Post von Goethe: Die Lust an der Provokation

Tono Eitel, ehemaliger Diplomat und heute Unterhändler in Sachen Kulturgüter, fordert die Rückgabe angeblicher "Beutekunst" von Polen - das nie Kriegsbeute in Deutschland gemacht hat.

Ex-Diplomat Tono Eitel beweist wenig Fingerspitzengefühl Bild: dpa

In der Krakauer Jagiellonen-Bibliothek liegen Briefe von Goethe, Schiller und Luther, Notenblätter von Mozart, Bach und Beethoven, seltene Landkarten und illustrierte Handschriften aus dem Mittelalter. Auch die deutsche Nationalhymne von Hoffmann von Fallersleben liegt in Polen. Die Bibliothekare der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin hatten die wertvollen Bestände aus Angst vor Luftangriffen der Alliierten nach Niederschlesien gebracht. Nicht vorausahnen konnten sie allerdings, dass die Grenzen Polens auf der Potsdamer Konferenz 1945 nach Westen verschoben würden. Die wertvollen Kisten der Preußischen Staatsbibliothek befanden sich somit 1945 auf polnischem Boden. Im allgemeinen Nachkriegschaos - Deutsche flüchteten und wurden vertrieben, KZ-Überlebende und Zwangsarbeiter kehrten zurück, polnische Vertriebene aus Ostpolen kamen an - gelang es polnischen Bibliothekaren, den kostbaren Schatz aus Berlin vor Plünderungen und der Deportation in die Sowjetunion zu retten und sicher nach Krakau zu bringen.

Von "Beutekunst" in Polen war bislang nie die Rede. Nun aber wirft Tono Eitel, ehemaliger deutscher UN-Botschafter in New York und seit fünf Jahren mit den Kulturgüter-Verhandlungen betraut, den Polen vor, den Deutschen etwas gestohlen zu haben. In einem Sammelband namens "Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg: Verlagerung - Auffindung - Rückführung" schreibt der 75-Jährige: "Grundsätzliche Beutekunstprobleme haben wir nur mit zwei ehemaligen Kriegsgegnern: Russland und Polen. Alle übrigen Staaten, auch von der Wehrmacht schrecklich verheerte wie die Ukraine, haben sich für eine Politik der Restitution entschieden."

Das Problem aber ist: Russland und die Ukraine geben tatsächlich Beutekunst zurück, die von der Roten Armee im besetzten Deutschland 1945 beschlagnahmt worden ist. Polen aber hat niemals Kriegsbeute in Deutschland gemacht. Es gibt also auch keine "Beutekunst" in Polen - und das weiß auch der ausgebildete Jurist Eitel. Dass er nun dennoch diesen schweren Vorwurf erhebt, hat wohl mit der niederschmetternden Bilanz der bisherigen Verhandlungen zu tun: In fünfzehn Jahren hat Deutschland absolut nichts erreicht.

Dabei ist die Interessenlage klar: Die Deutschen möchten die wertvolle Sammlung gerne wieder in Berlin sehen, während die Polen eine Kompensation für die enormen Kulturverluste anstreben, die sie durch die Nazis im Zweiten Weltkrieg erleiden mussten. Von Warschaus Forderung nach Wiedergutmachung der polnischen Kulturverluste aber will Eitel nun gar nichts wissen. Zwar seien der Kunstraub und die massenhafte Zerstörung polnischer Kulturgüter durch die Nazis völkerrechtswidrig gewesen, so Eitel, aber die Reparationsfrage sei bereits geregelt. Polen stehe keine weitere Wiedergutmachung für die Nazi-Verbrechen zu.

In Polen sieht man das anders. Auch wenn die "Berlinka", wie die Sammlungen der Preußischen Staatsbibliothek in Polen genannt werden, nur ausgelagert wurde, um sie in Sicherheit zu bringen, so befand sie sich doch 1945 auf polnischem Boden und wurde somit zu polnischem Eigentum. Einen rechtmäßigen Anspruch auf die Berlinka haben die Deutschen aus polnischer Sicht nicht. Dennoch sind Verhandlungen über eine Rückkehr möglich. Solange aber die Deutschen nicht wahrhaben wollten, dass sie im Zweiten Weltkrieg das polnische Kulturerbe systematisch vernichtet hätten, werde es keinerlei Bewegung im Kulturgüterstreit geben. Ohne eine großzügige Geste der Deutschen, ohne irgendeine Form der Wiedergutmachung werde die Berlinka niemals nach Deutschland zurückkehren.

