Warenkunde: Als Käufer mal so richtig sündigen

Kein Trend ohne Gegentrend: Wer Tag für Tag moralisch konsumiert, möchte ab und zu sündigen. Auch dafür gibt es passende Produkte.

Ein Ventil für moralischen Triebstau - in Autoform. Bild: screenshot lancia

Oft ist neuerdings - auch in dieser Kolumne - von moralischem und politischem Konsum die Rede. Die Aussicht, mit differenziertem Konsumverhalten Werte artikulieren und Unternehmen, die besonders ökologisch oder sozial handeln, belohnen zu können, lässt viele zu geradezu enthusiastischen Käufern werden: Dass man etwas Sinnvolles tun kann, wenn man zum Einkaufen etwa in einen Bioladen geht, ist für sie eine ganz frische Glückserfahrung. Anders als ihren konsumkritischen Vorgängern, die nur mit Boykotten Einfluss auf Marktentwicklungen nehmen wollten, bereitet es ihnen mehr Befriedigung, nach Produkten zu suchen, deren Hersteller sie aktiv unterstützen wollen. Auch wenn manche Enttäuschung nicht ausbleibt - weil ein alternatives Label plötzlich von einem Großkonzern aufgekauft wird oder weil sich eine Sozialromantik als verlogen herausstellt -, ist die Freude am Gutes-Tun durch Gutes-Kaufen noch ungebrochen.

Doch gilt auch hier: Kein Trend ohne Gegentrend. So passt es nicht zu den allseits propagierten Werten Verantwortung, Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein, wenn in einer Anzeige für den Ypsilon Sport von Lancia, in sündigem Rot auf diabolisch-schwarzem Grund, fettgedruckt das Wort "BÖSE" zu lesen ist. Das Auto, aus Untersicht aufgenommen, wirkt dabei bedrohlich, der funkelnde Kühler und die Felgen lassen es noch kampfeslustiger erscheinen. "Für alle, die an das Gute glauben, aber wissen, dass das Böse viel mehr Freude macht" - steht im Text unter dem Bild, und auf der Website ist sogar von der "stärksten Kraft des Bösen" und einem "Maximum an Aggressivität" die Rede, um die Eigenschaften dieses Modells zu beschreiben.

Offenkundig soll hier eine Lust am Frivolen angesprochen werden. Der Befriedigung, beim Einkaufen gutes Gewissen zu erwerben, wird die Neugier auf das Verbotene entgegengestellt. Gerade weil der Konsum zu einem Ort geworden ist, an dem man Moral definiert und auslebt, lassen sich hier auch die guten Sitten verletzen. Alles regelt sich heute eben beim Einkaufen: Jeder Point of Sale, ja schon jedes Regal wird für den Konsumenten zum Scheideweg zwischen Gut und Böse. Noch ein Beispiel. Kürzlich brachte Axe ein Duschgel auf den Markt, das Vice heißt, also das Laster bereits im Namen führt. Der Schriftzug auf der auch hier diabolisch-schwarzen Flasche - das Gel selbst ist wiederum sündig rot - wird von Blitzen durchkreuzt, wie sie typisch für Disco-Laser-Shows sind. Denkt man da bereits an die Ausschweifungen eines Party-Abends, so sieht man auf der Rückseite das Foto eines Mannes, der von zwei jungen Frauen umgarnt wird. Und dazu der Spruch: "AXE Vice Shower Gel - Verführerische Frische, die Jungs richtig sauber macht und brave Mädchen schmutzig werden lässt."

Hier mag mit Augenzwinkern formuliert worden sein, doch wird durch die witzige Übertreibung, mit der man das Böse und Sündhafte beschwört, nur umso offensichtlicher, dass es um eine Reaktion auf die Moralisierung des Konsums geht. Produkte, die sich schmutzig geben, verraten einerseits einen Überdruss am Gutmenschentum, sie sind aber auch eine neckische Alternative: Wer üblicherweise darauf achtet, sich gesund zu ernähren, umweltsensibel zu sein und auf Produkte zu verzichten, bei denen Kinderarbeit oder Tierversuche im Spiel sind, wird gelegentlich wohl doch die Lust verspüren, ein bisschen sorglos zu sein und etwas Trashiges zu konsumieren. Die Pastelltöne und Weichzeichnungen der Welt guten Gewissens wecken das Verlangen nach knalligen Farben und aufreizenden Formen. Und darf man nicht auch mal sündigen? Wer Tag für Tag gutes Gewissen kumuliert, hat doch gleichsam ein Polster, das es erlaubt, ab und zu über die Stränge zu schlagen.

Dieser Logik gehorcht mustergültig eine Magnum-Box, die es unter dem Namen "Unschuld & Sünde" zu kaufen gibt: Der Karton ist zweigeteilt, links in Weiß und Himmelblau gehalten, rechts dafür braun und rot. Entsprechend finden sich in der Box "unschuldig weiße Magnum-Varianten" genauso wie "dunkle Sünder im Groß- und Kleinformat". Man kann also das eine Erlebnis sofort mit dem anderen ausgleichen - den Konsum von einem Eis mit dem jeweils anderen begründen. So wird die Konsumwelt erst wirklich zu etwas Ganzem; in ihr ist Platz für den kompletten Affekthaushalt. Wer wertbewusst einkauft und sich als Homo consumens gewissenhaft um ein gutes Leben bemüht, findet also auch ein Ventil für einen eventuellen Triebstau. Die soziale Funktion, die einmal Saturnalien erfüllten und die bis heute Fasching oder Polterabende besitzen, leisten inzwischen ebenso Produkte wie das sündige Eis oder das als Laster deklarierte Duschgel: Man darf sich im Ausnahmezustand fühlen, in dem momentan all das suspendiert ist, was sonst gilt und wichtig ist.

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