Dresdens doppelte Linke

Nach langen Querelen spalten sich die Linken in Dresden: Künftig sitzen zwei Fraktionen im Stadtrat. Der neue Linksableger sieht sich als Stimme der Basis

DRESDEN taz ■ Ralf Lunau, als Anwalt und Vorsitzender der Linksfraktion.PDS im Dresdner Stadtrat sonst nicht gerade maulfaul, saß am Freitagnachmittag ungewohnt still im Fraktionsbüro. Erst durch Journalistenanfragen hat er erfahren, dass sich 7 der ehemals 17 Fraktionsmitglieder beim Oberbürgermeister als eine neue Fraktion „Die Linke“ registrieren ließen. Verlegen reicht er einen soeben erschienenen „Sozialwegweiser“ für Dresden herüber. „Es gibt in dieser Fraktion noch Leute, die Sacharbeit machen“, sagt er.

Mitten in die Vereinigungseuphorie der Linken hinein platzen die neuen Nachrichten aus Dresden: Die Stadtratsfraktion ist praktisch gespalten. Die Trennung war abzusehen und erinnert an die Spaltung der russischen Kommunisten in Bolschewiki und Menschewiki im Jahr 1903. Lunau selbst zählte im März des vorigen Jahres zu den neun „Menschewiki“ in der PDS-Fraktion, die aus pragmatischen Gründen dem Totalverkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Woba an den US-Investor Fortress zugestimmt hatten.

Der Verkauf war damals sehr umstritten. Er offenbarte latente und ältere Konflikte in der Dresdner PDS. Ein Parteiausschlussverfahren gegen die Abweichler scheiterte im Februar dieses Jahres. Der Konflikt zwischen Idealisten und kompromissorientierten Pragmatikern aber schwelte weiter.

Aktuellen Anlass für den Schritt der sieben „Bolschewiki“ boten jüngste Äußerungen der parteilosen Stadträtin Barbara Lässig, die Gruppe der neun denke über eine eigene Liste zur Kommunalwahl 2009 nach.

Der Stadtvorstand hatte deshalb am Donnerstag umgehend einen einstimmigen Beschluss gefasst, der für eine neu zu gründende linke Stadtratsfraktion drei Kriterien formuliert. Sie beinhalten die Treue zur Partei, zu ihren Beschlüssen und Programmen und den Verzicht auf die Kandidatur bei einer konkurrierenden Liste 2009. „Dem kann jeder beitreten“, sagt Stadtvorsitzender Jürgen Muskulus und fügt hinzu: „Wir haben alle Kompromisse durch. Die Basis will etwas anderes als die neun Stadträte!“ Selbstverständlich habe man diesen Schritt auch mit der Bundespartei abgestimmt.

Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch rief laut Sächsischer Zeitung „verdiente Mitglieder“ der bisherigen Fraktion ebenfalls zum Wechsel auf. Die stellvertretende Bundesvorsitzende Katja Kipping begrüßte bereits gegenüber der taz den eingeleiteten Klärungsprozess.

Stadträtin Cornelia Ernst, zugleich Landesvorsitzende der sächsischen Linken, will noch nicht von einer Spaltung sprechen. „Das ist wirklich ein Angebot, über das jeder den ganzen Sommer über nachdenken kann“, sagt sie. Sie spricht von einer „Neuformierung“ der Fraktion.

Fraktionschef Lunau hingegen sieht seine Restfraktion in der Kontinuität. Das Vorpreschen der Linken in der Linken bringt er in Zusammenhang mit dem erstarkten Selbstbewusstsein der vereinigten Partei.

Der langjährige Stadtrats-Fraktionsvorsitzende Ronald Weckesser, zugleich Vorsitzender des Finanzaussschusses im Landtag, denkt nicht an einen Wechsel. „Ich habe die Pluralität innerhalb der PDS bisher immer für eine ihrer Stärken gehalten“, sagte er der taz. Auch mit Posten oder sicheren Listenplätzen wolle er sich nicht ködern lassen.

Mit ihm, dem Landesvorsitzenden Ernst und der früheren Stadtvorsitzenden Ingrid Mattern sitzen nun drei Vertreter verschiedener Lager auch in der linken Landtagsfraktion. Landesgeschäftsführer Rico Gebhardt räumte ein, dass es „in 10 bis 20 Prozent der Kommunalparlamente künftig zu ähnlichen Konflikten kommen könnte“.

MICHAEL BARTSCH