Ägyptens Intellektuelle: In der Zwickmühle der legalen Politik

Die säkularen Schriftsteller und Denker Ägyptens sind die Verlierer im Kampf zwischen Islamisten und Staat. Die Justiz bietet kaum noch Schutz.

Scheich Yussuf al-Badri auf der Suche nach unislamischen Inhalten Bild: dpa

Der Scheich Yussuf al-Badri interessiert sich für die Werke ägyptischer Schriftsteller, doch für eine eingehende Lektüre reicht seine kostbare Zeit nicht. Stattdessen sucht er in Sachbüchern, Romanen und Gedichten nach einem Wort, das er als unislamisch, ketzerisch oder religionsbeleidigend deutet. Findet er ein solches, bezeichnet er den Autor als ungläubig, als Apostaten und verlangt womöglich seine Zwangsscheidung.

Man darf diesen Scheich aber nicht als einen "Extremisten" oder "Feind des freien Denkens" bezeichnen. Tut man dies, wie es der bekannte Dichter Ahmad Abdel-Muti Higazy in einem 2003 veröffentlichten Artikel gewagt hat, rächt sich der Scheich sofort: Er strengt einen Prozess gegen den Dichter wegen Verleumdung an, verlangt eine Entschädigung in Höhe von 20.000 ägyptischen Pfund (etwa 3.300 US-Dollar) - und gewinnt. Der 72-jährige Dichter Higazy, einer der großen Erneuerer der modernen Poesie in Ägypten, lehnt es bis jetzt ab zu zahlen, weil er darin nur einen weiteren Angriff der Islamisten gegen die Meinungsfreiheit sieht. Deshalb drohte ihm am 8. August dieses Jahres die Zwangsversteigerung seiner Möbel. Higazy ging in letzter Minute in die Revision und konnte die Vollstreckung des Urteils noch einmal abwenden - vorübergehend.

Es ist der letzte in einer langen Reihe von Fällen, mit denen die Fundamentalisten die ägyptischen Säkularisten einschüchtern beziehungsweise mundtot machen wollen. Einer der spektakulärsten war der Fall Nasr Hamid Abu Zaid. Auch hier war es Scheich al-Badri, der als selbsternannter Moralwächter eine Lücke im islamisch orientierten Gesetz Ägyptens entdeckte und 1995 per Gerichtsbeschluss die Scheidung des kritischen Islamwissenschaftlers Abu Zaid von seiner Frau erzwang. Der liberale Koranforscher Abu Zaid plädiert in seinen Werken, wie in seinem ins Deutsche übersetzten Buch Kritik des religiösen Diskurses, dafür, den Text des Korans in seinem historischen Kontext zu lesen. Er vertritt die These, dass der Koran auch mit hermeneutischen Theorien analysiert werden dürfe. Das missfiel dem Scheich und anderen islamistisch-fundamentalistischen Kreisen: Abu Zaid sei mit seinen Gedanken vom Glauben abgefallen. Nach dem Urteil musste Abu Zaid um sein Leben fürchten, das hatten die Ereignisse der vorangegangenen Jahre gelehrt.

Ein Jahr davor hatte ein junger Islamist den Nobelpreisträger Nagib Mahfuz wegen seines "ketzerischen" Romans "Die Kinder unseres Viertels" mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt, der damals 83-jährige Romancier erholte sich von diesem Anschlag bis zu seinem Tode 2006 nicht. Aufgrund einer ähnlichen Fatwa wurde 1992 Farag Foda, einer der vehementesten Vertreter der Trennung von Staat und Religion in Ägypten, ermordet. Im Gericht verteidigte ein anderer bekannter Scheich, Muhammad al-Ghazali, den Täter, dieser habe ja einen Apostaten getötet. Abu Zaid sah sich gezwungen, Ägypten zu verlassen. Seitdem lebt und forscht der 64-jährige Islamwissenschaftler an den niederländischen Universitäten Leiden und Utrecht.

