Allein gegen die Stillmafia

Über Familie zu schreiben kann übel enden. Doch nicht alle Autoren versteigen sich in Eva-Herman’sche Dimensionen. Dass es auch anders geht, zeigt die folgende Auswahl:

Eberhard Rathgeb schreibt von seinen ureigenen Vatererfahrungen. Was er dabei herausfindet, nennt er „Schwieriges Glück. Versuch über die Vaterliebe“ (2007). Rathgeb ist ein „immer abwesender“ Vater. Hier schreibt er auf, wie er damit kämpft und welch große innere Unsicherheit das Vatersein bedeuten kann.

Anja Wolde wählt den streng wissenschaftlichen Weg und verknüpft Männlichkeitsforschung und Väterforschung in ihrem Buch „Väter im Aufbruch?“ (2007). Ihre Hauptquellen sind Publikationen aus dem Umfeld von Väterinitiativen. Sie untersucht, wie sich die Männer-/Väterrolle verändert, wie sich alte Rollenbilder teils auflösen, teils verfestigen.

Tilman Spreckelsen hat in seinem im September erscheinenden Band „Mein Vater, der Held“ (2007) Vatergeschichten großer Autoren zusammengestellt. Kurt Tucholsky, Astrid Lindgren, Frank McCourt und andere kommen zu Wort in Form von literarischen Geschichten und Briefen.

Thomas Gesterkamp schreibt über „Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere“ (2007). Der Vater einer heute sechzehnjährigen Tochter berichtet aus eigener Erfahrung, wie er sich mit seiner Frau die Erziehung geteilt hat. Wenn beide Partner nicht ernst genug an die Arbeitsteilung herangehen, kann es sein, dass sie in die „Traditionsfalle“ stolpern, meint Gesterkamp und fordert außerdem Teilzeitmodelle für Führungskräfte.

Gerhard Amendt vom Institut für Geschlechter- und Generationenforschung der Universität Bremen hat das tief verzweifelt wirkende Buch „Scheidungsväter“ (2006) geschrieben. Er fasst Beispiele aus seiner Studie zusammen, in der er 2100 geschiedene Väter befragte. Amendt zeigt, wie Väter unter der Trennung von ihren Kindern leiden – und unter dem, was er als Feminismus fürchtet.

Horst Petri, Kinder- und Jugendpsychiater aus Köln, meint: „Väter sind anders“ (2004). Väter werden erdrückt durch die gesellschaftlichen Anforderungen. Schuld ist die Frau, die so viel vom „neuen Mann“ verlangt. Wie sollte Mann dem auch gerecht werden? Kein Buch für Frauenversteher.

Matthias Matussek, Kulturchef beim Magazin Der Spiegel, verfasste eine „Polemik gegen die Abschaffung der Familie“ und nannte sie „Eine vaterlose Gesellschaft“ (2006). Seine These: Frauen haben immer recht. Und das stößt ihm krass auf – deshalb dieses Buch. BORT

Wenn Männer sich für eine berufliche Auszeit zur Kindererziehung entscheiden, kann das für Missverständnisse sorgen. Bei den alten wie bei den neuen Kollegen

VON ROBIN ALEXANDER

Ein letztes Mal melde ich mich am Telefon mit Namen und Institution. Ein letztes Mal diskutiere ich mit Kollegen, was heute wichtig wird. Ein letztes Mal schreibe ich einen Artikel, redigiere einen zweiten und bin dann fertig.

Mein vorerst letzter Arbeitstag ist zu Ende. Bis heute war ich Redakteur. Ab morgen bin ich „in Elternzeit“. Ab morgen werde ich um sechs Uhr aufstehen und Milch für den Jungen warm machen. Ich werde meine Vormittage auf Spielplätzen verbringen. Und meine Nachmittage auch. Ab morgen werde ich die Stunden zählen, wann seine Mutter nach Hause kommt.

Warum habe ich mich darauf bloß eingelassen?, frage ich mich auf dem Heimweg. „Warum habe ich mich darauf bloß eingelassen?“, frage ich meine Freundin, die mich zu Hause mit einem Glas empfängt. „Meinetwegen“, sagt sie, lächelt und stößt mit mir an.

