Regisseur Pasolini: Rätselhafter Tod in Ostia

Die Ermittlungen zum Pasolini-Mord sollen wieder aufgenommen werden. Bis heute ist unklar, ob es die Tat eines einzelnen Strichers war.

Filmregisseur Pier Paolo Pasolini während Dreharbeiten 1962 Bild: dpa

"Eile müssen wir ganz gewiss nicht an den Tag legen, nach all den Jahren, die seit der Tat vergangen sind." Bittere Ironie schwingt mit in der Stimme Guido Calvis, als er auf die Frage antwortet, wann er die Ergebnisse seiner neuen Ermittlungen zum Tode Pier Paolo Pasolinis vorlegen werde.

Fast 32 Jahre sind seit jenem 2. November 1975 vergangen, an dem Pasolini nachts auf einem staubigen Sportplatz in Ostia erschlagen wurde. Blitzschnell war der Fall damals gelöst: Noch in der Nacht hatte die Polizei einen 17-Jährigen, der im Sportwagen Pasolinis unterwegs war, wegen Geschwindigkeitsübertretung festgenommen; am nächsten Tag dann hatte der Junge, Pino Pelosi sein Name, ein Geständnis abgelegt. Auf dem Vorplatz des Bahnhofs Termini in Rom habe Pasolini ihn am Abend aufgegabelt. Nach einem Essen sei es dann weiter nach Ostia gegangen, und dort sei der berühmte Regisseur und Schriftsteller zudringlich geworden, habe versucht, ihm die Hose runterzuziehen. Da sei er, Pelosi, ausgerastet, und habe Pasolini totgeschlagen. Das klang plausibel, denn dass Pasolini intensiven Kontakt zu Roms "ragazzi di vita" pflegte, war nur allzu bekannt.

Fast 32 Jahre schon verbringt Guido Calvi damit, diese Tatversion zu widerlegen. Calvi, einer der berühmtesten Rechtsanwälte des Landes und zugleich Politiker - er sitzt für die Linksdemokraten im Senat -, hatte in den Prozessen gegen Pelosi die Familie Pasolinis als Nebenkläger-Anwalt vertreten. Ein wichtiges Resultat konnte er damals erreichen: Das Urteil hielt fest, dass Pelosi den Mord "in Mittäterschaft mit Unbekannten" verübt hatte.

Das war es aber auch schon - die Staatsanwaltschaft stellte alle weiteren Ermittlungen ein. Dabei waren die Ungereimtheiten allzu offensichtlich: Blutspuren fanden sich auch über der Beifahrertür von Pasolinis Auto; Pasolini war ein durchtrainierter Sportler, der von dem körperlich unterlegenen Pelosi wohl kaum ohne Mithilfe anderer zu überwältigen war; im Auto fanden sich Kleidungsstücke und Schuhe, die weder dem Opfer noch dem Täter gehörten.

Vor allem aber: Pasolini war eine der wichtigsten Stimmen der italienischen Linken, der das Establishment, den "Palazzo" der Christdemokraten wütend attackierte, der zum Beispiel erst kurz vor seinem Tod rundheraus verkündet hatte, er kenne die Verantwortlichen für die vielen Blutbäder, die von Faschisten und Geheimdiensten organisierten Bombenanschläge, die seit 1969 Italien immer wieder erschüttert hatten. Weit wahrscheinlicher als ein Stricher-Delikt erschien da ein gezielter politischer Mord.

Bei dem puren Verdacht wäre es wohl geblieben, wenn sich im Jahr 2005 nicht Pino Pelosi erneut zu Wort gemeldet hätte. In einem spektakulären TV-Interview verkündete er, er habe Pasolini bloß in die Falle gelockt, erschlagen hätten ihn dann drei Faschisten. Nach dem Mord seien er und seine Familie massiv bedroht worden, deshalb rede er erst jetzt, nachdem seine Eltern verstorben seien. Das Manko an dem Geständnis: Die Namen seiner vorgeblichen Mittäter nannte Pelosi nicht.

Noch einer aber redete in jenem 30. Todesjahr Pasolinis: Sergio Citti, enger Freund Pasolinis; der Römer hatte über Jahrzehnte gleichsam als "Dialektberater" an Pasolinis Büchern und Filmen mitgewirkt. Citti berichtete dem unermüdlichen Anwalt Guido Calvi im Jahr 2005 von einem mysteriösen Diebstahl: Pasolini waren diverse Original-Filmrollen von "Salò" entwendet worden, dann wurde dem Regisseur von einigen Jugendlichen der Rückkauf des Diebesguts angeboten.

Darf man Citti glauben, so war Pasolini an jenem Abend des 1. November gar nicht auf der Suche nach Jungs, sondern auf dem Weg in eine absichtsvoll gestellte Falle. Auch das Motiv benannte Citti: Pasolini arbeitete damals an dem Roman "Petrolio", in dem es um die korrupten Geschäfte des italienischen Erdölkonzerns ENI ging - und um den ungeklärten Mord an dem ENI-Chef Enrico Mattei, dessen Flugzeug im Jahr 1962 mit einer Bombe zum Absturz gebracht worden war: ein weiteres der vielen "italienischen Mysterien" im Dickicht von Politik, Mafia, Geheimdiensten. Am Ende des Gespräches erklärte Citti rundheraus: "Ich kenne die Mörder Pasolinis." Doch auch er nannte keine Namen; und kurz nach seinen Enthüllungen starb er. So war es für die Staatsanwaltschaft im Jahr 2005 ein Leichtes, die Ermittlungsakten kurz aufzuklappen, um sie sofort wieder zuzumachen.

Roms Bürgermeister Walter Veltroni will sich mit dieser Entscheidung nicht abfinden. Er hatte Pasolini schon als 14-Jähriger kennen gelernt, als Aktivist des linken Schülerkollektivs seines Gymnasiums, das regelmäßig von dem Regisseur Besuch erhielt. Und Veltroni hatte den Kontakt dann in den letzten Jahren vor Pasolinis Tod intensiviert; der mittlerweile 18-Jährige gehörte da schon zur Führungsspitze der kommunistischen Jugend in Italiens Hauptstadt, die einen regen Dialog mit dem von der KPI als Häretiker - und Schwuler - äußerst skeptisch beäugten Intellektuellen pflegte. Veltroni ist heute noch der Meinung, der Mord an Pasolini sei gleichsam eine "Markscheide" im Italien der Siebzigerjahre gewesen, ein Fanal für das bald deutlich werdende Scheitern der Aufbruchshoffnungen im Land.

Deshalb will Veltroni sich nicht damit abfinden, dass der Mord an Pasolini unaufgeklärt bleibt. Zusammen mit mehr als 700 italienischen Intellektuellen lancierte er einen Appell zur Wiederaufnahme des Falls. Und er beauftragte Anwalt Guido Calvi mit neuen Ermittlungen. Doch Klarheit könnte nur einer wirklich schaffen: Pino Pelosi.

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