Dschihad vs. Gangsta Rap: "Zu Kanake für den Job"

Die einen haben "Respekt" vor Frauen und wollen Frieden - die anderen alles "ficken". Dschihadismus und Gangsta Rap sind zwei Antworten auf die Moderne.

Ikone des Gangsta-Rap: Tupac Shakur (1971-1996) Bild: dpa

Dschihadismus und Gangsta Rap haben eines gemein: Beide dienen der deutschen Mittelschicht als Folie, auf der die realen und vermeintlichen Probleme der multikulturellen Gesellschaft diskutiert werden können. Frauenfeindliches Sprechen wie der Kampf für die Einführung der Scharia scheinen von einem imaginierten Außen über "uns" hereinzubrechen. Nicht nur die Tatsache, dass zwei der eben festgenommenen islamistischen Bombenbauer weiße deutsche Konvertiten sind, spricht allerdings dafür, dass die Realität komplizierter ist.

Gangsta Rap kann einem besonders in seinen dümmeren Erscheinungsformen nicht nur auf die Nerven gehen. Zu Recht werden die meist jungen Männer, oft mit migrantischem Hintergrund, die sich auf diesem Feld betätigen, dafür heftig kritisiert, wenn sie "schwul" als Synonym für Minderwertigkeit benutzen, Frauen zu Sexobjekten herabwürdigen und im Wettbewerb um den krassesten Rap alles und jeden ficken wollen. Dass Gangsta Rap die herrschenden Verhältnisse zunehmend unmoderierter kapitalistischer Konkurrenz widerspiegelt, ist ein Argument, das seit der Geburt dieses Genres diskutiert wird. Es wird aber nicht falscher, weil man sich mit aggressiven Sprechweisen jedwelcher Art nicht gerne abfinden will. So hat die Lesart, dass Gangsta Rap uns etwas über die Klassengesellschaft und scheiternde Vergesellschaftung erzählt, hat einiges der kulturalistischen Idee voraus, wonach die Quelle solchen Sprechens in irgendwelchen vormodernen Traditionen des Orients gefunden werden könne.

Übersehen wird in den Diskussionen über Gangsta Rap aber regelmäßig zweierlei: Erstens öffnet Gangsta Rap einen kommunikativen Raum. Die Angst, dass Hate Speech auf Dauer das von den emanzipatorischen Bewegungen seit 1968 mühsam erkämpfte liberale Koordinatensystem destabilisiert und reale Gewalt wahrscheinlicher werden lässt, ist begründet. Aber auch die gegenläufige These kann Plausibilität für sich beanspruchen, dass nämlich sprachliche Aggression, die die Grenze zu Hate Speech nicht überschreitet, als zivilisatorischer Fortschritt gelesen werden kann: Wo gerappt wird, schlägt man sich nicht mehr.

Gangsta Rap und Dschihadismus, die diskursiven Geschwister, die uns von Deutschland als Einwanderungsland erzählen sollen, stellen in Wahrheit zwei gegensätzliche Modelle dar, mit den Zumutungen der Moderne umzugehen. Gangsta Rapper treten in einen Dialog, den die homegrown Islamisten verabscheuen. "Islam ist Frieden" steht über dem Eingang des Islamischen Informationszentrums in Ulm. Der Frieden, den die Islamisten meinen, ist einer, in dem es Streit und Widersprüche zugunsten einer totalitären Friedhofsruhe nicht mehr geben soll.

Zweitens ist Gangsta Rap eine zutiefst universalistische Angelegenheit. Der Gangster, der hier mal nüchtern beschrieben, mal verherrlicht wird, wird gerade nicht durch "Rasse", Nationalität oder Religionszugehörigkeit definiert. Mit dem genretypischen Hang zur drastischen Überbietung erzählt der Berliner Gangsta Rapper D Irie davon: "Das ist für die Straße und nicht für die Masse / Für Kriminelle aller Nationen, egal welche Rasse / Ist egal, welche Farbe, ob weiß oder schwarz / Wenn du nicht aufpasst, landest du wie ne Leiche im Sarg".

Gangsta Rap in seinen intelligenteren Formen zeichnet sich durch eine immer wiederkehrende Argumentation aus: Erst wird der eigene Ausschluss aus der Gesellschaft benannt, der sogleich damit kompensiert wird, dass man trotzdem die schöneren Frauen und dank krimineller Geschäfte auch genug Scheine in der Tasche habe. Dann aber handelt er davon, dass man all das mit Knast bezahle und gar nicht erst getan haben müsste, wäre man nicht erst aller anderen Möglichkeiten beraubt worden: "Zu Kanake für den Job", rappt D Iries Kollege Emok dazu knapp. Trotz seiner regressiven Omnipotenzfantasien ist Gangsta Rap also Ausdruck eines im Kern zutiefst bürgerlichen Bewusstseins, das auf dem Recht auf individuelles Streben nach Glück und gesellschaftlicher Teilhabe beharrt. Man darf daher die These aufstellen: Wo in den Einwanderervierteln und weißen Vorstädten Gangsta Rap gehört wird, haben Dschihadisten wenig Chancen.

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