Das stimmt. Sie will wieder arbeiten. Aber: Sie muss auch. Gerade in Großstädten mit flächendeckendem Kita-Angebot wird es in den Unternehmen nicht mehr gerne gesehen, wenn Mütter nach der Geburt eines Kindes länger als ein Jahr aussetzen. Meine Freundin fühlt, dass es besser ist, wenn sie bald wieder arbeitet. Und ich fühle, dass ich mich gerne eine Zeitlang um den Jungen kümmern möchte. Was der Junge fühlt, wissen wir nicht.

Auf jeden Fall sind wir beide gut vorbereitet. Wir haben Milch, Brei, Mittags-, Nachmittags- und Abendgläschen, Zwieback, Knäckebrot und Knusperkekse in rauen Mengen eingelagert. Wir besitzen Bauklötze und Legosteine, Matchboxautos und Holzpferde, Plastikhandys und echte Handys, Holzschablonen und Gummiringe, pädagogisch wertvolle Kinderbücher und grelle Comics, Kinderautos und Schaukelpferde, Tastspiele und Fühlbücher, Püppchen von fünf Kontinenten – und wenn gar nichts hilft, einen Fernseher. Wir haben die guten Ratschläge von der Oma und für den Notfall Mamas Handynummer.

Aber das ist alles nichts gegen das, worauf es ankommt: das Wesentliche. Das Wissen. Die Weisheit: „DIE GROSSEN VIER DES KLEINEN KINDES“. So hätte Mao den Schlüssel zur glücklichen Elternzeit genannt, hätte er seinen Sohn erzogen anstatt das ganze chinesische Volk. Wie die Zehn Gebote, die Fünf Säulen des Islam, die Anfangssätze des Kommunistischen Manifests oder die Bergpredigt sind die Großen Vier des Kleinen Kindes kurz, einleuchtend und universell gültig. Wer sie befolgt, kommt ins Paradies. Wer sie vernachlässigt, erlebt die Hölle. Und das nicht erst nach seinem Tod.

Die Großen Vier des Kleinen Kindes lauten: Weint dein Kind, möchte es, dass du dich um es kümmerst, also EINS: Schenke ihm Aufmerksamkeit! Weint dein Kind weiter, braucht es vielleicht eine neue Windel, also ZWEI: Windle es! Weint dein Kind immer noch, hat es vielleicht Hunger, also DREI: Füttere es! Weint dein Kind dann immer noch, so ist es vielleicht müde, also VIER: Wiege es in den Schlaf!

Zugegeben: Trotz der Großen Vier geht nicht immer alles glatt. In Wirklichkeit gibt es kaum Tage, an denen alles glattgeht. Die Tage, an denen überhaupt irgendetwas glattgeht, sind die guten Tage. An den anderen Tagen weint er lange, weil er seine Mama vermisst. Oder er mag nur spielen, wenn Papa dabeisitzt. Dabeisitzen und Zeitung lesen gilt nicht. Er heult manchmal auf einer Frequenz, die objektiv für Menschen unerträglich ist. Aber eines gilt in der Elternzeit immer: Der Junge kann nichts dafür. Und selbstverständlich gilt auch: Ich kann nichts dafür. Manchmal kommt es zwischen Weinen und Schreiben zu dem Punkt, an dem ich die Wut nicht mehr herunterschlucken kann. Einmal habe ich die Küchentür eingetreten. Aber meist hat es gereicht, meine Freundin anzurufen und sie wüst zu beschimpfen, warum sie um fünfzehn Uhr dreißig immer noch auf der Arbeit ist.

Ich bin nicht der Meinung, dass alle Männer Elternzeit nehmen müssen. Es reicht mir völlig, wenn ich das tue. Freunden rate ich allerdings, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Freundinnen rate ich das auch. Eine Mutter, die ihren Beruf aufgibt und in der Erziehung ihrer Kinder aufgeht, hat meine volle Sympathie. Es sei denn, sie tritt der Mütterpolizei bei.

