Wenn die Frau winselt und der Mann bellt

Der Kurt-Tucholsky-Abend „Außen rot und innen …“ in der Komödie mutet dem Publikum den politischen und ernst zu nehmenden Tucholsky leider erst zu, nachdem es mit unfassbar schlechten Witzen abgefüllt ist

Selbstverständlich kann man mäkeln. Die erste Hälfte des Tucholsky- Abends „Außen Rot und innen …“ bot einigen Anlass dazu. Denn selbstverständlich winselte hier die Frau und bellte der Mann. Schon als Dietmar Mues zuvor einen Text über die Unterschiede zwischen den Menschen vortrug und sich in den Satz „Der Mann will nicht denken …“ gesteigert hatte, lachten auch die meisten Frauen im Publikum. Den Satz „… die Frau kann nicht denken“ sprachen dann sogar einige Eifrige mit.

Das von Hannelore Hoger gesäuselte „Lottchen beichtet 1 Geliebten“ erfreute das eher ältere Publikum nicht minder. Die Lieder vom Spießbürger, die Joachim Kuntzsch dazwischen sang, gingen zwischen so viel billigem Geschlechterkampf unter – die Klaviermusik von Hanns Eisler und anderen wurde, da der eigentlich als Pianist vorgesehene Kuntzsch sich den Arm gebrochen hatte, von Jörg Daniel Heinzmann gespielt.

In der Pause war man daher angemessen verzweifelt, denn man ist es nicht mehr gewohnt, in dem edlen ehemaligen Reinhardt-Theater am Kudamm dümmliches Boulevardtheater zu sehen. Seit einigen Jahren und lang schon vor der Kündigung der Räume durch die Deutsche Bank hatte die Familie Woelffer das Niveau der Stücke an der Komödie und am Theater am Kurfürstendamm gehoben, sodass dieser Abend, wäre er denn der einer Boulevardposse geblieben, zu Recht enttäuscht hätte.

Doch im zweiten Teil haben sich die Mues, Hoger und der singende Professor Kuntzsch ganz offensichtlich auf den weitaus besseren Teil des Tucholsky’schen Werks besonnen, und nun geben sie dem Publikum, dass sie in der ersten Hälfte mit billigen Witzen angeheizt haben, was es braucht und eigentlich nicht gewollt hat: den politischen Tucholsky, bei dem es nicht mehr um dumme Frauen und geile Herren geht, sondern bei dem es heißt: „Deutsch bleibt deutsch, da helfen keine Pillen.“ Die Texte wurden nun auch zeitlich zugeordnet, es wurde nicht so getan, als verkünde der Text von 1920 über die unklaren Zeiten eine ewige Wahrheit über „uns alle“.

Hannelore Hoger sagte, dass Tucholsky sich 1935 getötet hat und dass die Deutschen die Verantwortung dafür trugen. Mues, der nun nicht mehr übertrieben agierte, las einen Carl-von-Ossietzky-Text über das Befremdetsein der Berliner angesichts von „Negern“, wobei die rassistischen Reste, die sich in diesem Text finden, zwar hätten kommentiert werden müssen, die Kritik an einer Weltstadt ohne Weltbürger allerdings weiterhin gültig ist. Ein kurzer Text über den Friedhof Weißensee als unser aller Endstation, den Hoger ruhig, doch mit angemessener Schnoddrigkeit vortrug, war geradezu anrührend.

Am Ende tobte das vollbesetzte Haus und holte alle Beteiligten immer wieder auf die Bühne zurück. Als Kuntzsch schließlich in einer Zugabe das titelgebende Gedicht sang, wurde der Applaus frenetisch: „Sinnend geh ich durch den Garten / unsrer deutschen Politik; / Suppenkohl in allen Arten / im Kompost der Republik. / Bonzen, Brillen, Gehberockte, / Parlamentsroutinendreh … / Ja, und hier –? Die ganz verbockte / liebe, gute SPD. / Hermann Müller, Hilferlieschen / blühn so harmlos, doof und leis / wie bescheidene Radieschen: / außen rot und innen weiß.“

Vielleicht war der erste Teil ja auch dramaturgisch ganz anders angelegt – vielleicht wollten Hoger, Mues und Kuntzsch zunächst praktisch vorführen, welcher Tucholsky nicht mehr gilt, um dann jenen zu präsentieren, der als Dichter und Polemiker weiterhin stilbildend ist. Die blaue Studienausgabe der Tucholsky-Werke jedenfalls, aus der sie lasen, dürfte von vielen Besucherinnen und Besuchern nach diesem Abend dann doch noch mal aus dem Regal geholt und entstaubt worden sein.

JÖRG SUNDERMEIER

Weitere Vorstellungen: 23.–26. 8., Kömodie am Kurfürstendamm