Armeejubiläum in China: Alle Reaktionäre sind Papiertiger

Chinas Volksbefreiungsarmee feiert ihren 80. Geburtstag mit einer großen Ausstellung im Pekinger Militärmuseum. Sie ist immer noch ein mächtiger Staat im Staate.

Chinesische Soldaten übern Friedenssicherung Bild: dpa

"Unsere Truppen marschieren zur Sonne" prangt es in meterhohen Schriftzeichen Gelb auf Rot vor Pekings Militärmuseum. Zackig grüßen Vertreter aller Waffengattungen vom Plakat herunter und die Bürger der Hauptstadt stehen Schlange. Die chinesische Volksbefreiungsarmee (VBA) ist am 1. August 2007 achtzig Jahre alt geworden und feiert sich mit einer Ausstellung.

Das Publikum setzt sich größtenteils aus den typischen Ein-Kind-Familien zusammen. Auch Soldaten sind zahlreich. Der Eintritt ist kostenlos, außerdem sind Ferien. Der Ort des Geschehens, das Militärmuseum, ist ein kolossales Gebäude aus den Fünfzigerjahren, als der große Vorsitzende Mao den Chinesen eine kommunistische Zukunft versprach. Bis heute grüßt er in der Eingangshalle überlebensgroß das Volk.

Über die Straße, an der das Museum liegt, rollten am 4. Juni 1989 die Panzer eben jener Volksbefreiungsarmee in die Stadt, um den friedlichen Protest der Studierenden auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit einem Blutbad niederzuschlagen. Darüber kann man bis heute in China nicht öffentlich reden. Trotzdem hat die VBA durch diesen Einsatz mehr als nur ein paar Kratzer an ihrem Image hinnehmen müssen. In den Achtzigern gehörten in China kleine Kinder in VBA-Uniformen noch zum alltäglichen Anblick auf Chinas Straßen, schon lange sieht man sie nicht mehr.

In der Ausstellung nun: Militärgerät zum Anfassen. Begeisterte Großeltern helfen ihren Sprösslingen auf die Sitze der Flugabwehrkanonen. Der alte Herr Liu fotografiert stolz seinen achtjährigen Enkel: "Als ich im Alter meines Enkels war, wollten wir alle Soldaten sein. Die Soldaten der Volksbefreiungsarmee waren unsere Helden, sie haben Chinas Unabhängigkeit erkämpft."

Die Ausstellung will aus durchaus aktuellem Anlass alte Mythen beschwören und neue Mythen erschaffen. Daher zeigt sie, wie aus dem kleinen Haufen von Guerilleros 1927 eine hochgerüstete und hochmoderne Armee des 21. Jahrhunderts geworden ist. Besonders bei der Darstellung der Modernisierungserfolge kommen neben über 2.000 Exponaten und einer unüberschaubaren Menge an Fotos auch modernes Multimedia und interaktive Installationen zum Einsatz. Unlängst geschossene Fotografien zeigen die Truppe dem Volke dienend: bei der Landesverteidigung und beim Hochwassereinsatz. Auch in diesem Jahr stehen wieder Teile Südchinas unter Wasser.

Anlässlich der Geburtstagsfeier der VBA in Pekings großer "Halle des Volkes" betonte Staats- und Parteichef Hu Jintao erneut die besondere Bedeutung der Armee in China: "Auf der Grundlage, dass unsere Wirtschaftskraft ununterbrochen wächst, werden die Investitionen in die Landesverteidigung stufenweise erhöht und wird die Modernisierung der Landesverteidigung und der Truppen ständig erweitert", sagte Hu. Und er betonte wie alle KP-Führer vor ihm die bedingungslose Unterordnung unter das Oberkommando der Partei.

Das Säbelrasseln hatte er einen Tag zuvor Verteidigungsminister Cao Gangchuan überlassen. "Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass sich Taiwan von China unter irgendeinem Vorwand oder auf irgendeine Weise abspaltet", sagte er. Das Antiabspaltungsgesetz von 2005 droht Taiwan für den Fall einer Unabhängigkeitserklärung mit Krieg.

Die chinesische Armee war nie nur eine gewöhnliche Armee. Eher gleicht sie einem Staat im Staate. Sie betreibt Schweinezucht und in ihren Fabriken wird die Kleidung für die Armee hergestellt. Zu ihren Aufgaben gehören der Bau von Brücken und Eisenbahnen, die Erschließung landwirtschaftlicher Anbauflächen und andere nationale Projekte. Die größten Wirtschaftsabteilungen der Armee wurden in den Neunzigern zu Konzernen umgebaut, die gemäß der marktwirtschaftlichen Veränderungen im Land Milliardengeschäfte mit Waffen, Medikamenten und Immobilien machten. Ihnen gehörten Hotels und Transportfirmen, die Armee war immer wieder in Schmuggelskandale und Korruptionsfälle verwickelt.

Diese große Machtfülle und wachsende Unabhängigkeit war der chinesischen Führung bereits seit längerem ein Dorn im Auge. Daher wurde gegen Widerstände aus der Armee 1998 das Wirtschaftsimperium der VBA beschnitten. Man entzog der Armee die direkte Kontrolle über einen großen Teil der 20.000 Firmen, die sie bis dahin verwaltet hatte. Eine Tätigkeit, die ihr jährlich rund vier Milliarden Euro einbrachte und eine gewisse Unabhängigkeit von der staatlichen Budgetierung sicherte.

