Liars: Dreistigkeit mit Tradition

Die Liars haben von Berlin und L.A. aus ein neues Album gemacht und die nächste Stufe ihres Anti-Erwartungshaltungs-Tuns erreicht. Mit "Liars" frönen sie dem hymnischen Pop.

Liars: Mit gewöhnlichem Zeug noch experimenteller Bild: Joe Dilworth

Im Flur stehen Umzugskartons. Angus Andrew ist auf dem Sprung. Am nächsten Tag wird er nach Los Angeles ziehen. Dorthin, wo in den Neunzigern zwischen Kunsthochschule und Plattenladen seine Band Liars gegründet wurde, und wo seine Bandkollegen Aaron Hemphill and Julian Gross seit einigen Jahren wieder beheimatet sind. Er wird sich dort eine Wohnung nehmen, lässt aber ein paar Kisten hier, in einem Hinterhofhaus in Berlins Zentrum.

Nach drei Jahren in Kreuzberg lautet Angus Andrews neue Adresse dann "Berlin-Mitte/L.A.". "Jetzt bin ich ein Mitte-Boy!" Angus Andrew lacht, wohl wissend, dass er dem Stereotyp des sleeken Szene-Berliners nicht entspricht. Er trägt ein schwarz-weißes Shirt mit Peace-Zeichen auf der Brust und verwaschene rote Jeans. Den Trends aus dem Weg zu gehen, damit kennt der Liars-Sänger sich aus. Williamsburg, New York, wo die Band 2001 ihre erste Platte gemacht hat, ist zum Synonym für den Post-Punk-Hype der Nullerjahre avanciert. "They Threw Us In A Trench And Stuck A Monument On Top" nannten die Liars ihr Debüt, und dieser Titel hat eine gewisse zeitdiagnostische Qualität. Mit Radio 4, The Rapture, TV On The Radio und den Yeah Yeah Yeahs wurden die Liars damals kurzerhand zu Protagonisten dieser neuen, Disco-affinen Artschool-Szene erklärt.

Ihr Werdegang war von hier an durch die bewusste Unterwanderung sämtlicher Erwartungen an die jeweils nächste Platte bestimmt. Was ihnen grandios gelang. Das Konzeptalbum "They Were Wrong, So We Drowned" veranlasste den amerikanischen Rolling Stone 2004 zur schlechtesten Punktwertung in seiner Geschichte, und nicht nur hier wurde die Arbeit der Liars kontrovers diskutiert. "Dieses Gang-Of-Four-Ding hat in unseren Augen nicht viel getaugt. Wir wollten den Kahn zum Kentern bringen", fasst Andrew ihr Anliegen mit "Drowned" zusammen. Auch die Idee zur Nachfolgeplatte "Drum's Not Dead" (2005) ist aus einer Antihaltung geboren, inspiriert vom neuen WohnortBerlin, wo anstelle des Schlagzeugs der Drumcomputer den Beat diktiert. "Liars", die vierte, heute erscheinende Platte klingt da vergleichsweise affirmativ.

taz: Mr. Andrew, Ihr neues Album hat eine neue Gangart. Fast jedes dritte Stück ein Pop-Song, ganz am Ende ein hymnischer Refrain. Alles Zugeständnisse, die den Anschluss an die restlichen, komplexeren Tracks erleichtern sollen?

Angus Andrew: Meine Angst war eher, ob die Leute sich daran stören, dass keine wirklich interessanten Sounds auf dieser Platte sind. Also musste ich die Pop-Songs jeweils mit einem interessanten Song absichern. Im Prinzip ist "Liars" weit experimenteller als die anderen Platten, denn wir wollten eine Lösung finden, wie wir mit allzu gewöhnlichem Zeug umgehen können. Wir haben mit unserer Musik die moderne Kunst durchschritten und sind jetzt überraschend zu den Anfängen zurückgekehrt. Dieses Album ist ziemlich traditionell, man könnte seinen Ansatz mit einem impressionistischen Landschaftsgemälde vergleichen. Für uns war es eine Herausforderung, auf dieser Ausgangsbasis etwas entstehen zu lassen, das vital ist und eben auch neu und interessant.

taz: Das Vorgängeralbum "Drum's Not Dead" war dann folglich die postmoderne Liars-Platte?

Andrew (lacht): Postmodern sind wir schon vorher gewesen. "Trench" war so etwas wie eine Fotographie, ein schwarz-weiß-Schnappschuss, künstlerisch aufgemacht, aber eben ein Foto, ein zweidimensionaler Still. "Drowned" sehe ich dann als postmoderne Installation im Raum. "Drum" entspricht einem Video-Film. Und jetzt kommt diese dreiste Platte, die einfach nur ein Gemälde ist.

taz: Überhaupt haben Sie eine ungewöhnliche Art, die Dinge in Reihe zu bringen: Während der Entstehungsphase von "Liars" lebten Sie in Berlin, ihre Kollegen in L.A.. Jetzt, da die Platte fertig ist, werden Sie alle zum ersten Mal seit langem wieder gemeinsam an einem Ort sein.

Andrew: Wenn wir an einer Platte arbeiten, ist es für uns von Vorteil, voneinander getrennt zu sein. Wir schreiben Songs immer separat. Ich selbst kann am besten arbeiten, wenn ich mich isoliere, und insofern ist Berlin für mich ein idealer Ort. Ich spreche die Sprache nicht, ich lese hier selten Zeitung und ich sehe kaum fern. Ich bin nämlich eigentlich ein Nachrichten-Junkie. In Berlin zu sein, heißt für mich: Ich konsumiere das alles nicht. Diese Rückzugsmöglichkeit halte ich mir offen. Jetzt aber, da die Tour ansteht und wir uns überlegen müssen, wie wir die Platte live performen, ist es wichtig, dass ich viel Zeit mit Aaron und Jason verbringe.

Den experimentellen Faktor ihrer Platten wussten die Liars live stets zu potenzieren. Unberechenbare Momente, die nur darauf warten, live zum Ausufern gebracht zu werden, fehlen auch auf der aktuellen Platte nicht - trotz Andrews neuem Hang zum Pop: Dem hibbeligen Disco-Track "Houseclouds" folgt das düster-verdronete "Leather Prowler", den Song "Cycle Time" leitet, bar jeglicher Scham, ein dreckiges Metal-Riff ein. Selten wurden dermaßen viele potienziell hassenswerte Klischees zu so großartigen Songs verbaut wie auf dieser Platte. Wer also mit "Liars" eine simple musikalische Rob-Ross-Landschaft in Öl erwartet, wird von Andrew in die Irre geführt.

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