DIE ACHSE DES ÜBERIRDISCH SCHÖNEN POP VON RENÉ HAMANN
Die Hölle des Liebe-Erbettelns

Welch böser Name für so eine liebliche Platte. Die so lieblich natürlich doch nicht ist – dafür ist sie zu hinterhältig. Da singt die Kanadierin Emily Haines, Sängerin der Band Metric und Teilzeitmitglied der Broken Social Scene, mit klarer Stimme Stücke, das Tempo ist niedrig, der Grad der Schönheit ist hoch, klassisches Instrumentarium hebt das Niveau. Aber man darf sich durch Radiokompatibilität und den etwas gefälligen Opener „Our Hell“ (sic!) nicht blenden lassen: Haines hat eine schimmernd abgründige Platte gemacht. In „Detective Daughter“ dreht sie zu einem bleischweren Bassriff John Lennon die Worte im Mund um: Statt „Love is all, all is love“ heißt es „Hell is love, love is hell, hell is asking to be loved“.

Die Themen ihrer Stücke sind durchweg negativ besetzt – es geht um unglückliche Kindheiten, fehlende oder bösartige Liebe und die Schrecken der Welt. Musikalisch wird das aber keinesfalls mit Selbstmitleid oder plumper Anklage umgesetzt. Sondern vielschichtig. Vielschichtig böse. Und immer ist da dieses Klavier, das die gesamte Platte hindurch einfache, kantige Motive spielt, auf deren monotoner Wiederholung alles aufbaut. „Knives Don’t Have Your Back“ ist überzeugender Folk Pop. Transzendent, kristallklar, überirdisch. Auf der hierzulande erscheinenden CD sind sogar „europäische Bonustracks“. Das ergibt dreizehn Lieder, keines davon ist schlecht. Alle davon sind böse. Aber gut.

Emily Haines & The Soft Skeleton: „Knives Don’t Have Your Back“ (Last Gang/Grönland)

Nur zum Luftschnappen auftauchen

Beach House sind zwei junge Menschen aus Baltimore namens Victoria Legrand und Alex Scally. Legrand stammt ursprünglich aus Paris und ist die Nichte des Filmkomponisten Michel Legrand. Dies ist ihr Debüt. Mehr muss man eigentlich nicht wissen, ansonsten reicht es, die Platte wieder und wieder zu hören. Es lohnt sich. Nur so viel: Beach House machen versunkene Musik, die klingt, als wäre sie in den 50er-Jahren abgetaucht, zu New-Wave-Zeiten kurz zum Luftschnappen nach oben gekommen, dann wieder erstaunlich lange unten gewesen, wo sie endlich von ästhetisch empfindlichen Sonaren aufgenommen wurde. Instrumentale Ausstattung: eine träge Beatbox, gern auf Walzer eingestellt, sanft brummende, verwunschene Orgeln, ein verstaubtes Spinett, submarin heulende Gitarren, ein lotender Bass, dazu der weit entfernte Sirenengesang Legrands.

Die Texte drehen sich um Salzwasser oder eine Hexe aus Tokio, sie handeln von Apfelgärten, Kindheiten und dem Haus auf dem Hügel. Auch hier ist die Geschwindigkeit der Musik beständig niedrig, die Stimmungsgrundierung ist mit „mellow“, also mit einem Wort zwischen sanft und benebelt, gut umschrieben. Heiter oder gar tanzbar ist „Beach House“ also nicht gerade, zwischen Martin Denny, den Young Marble Giants und Au Revoir Simone aber bestens einsortiert. Eine Musik wie Hawaii im Winter. Wo es dann bestimmt sehr schön ist.

Beach House: „dto“ (Bella Union/ Cooperative Music/Universal)

Auch was für Urbanisten

Die Welt ist in Ordnung. Victoria Bergman hat ihre Band, die Concretes, hinter sich gelassen und mit Bjorn Yttling, John Eriksson (von Peter, Bjorn & John, bei deren Hit „Young Folks“ sie mitgesungen hat) und der akkuraten Verity Susman von Electrelane das Projekt Taken By Trees aus der Taufe gehoben. Und mit „Open Field“ ein bizarr schönes Debüt aufgenommen.

Die zehn Stücke darauf sind zärtlich arrangiert und behutsam instrumentiert, nur manchmal rutscht es mit Flöten und Engelschören leicht ins Kitschige ab (besonders in der Schlussnummer „Cedar Trees“). Sonst aber überwiegt dieses Gefühl: Die Welt ist in Ordnung, solange es Stimmen wie die von Victoria Bergman gibt, ein leicht angerautes Säuseln, ein Wissen um Trauriges und Tragisches, mit Aussicht auf Erhabenheit. Susman tupft dazu aufs Klavier, Bjorn & John probieren neue Perkussionen aus.

Die Welt ist in Ordnung, auch wenn Bergman im besten Stück „Lost and Found“ über Liebeskummer klagt. Das zweitbeste Stück heißt „Julia“, mit „J“ und nicht mit „Dsch“. Die Welt ist in Ordnung, obwohl dieses schöne, zu kurze Stück Schneckentempomusik (knapp 35 Minuten) den ersten herbstlichen Blätterfall anklingen lässt. Die Liebe zu Bäumen scheint Bergmans Steckenpferd zu sein – auf ihrer Webseite findet sich dazu so einiges. Das muss Urbanisten wie dich und mich aber nicht abschrecken. Dafür ist diese sanfte, moderne Musik zu licht, ja strahlend.

Taken By Trees: „Open Field“ (Rough Trade)