Buback-Mord: Vertauschte Rollen

Die freigegebenen Urteilsgründe gegen RAF-Terroristen wegen des Buback-Mordes zeigen: Juristisch sind die Urteile überzeugend - aber nicht zwingend.

Tatort nach Mord an Siegfried Buback in Karlsruhe Bild: dpa

Wer erschoss im Jahr 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback? Diese Frage tauchte Anfang dieses Jahres auf und zieht sich wie ein roter Faden durch das gegenwärtige Erinnerungsjahr - 30 Jahre nach der "Offensive 77" der RAF.

Nach langen Verhandlungen hat die Bundesanwaltschaft jetzt die alten RAF-Urteile freigegeben und an interessierte Journalisten verschickt. Am meisten nachgefragt waren natürlich die Urteile, die das Buback-Attentat betreffen, weil hier der Vorwurf im Raum steht, dass die "falschen" Täter verurteilt wurden. Insgesamt wurden aber 16 verschiedene Entscheidungen angefordert, das dickste Urteil ist mit rund 650 Seiten dasjenige gegen Birgit Hogefeld von 1996. Die Bild-Zeitung hat im Klar/Mohnhaupt-Urteil entdeckt, dass die RAF im April 1977 auch eine "Aktion gegen Willy Brandt", den Exbundeskanzler und SPD-Vorsitzenden, in Erwägung zog. Wenn er entführt worden wäre, hätte auch dies der Freipressung der inhaftierten RAF-Mitglieder um Andreas Baader und Gudrun Ensslin dienen sollen. Außerdem sei im Juni 1977 auch ein Anschlag auf eine Außenministerkonferenz in Luxemburg geplant gewesen.

Doch warum hat diese Frage gerade in staatskritischen Kreisen solches Gewicht erlangt? Und warum versucht die Bundesanwaltschaft - aufopferungsvoll, aber mit wenig Geschick - eine Diskussion darum zu verhindern? Denn eigentlich könnte man genau andersherum verteilte Rollen erwarten.

Ein Grund hierfür könnte sein, dass der Vorwurf, die BAW habe bei der Aufarbeitung des Deutschen Herbstes schlampig gearbeitet, zwar an die alte Konfrontation anknüpft, aber heute in einer völlig systemkonformen Weise erhoben werden kann. Die Forderung, es mögen doch bitte die richtigen Täter verurteilt werden und nicht die falschen, ist schließlich Kern jedes rechtsstaatlichen Denkens. Heiklere Themen wie die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen, die Todesumstände in Stammheim oder die damals eingeführten Antiterrorgesetze können da vornehm im Hintergrund belassen werden.

Passenderweise wurde die Frage nach dem Buback-Mörder auch von einer Person aufgeworfen und in der Debatte gehalten, der keinerlei Nähe zur RAF unterstellt werden kann: Michael Buback, Chemieprofessor in Göttingen, ist schließlich der Sohn des Ermordeten. Und dass gerade er der derzeit lauteste Kritiker der Bundesanwaltschaft ist, also der Behörde, die sein Vater bis zum Tod geleitet hat, ist bemerkenswert. So kann man mit Buback junior heute mutmaßen, ob Verena Becker möglicherweise schon seit Anfang der Siebzigerjahre in Kontakt mit dem Verfassungsschutz stand, sodass sich der Anschlag auf den Generalbundesanwalt gewissermaßen unter den Augen des Staates abspielte.

Man kann darüber spekulieren, warum gegen Becker nie Anklage wegen des Mordes an Buback erhoben wurde, obwohl einige Indizien auf sie deuteten. Wollte der Staat etwas vertuschen? Anfang der Achtzigerjahre sprach Becker jedenfalls tatsächlich mit dem Verfassungsschutz. Und 1989 wurde sie nach einer relativ kurzen Haftzeit begnadigt. Wer heute solche Fragen stellt, ist kein RAF-naher Verschwörungstheoretiker, sondern Buback-Sympathisant.

Die Bundesanwaltschaft hat ihrerseits einiges dazu getan, das Misstrauen von Michael Buback und der kritischen Öffentlichkeit zu schüren. So musste sie Ende April nach einer Veröffentlichung im Spiegel zugeben, dass sie bereits 1981 Informationen des Verfassungsschutzes bekommen hatte, dass es sich bei dem Todesschützen um Stefan Wisniewski gehandelt haben könnte. Im Prozess gegen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt Mitte der Achtzigerjahre wurde dieser Hinweis nicht thematisiert.

Als Journalisten daraufhin die alten Urteile nachlesen wollten, wurden diese mit fadenscheiniger Begründung monatelang nicht herausgegeben. Und nach wie vor beantwortet die BAW viele Fragen zum Mord an Buback nicht. Stammt ein Haar aus dem Motorradhelm des Todesschützen tatsächlich von Verena Becker, wie es früher hieß? Wurde dieses Haar inzwischen untersucht? Die Bundesanwaltschaft schweigt dazu und nährt damit die Spekulationen.

Nun liegen die alten Urteile des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen Knut Folkerts sowie gegen Klar und Mohnhaupt vor. Ihr wird der Buback-Mord demnach deshalb zugerechnet, weil sie die zuvor desorientierten Illegalen mit ihrem "Koordinations- und Durchsetzungsvermögen, ihrer Autoriät, ihrer reichen Erfahrung auf dem Gebiete terroristischer Aktivitäten sowie ihrer Überzeugungskraft" reorganisiert und zur "Offensive 77" geführt habe.

Zum dreiköpfigen Kommando selbst heißt es im Klar-Urteil: "Die unmittelbare Tatausführung übernahmen neben dem Angeklagten Klar die ihm seit langem verbundenen RAF-Mitglieder Sonnenberg und Folkerts, da diese drei in Karlsruhe gelebt hatten, Stadt und Umgebung demnach genau kannten." Beim Anschlag wurde jedoch keiner von ihnen identifiziert. Und auf der Flucht im Alfa Romeo wurden zwar drei "Personen" gesehen, aber nur einmal Folkerts und ein andermal Sonnenberg erkannt.

Die Urteile stützen sich vor allem auf die Tage vor dem Anschlag, als Klar, Sonnenberg und Folkerts mehrfach als Insassen des Alfa Romeo oder mit dem Tatmotorrad gesehen wurden. Es ist hier auch mehrfach von "drei Männern" die Rede, was gegen eine Täterschaft von Verena Becker spricht. Das Gericht geht davon aus, dass nicht alle Zeugen von den Fahndungsfotos suggestiv beeinflusst wurden. Demnach hätten diese drei zumindest die Tatfahrzeuge beschafft, den Tatort und die Fluchtwege ausgekundschaftet. Und dann heißt es im Klar-Urteil weiter: "Die Möglichkeit, am Tattage könnten kurzfristig andere Bandenmitglieder für die drei Genannten eingesprungen sein, schließt der Senat aus." Wer das Motorrad lenkte, wer geschossen hat und wer im Fluchtwagen wartete, ließ das Gericht offen. Mittäter seien die drei auf jeden Fall.

Die Beweisführung ist also einigermaßen überzeugend, aber keineswegs zwingend. So könnte einer drei Männer auch Wisniewski gewesen sein, nach dem damals noch nicht gefahndet wurde. Zwei Zeugen, die von einer zierlichen Person, vielleicht einer Frau sprechen, werden im Urteil nicht einmal erwähnt.

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