Der Türke in der Kurden-Fraktion

Karrieresprung: Der Menschenrechtsaktivist Akin Birdal, 59, wurde als Unabhängiger ins Parlament gewählt und schließt sich als einziger Türke der neuen kurdischen Fraktion an FOTO: AP

Akin Birdal ist ein sanfter Mann. Wenn er spricht, tut er das leise und dennoch eindringlich. Denn Birdal ist nicht nur ein sanfter, sondern auch ein sehr beharrlicher Mann. Er lässt sich nicht einschüchtern, er hat Mut. All diese Eigenschaften machten den heute 59-jährigen, ursprünglichen Landwirtschaftsingenieur zu einem der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten der Türkei. Seit den Wahlen am 22. Juli ist Birdal nun auch Parlamentarier.

Ein Karrieresprung, von dem er vor gut neun Jahren noch nicht einmal geträumt haben dürfte. Damals, am 12. Mai 1998, war Birdal als Vorsitzender des größten türkischen Menschenrechtsvereins IHD wie fast jeden Morgen in sein Büro in Ankara gekommen. Im Vorraum des IHD-Hauptquartiers erschienen zwei Männer. Sie gaben vor, Birdal sprechen zu wollen, weil sie um Hilfe für angeblich verschleppte Angehörige nachsuchen wollten.

Kaum in seinem Büro angekommen, zogen beide ihre Pistolen und eröffneten das Feuer. Birdal wurde siebenmal getroffen, und es grenzt an ein Wunder, dass er überlebte. Nur seine rechte Hand kann er bis heute nicht richtig bewegen. Die Killer kamen im Auftrag einer „Türkischen Rachebrigade“. Ein gefangen genommener hoher Funktionär der kurdischen Separatistenorganisation PKK soll damals angeblich ausgesagt haben, Birdal sei ein Befehlsempfänger von PKK-Chef Öcalan.

Seit Birdal 1986 den Menschenrechtsverein mit begründete, ist das Schicksal des ethnischen Türken mit der kurdischen Frage eng verknüpft. Der von der PKK 1984 begonnene Guerillakampf für einen eigenen kurdischen Staat und die Reaktionen des Staates auf diesen Kampf waren die Quelle der meisten Menschenrechtsverletzungen, mit denen der IHD und Birdal sich jahrelang beschäftigten. Nach dem Attentat wurde er für eine Rede 1996, in der er eine Lösung der kurdischen Frage einforderte, wegen separatistischer Propaganda verurteilt und musste für einige Monate ins Gefängnis.

Nachdem er sein Amt als IHD-Vorsitzender niedergelegt hatte, versuchte er eine Allianz von Kurden und der türkischen Linken mit auf die Beine zu stellen. Dabei musste er aber feststellen, dass es nicht nur auf türkischer Seite fanatische Nationalisten gibt.

Doch Birdal blieb auch an diesem Punkt beharrlich. Er warb weiter für eine Zusammenarbeit, für mehr demokratische Rechte, für Dialog statt Mord und Totschlag. Birdal kandidierte in der größten kurdisch besiedelten Stadt im Südosten, in Diyarbakir, und wurde als Unabhängiger gewählt. Gestern trat er in die DTP ein und wird als einziger Nichtkurde der kurdischen Fraktion im neuen Parlament angehören.

JÜRGEN GOTTSCHLICH