Für immer Subkultur

In vielem ähnelte Punk in der DDR den Vorbildern aus dem Westen. Eines war anders: Es gab „too much future“. Ein Reader erzählt die Geschichte

VON ANDREAS HARTMANN

Sie hatten Sicherheitsnadeln in den Backen, trugen zerlumpte Klamotten und zerrupfte Frisuren. Punks, wie sie 1977 erstmals in London gesichtet wurden, wollten niemandem gefallen, sondern aussehen wie die Albträume ihrer Eltern und Lehrer. Junge Menschen in der DDR konnten dieses Verlangen Jugendlicher aus dem Westen sehr gut nachvollziehen. Sich aus einer durchgenormten Gesellschaft einfach auszuklinken, erschien auch ihnen attraktiv. Punk, so schimmert es in dem Buch „too much future – Punk in der DDR“ immer wieder durch, vermittelte den Nachwuchssozialisten die Vorstellung einer anderen Welt. „Als ich die ersten Punks im Osten sah“, erklärt Daniel Kaiser, damals Mitglied der Ostpunkband Planlos, „war das, als ob eine Tür geöffnet wurde.“ Irgendetwas, dieses Versprechen gab Punk, müsste es geben, das bunter, wilder und gefährlicher war, als dieses total verwaltete Leben zwischen FDJ und Plansollerfüllung bis zur Rente.

Der von Michael Boehlke und Henryk Gericke – beide haben selbst eine rumreiche Vergangenheit in Ostpunk-Bands wie Fatale und the Leistungsleichen hinter sich – herausgegebene Reader „too much future – Punk in der DDR“ war ursprünglich der Katalog zu einer gleichnamigen Ausstellung, die 2005 in Berlin zu sehen war und der sofort vergriffen war. In leicht veränderter Form, aber weiterhin in einem formvollendet schönen Punklayout, liegt die Materialiensammlung nun erneut vor. Nur die passende Musik, die man in der Ausstellung ebenfalls vorgesetzt bekam, fehlt.

Schon beim Durchblättern des Readers fällt auf, wie universalistisch Punk doch war. Im Westen und von der Stasi als reiner Ausdruck kapitalistischer Dekadenz rezipiert, sah Verweigerungshaltung in der DDR bald nicht anders aus als in Westberlin oder Hamburg. Die DDR-Punks trugen dieselben Stachelfrisuren wie ihre Kollegen überall in der Welt.

Überhaupt musste Punk in der DDR in erstaunlich vielen Bereichen ähnliche Kämpfe ausfechten und hatte eine ähnliche Funktion wie in der Bundesrepublik. Im Westen wie im Osten ging es nicht nur um Abgrenzung zu den Autoritäten, sondern auch zu anderen Jugendkulturen. Friedensbewegte, Müslis und Bluesfans waren für Punks dies- und jenseits der Mauer Feindbilder, und das Neue, das so radikal eingefordert wurde, spiegelte sich auch in der DDR bald in der Entwicklung einer von Punk beeinflussten Kunstszene wieder, der Machen wichtiger war als Können.

In bestimmten Punkten jedoch unterschied sich die gesellschaftliche Bedeutung von Punk in der DDR ganz fundamental von der im Westen. Dort wurde er vom kapitalistischen System, das ihn zuerst auskotzte, schnell wieder vereinnahmt. Was gestern noch subversiv wirkte, fand sich bald schon als Modetrend für die Laufstege wieder. In der DDR jedoch wurden Punker erbittert bekämpft, man steckte sie in die Armee und machte es ihnen schwer, öffentlich aufzutreten. Noch kurz vor dem Fall der Mauer wurde Punks in Dresden ein Innenstadtverbot erteilt. Bei Verstößen konnten sie belangt werden, weil man wegen „anstößigem Äußeren im erheblichen Maße den Anstand und die menschliche Würde verletzte“. Im Osten war man einfach nicht schlau genug, den Punk in rasender Geschwindigkeit zu Tode zu vereinnahmen, sondern man versuchte, ihn aus der Öffentlichkeit durch immer neue Disziplinarmaßnahmen zu entfernen. Die Punkszene wurde bespitzelt, von der Stasi infiltriert und schikaniert, um ihr ihre Bedeutung zu nehmen. „Die Westbands wurden zum Gegenstand öffentlicher Wahrnehmung“, so Gericke, „die Ostpunkbands blieben immer Subkultur.“

Auch der grundsätzliche Mangel, der im Punk verhandelt wurde, war im Westen ein anderer als im Osten. „No Future!“, so lautete der Schlachtruf der Sex Pistols, der Punk als Ausruck einer empfundenen Perspektivlosigkeit wahrnehmen ließ. Nichts war für einen Jugendlichen geregelt. Man blickte in eine Zukunft ohne Arbeit und Sicherheiten. In der DDR dagegen gab es „too much future“. Niemand fiel durch das soziale Netz, so das Versprechen, im Gleichschritt ging man in ein strahlendes Morgen, das so aufregend wirkte wie ein Sonntagsausflug mit der Familie zu einer Veranstaltung der Partei. In „Punk in der DDR“ wird Historie verarbeitet, die auf eigentümliche Weise aktuelle Entwicklungen der Bundesrepublik reflektiert. „No future“ und „too much future“ fallen in einem Staat zusammen, der das soziale Netz kappt, gleichzeitig aber mit Hilfe des Schäuble-Katalogs seine Kontrollmacht immer stärker auszubreiten gedenkt. Angesichts dessen, muss man beinahe mit Bedauern konstatieren, dass Punk tot ist.

Michael Boehlke, Henryk Gericke: „Too much future – Punk in der DDR“. Verbrecher Verlag 2007, 224 S., 16,80 €