Migration der Form

Eine Fortsetzungsgeschichte. Marc Jacobs feiert den 40. Jahrestag des Summer of Love 1967 – und kein Aas bemerkt’s

Instantly beutete die Souvenirindustrie Robert Indianas „Instant Art“ aus

Robert Indianas „LOVE“ ist wieder da. Vier Buchstaben übereinander gestapelt, fein säuberlich, farblich freilich leicht psychedelisch ins Quadrat gesetzt. 1966, als der 38-jährige Künstler seine erste Serigrafie vorstellte, sah das so aus: Die Buchstaben waren knallrot, die größere Freifläche im rechten oberen Eck war blau, die kleinere im linken unteren Eck grün, wobei das Grün bis ins Innere des „O“ vordrang, das seinerseits die strenge Geometrie ein wenig durcheinander brachte, weil es – diagonal gesetzt – ganz offensichtlich aus dem Quadrat herauskullern wollte. In „LOVE“ wurde die hybride Ästhetik der späten 60er- und frühen 70er-Jahre, die zeitgenössische Kunst mit Popkultur, Werbung und politischem Protest verband, erstmals weithin populär.

Heute sieht es nun so aus: Die Buchstaben prangen silbern und golden auf weißem Grund, und es ist nicht das „O“, das die Geometrie irritiert. Nein, das „O“ sitzt da sehr ordentlich auf dem „E“, wobei beide Buchstaben leicht schräg gestellt sind. Diesmal sind vielmehr das „L“ und das „V“ verrutscht, und dabei haben sie sich so übereinander geschoben, dass ein anderes markantes Signet sichtbar wird: das von Louis Vuitton. Tatsächlich stiehlt sich Robert Indianas „LOVE“ mit einer Luxushandtasche eben jener Firma in das Straßenbild des Sommers 2007.

Nun könnte man sich kulturpessimistisch darüber entsetzen, dass ausgerechnet an seinem 40. Jahrestag der kulturrevolutionäre „Summer of Love“ so zu Markte getragen wird, über eines der großen Plakatmotive und Symbole der Pop Art, mit dem sie bis Haight Asbury und zu den Hippies vordrang.

Doch dann dockt das Motiv der Tasche, die Marc Jacobs im Rahmen seiner „Girl with a Monogrammed Bag“-Kollektion für Louis Vuitton entwarf, derart kongenial an Indianas abstrakte Popkomposition an, dass man etwas ganz anderes bedauert. Nicht ihre Verwurstung im Kommerz. Selbst die ist schönerweise schon Zitat. Denn seine „Instant Art“, wie Robert Indiana seine Grafiken und daraus hervorgehenden Skulpturen aus Wörtern, Ziffern und Buchstaben nannte, wurde sozusagen instantly von der Souvenirindustrie ausgebeutet, schließlich hatte er vergessen, sich das Copyright auf „LOVE“ zu sichern.

Nein, gerade weil „LOVE“ auf Kaffeetassen, Handtüchern, T-Shirts und schließlich, 1973, sogar als 8-Cent-Briefmarke (immerhin die bestverkaufte Briefmarke in der Geschichte des US-Postal-Service) rasend schnelle Verbreitung fand, bedauert man, dass heute kein Aas erkennt, dass Marc Jacobs zitiert, und was er zitiert. Es würde einen wundern, wüssten auch nur die Verkäufer in den Louis-Vuitton-Boutiquen darüber Bescheid.

Und dabei eignet sich Marc Jacobs Indianas „LOVE“ auf so ästhetisch subtile und ungeheuer respektvolle Weise an, dass es selbst zum Kunststück wurde. Der springende Punkt ist die Übernahme des diagonalen, die Symmetrie sprengenden „O“. Mit ihm kullert das wohl ausbalancierte, statische „LOVE“ endlich ins beweglich Rokokohafte und Scarlett Johansson darf nun mit Jean-Honoré Fragonard statt mit Robert Indiana kokettieren.

BRIGITTE WERNEBURG