Die Glasurne mit den Ascheresten eines verkohlten Buchs kennt auch Eitel. Von der einst berühmten Krasinski-Bibliothek in Warschau ist nur dieses Aschehäuflein übrig geblieben. Die Urne gilt als Symbol der deutschen Kulturverachtung gegenüber Polen. Nach dem Warschauer Aufstand 1944 zerstörten die Nazis drei Monate lang Polens Hauptstadt, fackelten die Nationalbibliothek Polens ab, hunderte anderer Bibliotheken sowie Archive mit wertvollen mittelalterlichen und neuzeitlichen Handschriften. Von Polens Kulturerbe blieb nur ein riesiger Trümmerhaufen übrig. Zuvor hatte bereits die "Haupttreuhandstelle Ost" im Auftrag von Reichsmarschall Göring Museen und Schlösser, Gutshäuser und Stadtpalais in Polen ausgeraubt. Ziel der Nazis war es, die Juden physisch und die Polen kulturell zu vernichten. Experten schätzen allein die materiellen Kulturverluste Polens im Zweiten Weltkrieg auf einen Wert von heute rund 20 Milliarden Dollar.

Dass die Deutschen plötzlich von "Beutekunst" in Polen sprechen und der Pflicht des ehemaligen Kriegsgegners, diese zurückzugeben, sei so, als würde "ein Einbrecher unser Haus ausrauben, es dann in Brand setzen, bei der Flucht seinen Mantel verlieren - und ihn heute als sein rechtmäßiges Eigentum zurückfordern", schreibt der bekannte Kunsthistoriker Wlodzimierz Kalicki in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza. "Zurückgeben will uns der Einbrecher nur das, was er heute noch in seiner Wohnung findet, aber auch nur unter der Bedingung, dass wir ihm zuerst seinen Mantel aushändigen. Über unser verbranntes Eigentum will er erst gar nicht reden, da es sich ja ohnehin in Rauch aufgelöst hat." Niemals werde sich Polen auf eine Rückgabe der Berlinka ohne Wiedergutmachung der eigenen Kulturverluste einlassen.

Schon vor Jahren hatte Kalicki in seinem Buch "Der letzte Kriegsgefangene des großen Krieges" eine politische statt einer juristischen Lösung des Konflikts vorgeschlagen: Deutschland könne beispielsweise eine Stiftung mit einem großzügigen Stammkapital ausstatten, von dessen Zinsen Polen dann weltweit Kunstwerke ankaufen könne, wie sie einst von den Nazis zerstört wurden.

Tono Eitel aber beharrt darauf, dass Polen die Haager Landkriegsordnung von 1907 verletzt und nach 1945 völkerrechtswidrig deutsches Kulturgut gestohlen hätte. Vor zwei Jahren brachen Polens Diplomaten entnervt die Verhandlungen ab. Für sie verkörpert Eitel den Typ des arroganten Deutschen, der die angeblich minderwertige Kultur der einstigen "slawischen Untermenschen" bis heute verachtet.

Als die FAZ vor ein paar Tagen über die gescheiterten Verhandlungen berichtete und den Polen dafür die Schuld in die Schuhe schob, brach an der Weichsel ein Sturm der Entrüstung los. Es handle sich um eine gezielte Provokation der Deutschen. Schon der Titel "Rückgabe von Beutekunst. Die letzten deutschen Kriegsgefangenen" zeige dies. Die polnische Armee habe niemals Beute in Deutschland gemacht. Zudem sei die Berlinka jedem Forscher, der nach Krakau komme, jederzeit zugänglich. Außenministerin Anna Fotyga gab sogar eine offizielle Erklärung ab: Die Deutschen versuchten einmal mehr, "die Unterschiede zwischen Tätern und Opfern zu verwischen".

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