Popliteratur-Ausstellung: Pepsodent und Coca-Cola

Popliteraten sind nicht nur 90er-Mittelschichtjungs: Eine Ausstellung beschäftigt sich mit dem Schreiben popsozialisierter Menschen im Rheinland seit den 60ern.

"Das ist unsere Wirklichkeit, was haben wir mit politischen Entscheidungen zu tun?" Bild: promo

Eins ist sicher: keine Kunst ohne Stammtresen. Egal, wie allumfassend, umstürzlerisch oder sonst wie größenwahnsinnig der künstlerische Ansatz ist - der Kneipengang will geregelt sein. Schön beobachten lässt sich diese Weisheit in Köln. Dort steht an der Aachener Straße das Sixpack, ein gemütliches Lokal, in dem sich eine Zeit lang Musiker, Schreiber und Künstler die Klinke in die Hand gaben und man das Resultat dieser Treffen später in der Spex lesen konnte. Oder auch in Düsseldorf, wo der Szenetreffpunkt Ratinger Hof die Brutstätte von Punk und New Wave war, obwohl sich die Gäste einer benachbarten Altbierbrauerei durch die Punks zum regelmäßigen Flaschenwurf provoziert fühlten.

Jede Stadt hat diese kleinen Orte voller Popgeschichten. Köln und Düsseldorf wollen jetzt ganz offensiv auf ihre Popvergangenheit aufmerksam machen - und haben die Veranstaltungsreihe "Pop am Rhein" initiiert, die bis ins nächste Frühjahr läuft. Vielleicht dachten sie: lieber Vergangenheit, liegt über der Gegenwart doch leider ein Grauschleier. Trotz des hervorragenden Konzertangebots kam aus dem Rheinland schon länger nichts Neues mehr, bei dem Kritiker und Fans gleichermaßen ins Schwärmen geraten sind.

Klar, das Elektronikduo Mouse on Mars macht jedes Jahr ein super Album, das Technolabel Kompakt ist Garant für gute Feierei. Aber das war auch vor ein paar Jahren schon so. Und auch die Veröffentlichungen des Kölner Verlags KiWi, seit Jahr und Tag der "junge" unter den Großverlagen, produzieren nicht mehr die Wellen der Erregung, die um die Jahrtausendwende das Label "KiWi-Pop" noch in die Feuilletons spülten. Stattdessen ist nun der Blick in den Rückspiegel angesagt - und die Akademisierung. Mit einer Tagung wollen die Veranstalter der "Oberflächenästhetik und Alltagskultur" in der Region nachgehen, im Kölner Kunstverein betreiben DJs, Journalisten und Musiker "Disco-Diskurse", Ausstellungen widmen sich dem Einfluss von Pop auf Kunst und Literatur. Und am Anfang steht auch im Rheinland das Wort.

"Popliteraturgeschichte(n)" will Ausstellungsmacher Enno Stahl erzählen. Zusammengetragen hat er dafür eine fast undurchdringbare Masse an Material, das sich jetzt in den Vitrinen des Düsseldorfer Heine-Instituts stapelt. Da stehen seltene Fotos des Kölner Dichters Rolf Dieter Brinkmann neben Ausgaben des ersten deutschen Punk-Fanzines The Ostrich von 1977, während gleich im Nebenraum die jüngere Poetry-Slam-Szene durch eine große Fotowand samt Videoaufnahmen und Flyersammlung repräsentiert wird. Immer wieder bleibt das Auge an einzelnen Ausstellungsstücken hängen: Was bedeuten die Rundtexte von Ferdinand Kriwet eigentlich? Und sitzen auf diesem Foto wirklich Fehlfarben-Sänger Peter Hein und der Schriftsteller Peter Glaser zusammen an einem Tisch? Wieso steht in einem Spoken-Word-Video der Elektromusiker Schlammpeitziger in einem Boxring anstatt hinter seinen Instrumenten?

Für Nichteingeweihte ist "Popliteraturgeschichte(n)" eine Ausstellung des "coolen Wissens", um das Popjournalisten jahrelang beneidet wurden. Leider bleiben dabei die Ergebnisse mühevoller Sammelarbeit der Ausstellungsmacher ein wenig unvermittelt nebeneinander stehen - als sei an den voll behangenen Wänden kein Platz mehr gewesen für Übersichts-Chronologien und Anekdoten, die auch die Geschichten hinter den Buchdeckeln und Veranstaltungsplakaten erzählen. Die Rolle des Erzählers muss der liebevoll gestaltete Katalog übernehmen, was er mit angenehm professoralem Timbre erledigt.

Man lernt: Die Popliteraturgeschichte des Rheinlands ist in erster Linie eine des Flirtens, mit bildender Kunst, mit Punk oder improvisierter Musik. Als "Literatur von Pop-sozialisierten Autoren, egal ob Disco, Popper oder Punk", hat Enno Stahl das beschrieben. Er macht so die Entfernung zu den Jungs deutlich, die in den späten Neunzigern ihre Vorstellung einer verlängerten Mittelschichtjugend unter dem Label "Popliteratur" unter die Leute brachten und dabei so altklug über ihre Welt sprachen, als gäbe es keine andere. Als es mit dem Pop-Schreiben im Rheinland in den 60ern losging, war noch lange nicht klar, welche Richtung eingeschlagen werden würde. "Das ist eben unsere Wirklichkeit, was haben wir mit politischen Entscheidungen zu tun, wenn wir Pepsodent und Coca-Cola haben?", frotzelt Nicolas Born über die Alltagsnähe seines Dichterkollegen Rolf-Dieter Brinkmann in einem ausgestellten Interview aus einer Zeit, als beide noch als große Nachwuchshoffnungen des Literaturbetriebs galten.

Der weitere Verlauf ist bekannt. Brinkmann ist heute in seiner Heimatstadt Köln Teil des kulturellen Erbes, Born dagegen nur noch Gegenstand der Germanistikseminare. Franz Bielmeier wird wohl auch dort nicht auftauchen. Der Gründer des Fanzines The Ostrich und Musiker bei der Düsseldorfer Punkband "Mittagspause" verschwand nach Punk in der Versenkung. Jetzt ist seine Zeitschrift neben einem Gedicht von Thomas Kling ausgestellt, der zur Zeit von Punk in Düsseldorf mit dem Schreiben begann und dessen Lesungen auch dann noch an die Performance seiner Frühzeit erinnerten, als nicht mehr Punk, sondern antike Literatur sein Stichwortgeber wurde.

Es ist das Verdienst dieser Ausstellung, dass sie nicht nur die großen Erzählungen, sondern auch die Geschichten derjenigen berücksichtigt, die der Lauf der Zeit nicht in den Literaturbetrieb, die Zeitungsredaktionen oder Uni-Seminare getragen hat. Von dort kann man seine Geschichte schließlich selbst schreiben.

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