Indie-Pop: Die auf die Tuben drücken

Architecture in Helsinki haben auf dem Mailweg zwischen zwei Kontinenten ein neues Album gemacht. Die Partyversion des gefühligen New Weird America.

So sieht ein Spaßguerilla-Kollektiv aus, dass aus Australien stammt und sich irgendwas mit Helsinki nennt. Witzig. Bild: promo

Großbands kennt man ja inzwischen, also Bands mit mehr als den gerade noch normalen fünf Mitgliedern. Die Neumystiker von The Arcade Fire gehören dazu, die Broken Social Scene mit ihrem strikten "Jeder darf mal mitmachen"-Prinzip und die verstrahlte Hippie-Kommune der Polyphonic Spree. Gemeinsam ist diesen Großbands nicht nur das unübersichtliche Gewimmel auf der Bühne, sondern auch ein durch schiere Instrumentenmasse sich auszeichnender Sound. Ein Sound, der deswegen oft genug esoterisch anmutet. Glück, wird suggeriert, entsteht durch gemeinsames Dröhnenlassen der Verhältnisse.

Architecture in Helsinki, die weder aus Finnland kommen noch in einem Architekturbüro zusammengefunden haben, sind da anders. Die Band aus Melbourne, Australien, setzt zwar ebenfalls ausgiebig auf Freaktum und Unvorhersehbarkeit, aber weniger auf Emo-Ernsthaftigkeit, sondern mehr auf Spaß. Gute Laune statt vermessener Gefühlsausdrucksversuche. Was steckt dahinter?

Ein Spaßguerilla-Kollektiv, das einen harten Ein-Personen-Kern hat. Diese Person, die alle Fäden in der Hand hat und die Band auch mal eben über den gesamten Erdball nach New York bestellen kann, seiner neuen Wahlheimat, ist Sänger und Liedschreiber Cameron Bird, ein schlanker, nicht unbedingt hübscher Mann mit wirren Haaren um die dreißig. Neben ihm, sozusagen direkt im zweiten Glied, steht Kellie Sutherland, eine selbstsichere und kluge junge Frau mit Knubbelgesicht. Die beiden sind die Wortführer der Band und halten ihre Gesichter in Kameras, Mikrofone und Diktiergeräte.

Trotzdem, die beiden bestehen darauf, ist das, was zählt bei Architecture in Helsinki, das Kollektiv. Bis zur Vorgängerplatte "In Case We Die" bestand es noch aus acht Personen, zwei mussten inzwischen gehen. Die sechs Gebliebenen präsentieren sich gern mit bunten Klamotten, merkwürdigen Hüten und sonst wie schrillem Gehabe; einer von ihnen, Jamie Mildren, nennt einen überlangen Bart sein eigen. Neohippies also, die sich auf der Bühne und in ihren Texten mit Aufenthalten in einem durchgedrehten Liebe-und-Abenteuer-Land vorlieb nehmen.

Die Musik dazu ist selten kompakt oder konzentriert, sondern stets überbordend, schlingernd und waghalsig. Das für das neue Album zentrale Stück "Heart It Races" zum Beispiel wird die erste Single seit den Glanzzeiten Harry Belafontes sein, in der karibische Steel Drums eine wesentliche Rolle spielen. Auch sonst geizt die Band nicht mit seltsamen Instrumenten und komischen Sounds - es gibt Tuben und andere Bläser und quietschige Keyboards. Dazu Sutherlands Stakkato-Gesang und die Stimme Birds, die zwischen den Modi "Wimp", "normal", "cheesy" und "Falsett" einiges ausprobiert.

Die Strukturen sind offen: Refrains kippen in den Wahn, plötzlich taucht ein Chor auf, ein Videospielfiepen unterstützt die Melodie. Und immer geht es beschwingt zu, ja geradezu karibisch, nicht nur wegen der Steel Drums. Im Wesentlichen könnte man sagen: Architecture in Helsinki schließen an den 80er-Jahre-Funk an. Sie könnten aber auch die Erben der späten B-52s sein - oft genug denkt man irgendwie an "Love Shack". Eine Band mit diesen beiden Polen gibt es nicht allzu oft.

Vor gut einem Jahr ist Cameron Bird nach New York gezogen, hat angefangen, an neuen Stücken zu schreiben. Via Google bekam er Kontakt zu Chris Coady, so etwas wie der momentane Lieblingsproduzent der ganzen Stadt - von !!! bis zu den Yeah Yeah Yeahs arbeiten alle mit ihm. "Wir haben die Tracks wie Skulpturen gebaut", erzählt Bird. "Und zwischendurch ging das per Mail nach Australien und wieder zurück." Nach der digitalen Revolution ist es also problemlos möglich, eine Band über zwei Kontinente hinweg zu unterhalten. Auch eine große. In New York lebt Bird in puerto-ricanischer Nachbarschaft im Süden Williamsburgs. Da ist es natürlich laut, stickig und eng. Kein Vergleich zu Melbourne. "Melbourne ist ein bisschen wie Berlin", erklärt Kellie Sutherland. "Man hat viel Platz, es gibt ungefähr vier Millionen Einwohner, und es ist für eine Großstadt sehr billig da."

Als wesentlichen Einfluss geben die zwei den Bossa Nova an. Was doch recht seltsam anmutet - von der sonnenlichtträgen, langsamen Melancholie, die diese Musik atmet, fehlt bei Architecture in Helsinki jede Spur. Vielleicht zum Glück. Dieses australische Konsortium aus Freaks, das wie ein Haufen abgebrochener Lehramtsstudenten wirkt, die endlich mal die Sau rauslassen wollen, macht das schon ganz gut.

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