Rap vom Ghetto: Die Hotspots des Realen

Es gibt Widersprüche zwischen Lied und Leben. Im Berliner Hiphop verschränken sich Sehnsucht nach und Angst vor den Ghettos.

Inszenierte Ghetto-Männlichkeit: Oriental-Macho-Rapper Bushido. Bild: dpa

"Wir sind 16 Fäuste, / gegen dein ganzen Clan! / Das Ghetto kriegt fame, / wenn die Sekte, / Stress macht!" (Die Sekte, Ansage Nr. 3)

Das "Ghetto" - einst selbstverwaltetes Stadtviertel der Afroamerikaner, als industrielle Reservearmee - hat sich gewandelt. Es ist nun eine Abschiebezone für Überflüssige geworden, die ihr Erforscher Lois Wacquant "Hyperghetto" nennt. Damit einher ging seine Islamisierung und der Aufstieg des Hiphop. Im Gegensatz dazu bezeichnet Wacquant die nach wie vor von Weißen, Arabern und Afrikanern gemeinsam bewohnten "Banlieues" als bloße "Armenviertel". So könnte man auch die Bezirke Kreuzberg, Neukölln, Wedding und Märkisches Viertel in Berlin nennen.

Von den als besonders hart und pornografisch verschrienen Berliner Hiphop-Gruppen werden sie dessenungeachtet stets als "Ghettos" besungen, aus denen diese vorwiegend türkisch-arabischen Rapper selber stammen - weswegen ihre Songs auch als ganz besonders echt und "authentisch" gelten. Ihnen voraus ging eine Medienkampagne, die gegen die drohende "Ghettoisierung" in den oben erwähnten Bezirken der neudeutschen Hauptstadt berichterstattete und dabei vor dumpfesten Übertreibungen nicht zurückscheute.

Die rappenden Berliner "Ghetto-Kids", die die "Realität" mit all ihren Gemeinheiten vorgeben zu kennen, setzen da nun noch einen drauf. Wobei es unter ihnen jedoch immer wieder zu Auseinandersetzungen darüber kommt, wer denn "authentischer" sei. Denn zwischen Lied und Leben tun sich zunehmend Widersprüche auf: So singt etwa der Tempelhofer "Hardcore-Rapper" Bushido einerseits davon, dass er derjenige sei, "der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint, der pervers ist und Nutten vögelt Und der euch alle tötet." Andererseits tritt er jedoch beim Bravo-Open-Air "Schau nicht weg - Gegen Gewalt in der Schule" auf. Der MdB Omid Nouripour, Sprecher der Grünen Bundesarbeitsgemeinschaft MigrantInnen und Flüchtlinge, begrüßte es ausdrücklich, "dass die Zeitschrift Bravo auf ihrem Antigewaltkonzert Bushido auftreten lässt, der in seinen Texten Gewalt verherrlicht". Weil er nur so "seine Reime vom Anspruch der ,Realness' entfremdet."

Das ist sehr hegelianisch gedacht. Der schwäbische Philosoph war wie Goethe der Auffassung, das permanente Jagen nach Authentizität sei ein Missverständnis der geistigen Natur des Menschen. Sichanderswerden und Selbstentfremdung müssten vielmehr als notwendige Phasen im Zu-sich-Kommen des Geistes verstanden werden, der schließlich die Souveränität erreiche, im scheinbar Geistfremden zu Hause zu sein. Für dieses Fading-Away der "Realness" im Erfolg bietet sich der Übergangs-Begriff "authentische Inauthentizität" an. Demnach stünde der Berliner "Oriental-Macho-Hiphop" auf der Kippe: Schmiert sich da ein folgsames Räderwerk ein oder bereitet sich eine Höllenmaschine vor? Künden die Rapsongs vom kommenden Aufstand oder ist der Hiphop im Gegenteil gerade für "Kids", die in Armut leben, das richtige Beruhigungsmittel?

Der Spiegel ging dieser Frage bereits nach: auf dem "Ghaza-Streifen" - einem Teil der Neuköllner Sonnenallee, der vor allem von Palästinensern bewirtschaftet und belebt wird: Dort wird nun "das Geschäft der Straße mit den Mittel der Straße geführt". Der Spiegel-Reporter will herausgefunden haben, dass der Gangsta-Rapper Bushido da seine Schutztruppe aus den Kreisen einer "Araber-Familie" rekrutiert, die mit einem anderen "Clan" dort verfeindet ist, der wiederum dem Gangsta-Rapper Massiv die Body-Guards stellt. Seine Plattenfirma Sony BMG ließ verlauten, Massivs Texte seien "authentischer als die von Bushido". "Bei der letzten 'Echo'-Verleihung trafen sie aufeinander. Beide eskortiert von ihren Clans", so der Spiegel. "Die Echo-Verleihung ging ausgesprochen friedlich ab, und doch ist die Veranstaltung in den Akten des LKA verzeichnet, als ein besonderes Vorkommnis."

Sidos Label "Aggro Berlin" legt jedenfalls Wert auf die Feststellung, dass seine "Musik die Realität hier schildert". Unter Realität wird im Allgemeinen die Gesamtheit des Realen gefasst, wobei real das ist, was auch außerhalb des Denkens existiert. Sehen wir einmal von radikalen Konstruktivisten wie Heinz von Foerster ab, der sich auf einem Dahlemer Symposium zu der Behauptung verstieg: "Es gibt keine Realität!" Wenn man jedoch mitbekommt, wie die Bürgerpresse ihre Berliner Ghettoreportagen zusammenhaut und gleichzeitig den Rapsongs der Berliner Hiphopper über Drogen, Gewalt, schnelle Ficks und noch schneller Autos - beinharte "Realness" attestiert, möchte man dem Konstruktivisten glatt zustimmen. So oder so kann man damit aber eine Existenz begründen, die aus der Klammheit herausführt, deswegen sollte man die Berliner "Realität" und wie sie besungen wird, vielleicht als "wishfull thinking" begreifen, was auch die ewigen fordernden "Berlin-Berlin"-Rufe des Publikums auf den Rapveranstaltungen erklären würde.

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