Schlingensief-Oper: Wer sagt, dass Krüppel nicht singen?

"Freax" heißt eine neue Oper des Komponisten Moritz Eggert - Christoph Schlingensief sollte sie eigentlich am Theater Bonn inszenieren. Doch es kam anders.

Wer ist hier der Freak? Schlingensief darf nur in der Pause spielen.

Letztlich war alles wohl ein Missverständnis. Als Christoph Schlingensief das Libretto zur Oper "Freax", ein Auftrag der Oper Bonn, in die Hand bekam, hätte er erkennen können, dass seine Auffassung von Kunst von der des hochdekorierten Münchener Komponisten Moritz Eggert empfindlich abweicht: Die auf die Spitze getriebene Künstlichkeit und Regelhaftigkeit einer Oper kann nicht zusammengehen mit Authentizität und Grenzdurchlöcherung, die Schlingensief für seine Arbeit in Anspruch nimmt.

Der Kultfilm "Freaks" von Tod Browning hat angeblich beide inspiriert, beteuerten sie auf der Pressekonferenz kurz vor der Uraufführung und kündigten als beste Freunde eine neue Form von experimentellem Musiktheater an: die Zweiteilung von Opern konzertant und Inszenierung filmisch. Browning war 1932 der Erste, der in seinem Film echte Verstümmelte als Hauptdarsteller nahm.

In Eggerts Oper und Brownings Film geht es um eine "Freak-Show", ein Kuriositätenkabinett des 19. Jahrhunderts: "Freaks" sind hier zur Belustigung ausgestellte Behinderte, also Kleinwüchsige, siamesische Zwillinge oder Hermaphroditen. Ein reicher Zwerg verliebt sich in eine große, schöne Tänzerin, die aber eigentlich den normalgroßen Showmoderator bevorzugt. Bei der Hochzeit fällt sie aus der Rolle: Weil sie verweigert, von den "Freax" als eine der ihren anerkannt zu werden, beschimpft sie ihren Ehemann, den sie nach der Hochzeit umbringen will, als Monster. Daraufhin wird die Tänzerin von den "Freax" zerfleischt und muss künftig als arm- und beinloses "Vogelwesen" auf die Bühne. Ihr Geliebter wird kastriert und tritt künftig, ironisch genug, als Opernsänger auf.

Schon die Handlung, die auf eigenartige Weise die Ausgrenzung von Behinderten kritisiert und zugleich umdreht, hätte allen Beteiligten klarmachen müssen, dass es hier um einen unlösbaren Konflikt geht: Was diese Oper erzählen wollte, sprengt ihre Form. So, wie Eggert die Musik angelegt hat, ist sie mit echten "Freaks" nicht singbar. Eine Oper mit Schauspielern, die als "Freaks" verkleidet sind, ist von Schlingensief, der seit Jahren mit einer "Family" aus unter anderem Kleinwüchsigen arbeitet, nicht inszenierbar. Im Gegenteil: Schlingensiefs Genie besteht darin, seit Jahren das zu machen, wozu ihn Browning inspirierte: nämlich zu behaupten, dass sogenannte Behinderte sehr wohl Sänger oder Schauspieler sein können.

"Der Normale und der Stigmatisierte sind nicht Personen, sondern Perspektiven", hat er als Zitat von Erving Goffman über seine "Inszenierung" gelegt, die nur als Film in der Pause der konzertanten Aufführung läuft und jedem Zuschauer als DVD mitgegeben wird. "Fremdverstümmelung", so der Titel, verhandelt die wichtigen Fragen, die die Oper selbst gar nicht angreift. Wer weist wem die Freak-Rolle zu? Ist nicht ein Opernsänger auch einer? Kann die auf Perfektion getrimmte Opernmaschinerie überhaupt dazu benutzt werden, sich mit dem Unperfekten einer "Behinderung" auseinanderzusetzen? Wer oder was bestimmt, was perfekt ist?

Düster braust der Sound und jagen sich die Bilder in Schlingensiefs Schwarz-Weiß-Film, in dem sich Probenausschnitte, eingeblendete Zitate und Außenaufnahmen zu einer orgiastischen Feier vereinen, die ja auch etwas mit Oper, jenem Rausch der Emotionen, zu tun hat. Der Endpunkt ist die Kreuzigung eines Kleinwüchsigen mit Dornenkrone: Das Märtyrertum des Ausgegrenzten wird so auf die Spitze getrieben. Im Schlingensief-Kosmos wird der Märtyrer zum Massen-Idol, nichts ist, wie es zunächst scheint, es gibt kein richtig oder falsch, sondern nur Rollenzuschreibung, Interpretation, Behauptung.

Doch letztlich liegt in der Zweiteilung des Abends keinerlei Chance. Schlingensiefs Film ist nichts weiter als ein Pausenfüller, der stört, wenn man eigentlich etwas trinken will. In Wirklichkeit geht es eben doch nur um die rein konzertante Aufführung einer neuen Oper mit banalem Musical-Plot, in der die Normalen böse und die Behinderten meist gut sind. Die Kostüme von Aino Laberenz sind quietschbunt und bestätigten den Eindruck des zeitfern Zirkushaften: eine Frau mit Lampion-Kleid, ein Mann im Leopardenkostüm, Figuren als Statuetten mit steifen Rundkrägen und Riesenröcken. Das Bühnenbild ist eine Art Puppenhaus mit drei Etagen und ragt als Laufsteg weit ins Publikum hinein. An Schlingensief erinnert höchstens die obere Abteilung, wo Video-Einblicke in Requisite, zum Pförtner und in ein Intendantenzimmer gegeben werden.

Und die Oper? Sie ist eingängig und heterogen zugleich, voller musikalischer Verweise, die Sänger groß, allen voran der Hermaphrodit Dominique (Otto Katzameier), der mit sich selbst im Sopran und Bariton ein geschliffenes Duett singt. Zum Schluss durchmischen sich Bravo- und Buhrufe gleichmäßig. Schlingensief kommt nicht auf die Bühne, sondern steht im Foyer herum: Die Oper hat sich selbst gefressen.

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