Der Kater nach dem Merkel-Rausch

Mit ihrem Auftreten blendet die Kanzlerin die Forschergemeinde – doch die Euphorie verfliegt beim Blick auf ihre Pläne

BERLIN taz ■ Vielleicht sollte die Wissenschaft das untersuchen: Den „Wow-Effekt“, den die Bundeskanzlerin auslöst, wenn sie irgendwo das erste Mal aufkreuzt. Mittwochabend war beste Gelegenheit dazu, denn da erschien Angela Merkel bei der Helmholtz-Gemeinschaft, dem größten Forschungsarbeitgeber Deutschlands mit 26.000 Leuten. Offenbar ein Heimspiel für die Physikerin Dr. Merkel.

Die Forscher waren wie hingerissen von der Kanzlerin. Die warf zwar die üblichen Innovationsfloskeln ab („… ohne Kreativität geht heute nichts mehr …“), aber sie stand sicher im Stoff. Sie beklagte die „Wertschöpfungsverluste“, die entstehen, wenn deutsche Erfindungen anderswo in Reihe produziert werden – etwa der Computer. Und sie forderte, dass der Exzellenzwettbewerb für Elite-Unis „ein Exzellenzwettbewerb bleiben muss und kein Regionalwettbewerb werden darf“. Das gab Beifall.

Was den Wissenschaftlern an Merkel am meisten gefällt: Sie sagt offen, was sie denkt – dass die Bundesländer sich nicht richtig um die Hochschulen kümmerten. Oder dass die Ärzte nicht bei der neuen Supertechnologie Gesundheitskarte mitmachten. Sogar einen Blondinen-Lapsus der Kanzlerin beklatschte das Publikum. Helmholtz wirbt mit dem Motto „helle Köpfe“. Darauf die Kanzlerin: „Damit meinen sie ja nicht Blondinen, sondern Leute, die wirklich was im Kopf haben.“ Der Saal tobte.

Allerdings hat das Phänomen Merkel noch einen zweiten Aspekt: den schnellen Kater nach dem Merkel-Rausch. Merkel hatte nichts mitgebracht – außer einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Im Gegenteil. Die Kanzlerin bereitete das Auditorium darauf vor, dass aus dem versprochenen 3-prozentigen Forschungsanteil am Bruttoinlandsprodukt bis 2010 wohl nichts wird. Das sei doch sehr anspruchsvoll, meinte Merkel – weil das Sozialprodukt derzeit so schnell wachse. „Eine schwierige Aufgabe.“

Das ließen die Forscher ihr nicht durchgehen. Der Präsident der Helmholtzgemeinschaft, Jürgen Mlynek, sagte: „Eine Qualifizierungsoffensive für Deutschland wird es nicht zum Nulltarif geben.“ Eine eindeutige Replik auf Merkels Bemerkung bei der Kabinettsklausur in Meseberg, die neue Bildungsoffensive werde „kostenneutral“ erwirtschaftet. Und auch die führenden Leute der Rektorenkonferenz und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hakten nach. „Wir brauchen 20 bis 30 Prozent mehr Finanzmittel für die Lehre“, sagte DFG-Präsident Matthias Kleiner der taz. Die Leibnizpreisträgerin Magdalena Götz, die trotz Rufen aus den USA in Deutschland blieb, mahnte: „Es gibt hier noch viel zu tun an Förderungen, wenn man sich ansieht, was in den USA geboten wird.“ Merkel hörte das nicht, sie war schon zum nächsten Termin abgerauscht – „Wow-Effekte“ auslösen. CHRISTIAN FÜLLER