Al-Badri feierte seinen Sieg, indem er rund 30 andere Prozesse der Zwangsscheidung gegen Symbole des liberalen Kulturlebens in Ägypten anstrengte, vom Romancier Nagib Mahfuz über den Schauspieler Adel Imam bis zum Dichter Abdel-Muti Higazy. In der Folge dieser Ereignisse änderte man schließlich dieses sogenannte Hisba-Gesetz, so dass nun Einzelpersonen, die nicht direkt betroffen sind, keine Zwangsscheidung mehr durchsetzen können.

Ein anderer Fall ist der Schriftsteller Sayyid al-Qimni, der mit seinen kritischen, religionswissenschaftlichen Schriften den Unmut der Islamisten provozierte, bis er 2005 die Drohung bekam, entweder höre er auf zu schreiben oder er werde das gleiche Schicksal wie sein Kollege Farag Foda erleben. Seitdem hat al-Qimni keine einzige Zeile mehr veröffentlicht.

Die Schriftstellerin Nawal al-Sadawi wurde von den Fundamentalisten als ungläubig bezeichnet, denn sie habe mit ihren in viele Sprachen übersetzten Romanen Gott und den Islam beleidigt. Man versuchte, ihre Zwangsscheidung durchzusetzen, doch zog al-Sadawi es vor, Ägypten in Richtung USA zu verlassen. Sogar der Philosoph Hassan Hanafi, der den Muslimbrüdern nah steht, blieb von den Angriffen der Islamisten nicht verschont, da er für die Werte der Aufklärung und des Säkularismus plädiere.

Nach seiner Verhaftung sagte der junge Fundamentalist, der Nagib Mahfuz angegriffen hatte, Mahfuz sei ein Ungläubiger, das habe der Roman "Die Kinder unseres Viertels" bewiesen. Hatte er den Roman gelesen? Nein, lautete die Antwort, er habe keine Zeit, solch ketzerische Schriften zu lesen; es liege eine Fatwa vor, das reiche. Es gibt also eine Art Arbeitsteilung zwischen den Islamisten. Die einen erlassen die Fatwas, die anderen setzen sie um, eine dritte Gruppe verteidigt sie (der Verband der ägyptischen Anwälte ist fest in den Händen der Muslimbrüder) und den Islamisten nahe stehende Richter verkünden die Urteile.

Vorbei ist die Zeit, da die Fundamentalisten ihre Ziele mit blutigen, spektakulären Anschlägen durchsetzen wollten, der letzte Anschlag in Ägypten geschah 1997. Jetzt versuchen sie mit anderen Mitteln, die Gesellschaft zu beherrschen. Nach relativ freien Wahlen sitzen sie im Parlament (etwa ein Fünftel der Sitze), und mit einem gut funktionierenden Sozialnetz erreichen sie die Armen, die vom korrupten Staat im Stich gelassen worden sind. Die Islamisten unterwandern Polizei und Justiz (siehe die Verfahren zur Zwangsscheidung und zum Fall Higazy), sie berufen sich, wenn es ihnen passt, auf die Menschenrechte und die Zivilgesellschaft, ansonsten beschimpfen sie Tag und Nacht ihre Feinde als "Säkularisten".

Und der Staat? Er konkurriert mit den islamistischen Gruppen, um die religiös orientierten Massen zu gewinnen. Vor ein paar Monaten hat der ägyptische Kulturminister Farouk Hosni in einem Zeitungsinterview einen für ihn folgenschweren Satz gesagt: Er betrachte den Schleier als ein Zeichen der Rückständigkeit. Nach anfänglichen Rücktrittsforderungen gab es eine Befragung im Parlament, in der der Minister nicht nur von den Muslimbrüdern angegriffen wurde. Seine Kollegen in der regierenden Partei der Nationaldemokraten überboten die Islamisten in der Heftigkeit ihrer Attacken. Der Minister entschuldigte sich für seine Worte, die "missverstanden" worden seien.

Ebenso wie die Islamisten instrumentalisiert auch das Regime die Religion, um seine Macht zu bewahren. Verfolgt der ägyptische Staat weiterhin diese Politik, werden al-Badri und andere ihre spezielle Lektüre der Werke ägyptischer Schriftsteller fortsetzen. Die Freiheit von Forschung und Lehre und der Meinungsäußerung wird auf der Strecke bleiben.

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