklungs- und Friedenspolitik oder gerechte Arbeit diskutiert.

Vor einem Bierstand in der Veranstaltungs-Halle ist der Schaum aus der Zapfanlage ausgetreten und bildet eine große Bierlache, als Klaus Wowereit, Juso-Chef Björn Böhning, Sven Frye der Vorsitzende der Falken und IUSY-Präsident Fikile Mbalula aus Südafrika die Halle betreten. Böhning und Frye begrüßen die internationalen Gäste routiniert. Begeisterung vermögen sie nicht zu versprühen. Als der 36-jährige Mbalalula spricht, kippt die Stimmung. Energetisch begrüßt Mbalula die comrades aus der ganzen Welt. Für viele deutsche Genossen eine ungewohnte Vokabel. Er ruft: "We salute you - the socialist youth of Germany!" und die anwesenden Jusos und Falken klatschen höflich. Den afrikanischen Teilnehmern raunt er zu: "Our African brothers - you have come home". Die Junginternationalen aus den Entwicklungsländern johlen Mbalula zu. Er hat sie erreicht. Die Europäer fallen eher zufällig in den Applaus ein. Sie sind diese kämpferischen Reden nicht mehr gewohnt. Sie haben andere Themen an ihren Infoständen. Juso-Chef Böhning schwärmt später : "Der kann so was. Der macht das sonst vor Hundertausenden. Das wird mal ein ganz großer." Als Klaus Wowereit das Wort ergreift, wirkt es artig und etwas aufgesetzt.

Mehamane Baby hat den deutschen Rednern interessiert zugehört. Er ist 39 und kommt aus Benin. Auf der IUSY 100 kann er sein, da ihm die SPD die Flüge spendiert hat. Er berichtet von seiner politischen Arbeit in Benin und davon, dass er immer am Rande einer Verhaftung stünde. In diesen Momenten ist Politik nicht abstrakt. "Zuhause muss ich Menschen davon überzeugen, keine Angst zu haben zur Wahl zu gehen. In meinen Land ist so eine Veranstaltung wie heute Abend undenkbar".

Am Nebentisch hat sich eine Gruppe aus Barcelona eingefunden. Sonya Romera (30) ist Lehrerin, Irene Beiro (23) Journalistin. Beide legen großen Wert darauf aus Katalonien, nicht aus Spanien, zu kommen. Sie sind hier, um in Workshops zu lernen wie in Nordeuropa die Gleichstellung von Homo- und Heterosexuellen Menschen funktioniert und wie man die Frauenrechte stärken kann. Sonya erzählt: "Unsere Gesellschaft ist noch immer unglaublich maskulinisiert. Frauen- oder Minderheitenrechte sind zunächst Menschenrechte. Leider verstehen das nicht alle".

Vor den Toren haben sich etwas abseits mehrere Kongress-Teilnehmer aus Asien eingefunden. Jehlan Silva ist erst 22 Jahre alt, aber schon Parteisekretärin der Akbayan Youth in den Philippinen. Das zarte Mädchen wirkt zerbrechlich, auf Demos wird sie daher nicht ernst genommen: "Die sagen dann immer: Mädchen geh uns aus dem Weg, geh nach Hause". Sie war dabei, als einer ihrer Genossen Plakate klebte - illegal. Sie konnte entkommen, er sitzt nun in Untersuchungshaft. Ihm drohen mehrere Jahre Knast.

Während auf der Bühne eine neunköpfige Funk-Kapelle aufspielt, sind viele schon gegangen oder sitzen bei einem Bier draußen vor der Halle. Die Falken haben jetzt die Bewirtung unter Kontrolle. Eine Gruppe Hamburger Jusos schielt zu den Genossen aus Übersee hinüber, die jeden Beat austanzen. Was denn morgen auf dem Programm stehe, will einer wissen. "Gehen wir zum Workshop?" - "Mal sehen". Er steht auf und steuert den gerade verwaisten Biertresen an. Die Konferenz geht in ihre erste Nacht. Draußen werden die Sitzplätze knapp. Viele stehen schon. Neben der Webetafel der U-Bahn steht: "Möbel Oase: Riesenauswahl an Stühlen - 200 Meter nach rechts!"

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