Zur Armee gehört ebenfalls eine große "Kulturabteilung" mit tausenden Schauspielern, Sängern und Tänzern. So kann man sich von der vermeintlichen Friedensliebe des Militärs täglich im Fernsehen überzeugen: In eigenen Unterhaltungsshows knödeln uniformierte Tenöre Heimatlieder, das Publikum klatscht im Takt, und das Armeeballett tanzt dazu. Jeden Augenblick könnte ein chinesischer Karl Moik in Uniform aus den Kulissen springen. In den Kinos laufen von der Armee produzierte Filme, selbst Armeeschriftsteller gibt es.

Dass in der Ausstellung diese Machtkämpfe genauso fehlen wie die Toten, die Kämpfe und die Kriege der VBA nach der "Befreiung", wie in China offiziell die Machtübernahme 1949 heißt, fast völlig fehlen, ist Teil einer alltäglichen Propaganda. Zu dieser gehört allerdings auch, dass der Koreakrieg von 1950 bis 1953, der erste militärische Ernstfall des jungen Staates, in der Ausstellung als Heldentat gefeiert wird. Eine Million chinesische Soldaten, angeblich größtenteils Freiwillige, waren damals von Mao zur Bruderhilfe ins benachbarte Nord-Korea geschickt worden. Dieses hatte den Süden überfallen und sah sich nun einer Übermacht aus südkoreanischen und multinationalen UN-Truppen unter amerikanischer Führung gegenüber. Waffentechnisch unterlegen, aber erfahren im Guerillakrieg, nutzten die Chinesen ihre zahlenmäßige Überlegenheit: Es gelang ihnen, die Amerikaner aus Nordkorea hinauszudrängen. 673.500 Chinesen sind dabei gefallen, eine Zahl, die Hu gerade zum ersten Mal öffentlich bestätigt hat. Unter den Gefallenen war auch Maos Sohn Mao Anying. Ganz selbstlos war der Einsatz aber nicht, Äußerungen amerikanischer Generäle ließen die Chinesen fürchten, dass ihr gerade "befreites" Land selbst zum Kriegsschauplatz werden könnte.

Dagegen bleiben die militärischen Auseinandersetzungen mit Indien 1962 und der Sowjetunion 1969 um den richtigen Grenzverlauf und der Einfall in Vietnam im Januar 1979 unerwähnt. Die blutige Unterwerfung Tibets seit 1951 wird mit zwei Fotos abgehakt, von denen eins einen hilfsbereiten Soldaten in Lhasa zeigt. Ganz so, als sei er Teilnehmer einer der vielen Benimmkurse, die derzeit allenthalben in Peking zur Vorbereitung auf Olympia im nächsten Jahr stattfinden, und nicht etwa Teil einer Besatzungsarmee, die den Tod von etwa einer Million Tibeter mit zu verantworten hat. Unerwähnt bleiben auch die Einsätze der VBA im Innern: als letztes Mittel zur Kontrolle der entfesselten Rotgardisten während de Kulturrevolution und im oben erwähnten und von der Bevölkerung unvergessenen Juni 89.

Trotzdem ist die Ausstellung kein Produkt ewiggestriger Propagandisten. Sie hat die recht gegenwärtige Aufgabe, die weiterhin wichtige Rolle des Militärs in der Landesverteidigung, aber auch ihre Funktion als verlängerter Arm der Partei zu legitimieren. Jeder chinesische Führer, von Mao bis zu Hu Jintao heute, hatte neben dem Vorsitz der Partei und den wichtigsten Staatsämtern immer auch den Vorsitz der "Zentralen Militärkommission" inne. Mit diesem Staats- und Parteiorgan (und nicht etwa im Verteidigungsministerium) setzt die Kommunistische Partei ihren Anspruch auf Führung des Militärs durch.

Die chinesische Armee ist die größte der Welt. 2,4 Millionen Soldaten verfügen mittlerweile über eine moderne Ausrüstung. Seit den Sechzigern ist China Atommacht. Aktuell wachsen die Militärausgaben mit der Wirtschaftskraft Jahr für Jahr in zweistelligen Raten, 2007 sogar um fast 18 Prozent. Zwar ist die Truppe zwischen 1997 und 2000 um 500.000 Mann reduziert worden, aber gleichzeitig ist China zum größten Waffenimporteur der Welt aufgestiegen und hat seine militärische Schlagkraft enorm gesteigert.

Die Ausstellung schwelgt daher auch in der Zurschaustellung militärischer Potenz, in Heldeninszenierungen, Pathos und Ballerspielatmosphäre. Nahe dem Ausgang kommt es zum Crescendo. Hier rummst und knallt es gewaltig und auf einem großen Bildschirm ist Action zu sehen: Panzer jagen durch Sanddünen, Schlachtschiffe feuern Rakete ab. Nach dem ohrenbetäubenden Lärm tritt der Besucher ins Freie und sein Blick fällt wiederum auf meterhohe Schriftzeichen, welche die Führungsrolle der Partei erneut beschwören: "Auf die Partei hören, dem Volke dienen, tapfer kämpfen."

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