Kunstpreis 2007: Römer auf der Flucht

Zurückgezogene, sogar geheimnisvoll entzogene Kunstwerke konkurrieren um 50.000 Euro: Die Kandidaten für den Kunstpreis stellen sich im Hamburger Bahnhof in Berlin vor.

Was ist ein Kunstpreis für junge Künstler anderes als ein Marketinginstrument, um Aufmerksamkeit für die Kandidaten zu erzeugen, eine Fanfare, um das Publikum, die Kritiker, Sammler und Kuratoren auf ihr Werk hinzuweisen? Der britische Turner-Preis wurde in den 90er-Jahren dazu neu erfunden, mit seinem jährlichen Hype die Marke "Brit Art" zu stärken. Doch der "Preis der Nationalgalerie für junge Kunst", der 2000 eigentlich nach dem Vorbild des Turner-Preises etabliert wurde, steht in guter deutscher Sperrigkeit über diesen Dingen. Als "Gegenprogramm zum diesjährigen aufgeheizten Kunstsommer" mit Arbeiten "quer zum marktgerechten Kunstbetrieb" versteht ihn der Kurator Joachim Jäger. Der Preis sei "nicht laut, aufdringlich und reißerisch, sondern still, reduziert und nachdenklich". Dass diese Attribute auf die Arbeiten der vier Kandidaten Ceal Floyer, Jeanne Faust, Damián Ortega und Tino Seghal zutreffen, mag eine Qualität ihrer Arbeit ausdrücken - dass die Organisatoren des Preises sich dieser Philosophie rühmen, ist bitter.

Vier Arbeiten also sind wieder bis zum 4. November im Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst, zu sehen; eine Jury von vier Museumskuratoren und einem Quotenmann aus dem privaten Kunstmarkt, gegeben vom Werbeunternehmer und Sammler Christian Boros, kürt den Gewinner des Preisgeldes von 50.000 Euro. Tatsächlich ähneln sich die Arbeiten darin, dass sie zurückgezogen, manchmal sogar geheimnisvoll entzogen wirken. Eher scheinen sie ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten erkunden zu wollen, ihre Wirkungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in einer Welt, die mit bestehenden Diskursen und kunsthistorischen Erblasten scheinbar voll ist.

Die gebürtige Pakistanerin Ceal Floyer scheint am meisten zweiflerisch und pessimistisch. Aus schwarzen Lautsprechern zusammengefügt, drückt sich ihre Treppe in die hinterste Ecke einer der großen Rieckhallen. Fragil schweben die Stufen vor der Wand und führen ausweglos unter die Decke. Aber sie sind ohnehin nicht belastbar durch einen echten Körper, sondern geben die Tritte eines unsichtbaren Treppensteigers wieder, der wie ein Aufzieh-Gespenst regelmäßig die ihrerseits vollkommen gleichmäßigen Stufen auf und ab steigt. Wenig Kitzel, noch weniger Aussicht auf Erkenntnis, eher die mechanisch wiederkehrende Behauptung, dass da doch irgendetwas fehle, etwas Menschliches, Geistiges oder Poetisches - aber der Kontakt dazu scheint abgerissen.

Die aus Wiesbaden stammende Jeanne Faust nimmt das Thema des Verlusts mit größerem Humor. In ihrem Kurzfilm treffen sich ein offenbar lange verschollener Vater mit seinem inzwischen erwachsenen Sohn. Doch obwohl sie endlich reden, kommt es zu keiner Aussprache. Der Vater entzieht sich den unterschwelligen emotionalen Appellen des Sohnes und bricht gar in Vogelgezwitscher aus wie in einer sarkastischen Reverenz an die Sprache des Herzens und der Natur, die ihm gänzlich abgeht. Der Sohn trillert später selbst wie eine Nachtigall zu dem Dialog zweier weiterer Männer, die grobe Versatzstücke aus Polizei- und Gangsterfilmen wiederkäuen. Alle Kommunikation ist hier lakonisch verfehlt.

Der Mexikaner Damian Ortega, der als Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms zeitgleich eine Ausstellung in der DAAD-Galerie in der Zimmerstraße hat, kommt von der Skulptur. Für die Preisausstellung hat er Backsteine in einer Brachlandschaft zu Schlangenlinien, Spiralen, Kreisen und anderen geometrischen Figuren arrangiert, nach dem Dominoprinzip ineinander fallen lassen und dabei gefilmt. Wie Floyers Treppe handelt es sich um eine sehr formale Arbeit, bezogen auf die Minimal Art und bei Ortega außerdem auf die Land-Art. Doch auch er stellt den Formalismus, der beide Kunstrichtungen in den 60ern und 70ern auszeichnete, in Frage. Die Backsteine purzeln ineinander wie tragikomische Comic-Charaktere und ihre Stellungen sind von einem chinesischen Traktat über den Krieg inspiriert - liest man ihre Anordnung wie Soldatenstellungen, lässt der Anblick an die Römer in "Asterix und Obelix" denken, wie sie meist erfolglos die richtige Ordnung für Angriff und Flucht üben.

Tino Sehgal stellt wie Jeanne Faust das Gespräch in den Mittelpunkt. In einem leeren Saal führen Naturwissenschaftler und Philosophen ein Gespräch über Ökonomie, Identitätskonzepte und speziell über die Situationisten - eine Gruppe von Künstlern und Theoretikern, deren revolutionäres Programm Ende der 50er-Jahre ein freies Umherschweifen (dérive) des von aller Funktionalität befreiten Menschen proklamierte und deren Erbe heute sowohl im Denken von Giorgio Agamben als auch im Lebensstil der digitalen Boheme fortwirkt. "Welcome to this situation!" schallt es dem Besucher entgegen, sobald er den Raum betritt, und schon weben sich die Gesprächsfäden blitzschnell von Franz Müntefering zu Heuschrecken, Konservativismus, Faschismus und den Lehren Buddhas. Historische Zitate des Obersituationisten Guy Debord, von Max Weber und anderen geben Ausgangspunkte vor, ohne dass sich ein geordneter, historisch oder akademisch nachvollziehbarer Austausch der Argumente ergibt, denn die Sprecher kennen die Zuordnungen zu den Zitatquellen selbst nicht genau. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll, wenn man den Homo academicus auf diese Weise ausgestellt erlebt: als Quatschmaschine auf Knopfdruck. Die Versuchsanordnung versucht die überzeitliche Anschlussfähigkeit des Kunstwerks, seine geistige Qualität jenseits des Handwerks, ganz direkt zu erzwingen.

Sehgals Arbeit ist die irritierendste, Ortegas die schönste, Floyers die entzogenste und Fausts die mit der besten Pointe. Am 27. September entscheidet die Jury.

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