Genitalverstümmelung in Deutschland: 4.000 Mädchen könnten bedroht sein

Am Mittwoch treffen sich Expertinnen mit dem Familienausschuss. Das Neue daran ist, dass endlich Migrantinnen in die Diskussion miteinbezogen werden.

Messer und Kräuter, wie sie in Senegal bei einer Beschneidung benutzt werden. Bild: AP

Sie wollen Mädchen vor Leid bewahren. Vor einem Eingriff, der den Körper verstümmelt. Vor einem Leben, in dem Sex eher Schmerz bereitet als Lust. Der Familienausschuss des Deutschen Bundestags lädt am heutigen Mittwoch zur Anhörung ein. Expertinnen sollen Antworten geben auf die Frage, ob Mädchen in Deutschland von Beschneidung bedroht sind - und wie sie im Fall der Fälle wirksam geschützt werden könnten. Lohnt der Ruf nach strengeren Kontrollen? Und wo verläuft die Grenze zwischen Hilfe und Bevormundung?

Die FrauenrechtlerInnen von Terre des femmes schätzen, dass derzeit 19.000 Frauen hier leben, deren Genitalien verstümmelt sind. Hinzu kommen 4.000 Mädchen, die von diesem Eingriff bedroht sein könnten. Wie groß die Gefahr wirklich ist, weiß bislang niemand. Repräsentative Studien fehlen. Der Familienausschuss versucht jetzt wenigstens das vorhandene Wissen zu bündeln. Strafrechtlich "werden kaum Fälle bekannt", so Heike Rudat vom Bund der Deutschen Kriminalbeamten.

Doch die Kriminalstatistik allein erlaubt wenig Rückschlüsse. Es ist sehr unüblich, dass eine Tochter gegen die eigenen Eltern Anzeige erstattet. Auch der Verein Forward, in dem sich Migrantinnen gegen Beschneidung engagieren, kann nicht mit konkreten Zahlen oder Fällen aufwarten. "Wir sind jedoch sicher, dass Beschneidungen heimlich durchgeführt werden", so das Resümee. Eine reale Gefahr, aber kein Massenphänomen - dies ist der Tenor der Statements.

Kontroverser ist die Einschätzung der Expertinnen, wieweit die Öffentlichkeit eingreifen sollte. Forward etwa fordert, dass Ärzte verpflichtet werden sollten, Genitalverstümmelungen zu melden. Die Bundesärztekammer lehnt dies ab. Sie fürchtet, dass dies Mädchen erst recht gefährdet - weil Eltern kranke Kinder dann aus Furcht vor einer Anzeige womöglich gar nicht mehr zum Arzt bringen.

Eher konsensfähig ist die Idee, Genitalverstümmelung als eigenen Straftatbestand ins Gesetzbuch aufzunehmen. Allerdings wäre das eher ein symbolischer Akt. Genitalverstümmelung gilt schon jetzt als Körperverletzung und ist strafbar. Schließlich ist dies ein Eingriff, unter dem viele ein Leben lang leiden. Die Folgen reichen von Abzessen oder Inkontinenz bis hin zu massiven Problemen bei einer Geburt.

Höchst umstritten sind dagegen Vorschläge, die auf Sonderregeln für Migrantinnen abzielen. Zur Debatte steht bei der Anhörung etwa die Idee, Migrantinnen obligatorisch einmal im Jahr vom Frauenarzt untersuchen zu lassen. Rudat hält das für "bedenklich". Eine Pflichtuntersuchung für nur eine Gruppe führe "zu einer weiteren Stigmatisierung von ohnehin schon belasteten Minderheiten". Sinnvoll wäre eine solche Pflicht nur dann, "wenn sie ausnahmslos für alle Kinder gelten würde" - zumal es ja auch in anderen Gruppen zu Straftaten gegen Kinder, etwa zu sexuellem Missbrauch, komme.

Wohl nicht zufällig ist es gerade der Verein Forward, in dem viele Migrantinnen aktiv sind, der energisch auch für weniger drakonische Maßnahmen eintritt: Er verlangt, dass mehr "gut geschulte, bi-kulturelle, mehrsprachige" Beraterinnen in die Familien gehen sollen. "Die Familien bedürfen einer sensiblen Aufklärung ohne rassistische Vorurteile", heißt es in einer Stellungnahme für den Familienausschuss. Vor allem aber sei Bildung der wirksamste Weg, Frauen vor Genitalverstümmelung zu schützen. Je autonomer Frauen über ihr Leben bestimmen, desto eher können sie sich von tradierten Riten abgrenzen.

So zeichnet die Expertendebatte eine Tendenz nach, die derzeit häufiger zu beobachten ist. Lange fand die Diskussion über Genitalverstümmelung in Deutschland eher ohne die Betroffenen statt. Meist waren es weiße, gebildete Mittelschichtsfrauen, die sich medienpräsent des Themas annahmen - und eine Debatte führten, die Migrantinnen selbst oft gar nicht erreichte. Erst neuerdings ändert sich der Ton. Eine Konferenz im Dezember bemühte sich, weiße und afrikanischstämmige Expertinnen an einen Tisch zu bringen, den Sprung vom Belehren zum Miteinander zu schaffen. Die heutige Anhörung, in der auch Anträge der Oppositionsparteien vorgestellt werden, könnte ein weiterer Schritt in diese Richtung sein.

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