Die Existenz der Mütterpolizei ist Menschen, die keine Kinder haben, oft gar nicht bekannt. Weil die Mütterpolizei keine Uniformen trägt und keine Dienstausweise zeigt, behaupten Unwissende, diese extralegale Truppe gebe es in unserem Rechtsstaat gar nicht. Welch ein Irrtum! Die Mütterpolizei ist aktiv – auf jedem Spielplatz, in jeder halbwegs bürgerlichen Gegend. In den seltensten Fällen belässt es die Mütterpolizei bei einer Verwarnung. In der Regel nimmt sie sofort eine moralische Verhaftung vor. Das geht so: Unter einem wolkenverhangenen Märzhimmel buddelt mein Sohn gemeinsam mit einem kleinen Mädchen. Dadurch wird ein Mitglied der Mütterpolizei auf uns aufmerksam. „Hallo, dein Junge ist ja ein süßer Schatz. Aber er hat ja gar keine Mütze.“– „Doch, doch. Wir haben jede Menge Mützen.“– „Ja, aber er trägt ja keine Mütze.“– „Heute mal nicht.“– „Aber Kinder unter drei Jahren sollten prinzipiell draußen eine Mütze aufhaben. Wenn es windig ist, können sie sonst eine Mittelohrentzündung bekommen. Und wenn es sonnig ist, können sie sich einen Sonnenstich holen.“

Heute scheint weder die Sonne, noch weht der Wind. Ich schweige also. Sie spricht: „Du weißt das vielleicht nicht, aber in der Kita, wo unsere Große ist, da tragen die Kinder sogar, bis sie sechs Jahre alt sind, immer Mützen.“

Manchmal beneide ich die vielen Türkinnen und Araberinnen auf den Spielplätzen Berlins. Sie können einfach so tun, als verstünden sie nichts, wenn die Mütterpolizei sie erwischt. Selbst wenn man wollte, könnte man es der Mütterpolizei nie recht machen. Denn wie in jedem diktatorischen Regime gibt es auch hier unterschiedliche, konkurrierende Fraktionen des Terrors. Eine Abteilung der Mütterpolizei meint, Impfungen seien eine organisierte Vergiftung unserer Kinder durch die Pharmaindustrie. Andere meinen, die Eltern würden das Impfen heutzutage sträflich vernachlässigen und das Jugendamt sollte Impfkontrolleure in die Familien schicken. Einige meinen, der Kinderwagen dieser einen Firma sei der einzige, in dem Kinder nicht sicher stranguliert werden, andere meinen, jener Kinderwagen sei die einzige Option. Die Mütterpolizei eint nur eines: Sie hat recht. Und sie teilt es allen mit.

Wie wenig normal es ist, wenn sich ein Mann eine Zeitlang um ein Baby kümmert, verrät schon die Sprache. „Vaterschaftsurlaub“ sagte man bis vor ein paar Jahren. Das klingt nach Erholungsurlaub und trifft die Sache nun wirklich nicht. „Elternzeit“ ist die modernere Variante, die insofern Sinn ergibt, als ich mir tatsächlich Zeit für meine Elternrolle nehme. Mir persönlich gefällt der Begriff „Familienzeit“ am besten. Aber weder die „Familienzeit“ noch die „Elternzeit“ passt wirklich in unsere Sprache. Bin ich jetzt ein „Elternzeitnehmer“, wie ich vor kurzem noch ein „Arbeitnehmer“ war? Oder ein „Elternzeitler“? Egal, welchen Begriff ich verwende, eine Nachfrage kommt immer: „Und was tust du noch?“ Es ist nämlich so: Frauen dürfen Kinder hüten. Männer dürfen auch Kinder hüten – wenn sie nebenbei arbeiten.

Mein Freund M. aus Leipzig schreibt, wenn seine Tochter schläft, an seiner Doktorarbeit über die Veränderungen im russischen Gesundheitswesen nach der Oktoberrevolution. Mein Bekannter K. aus Potsdam hat seiner Kanzlei zugesagt, sich einmal im Monat Schriftsätze abzuholen, die er zu Hause bearbeitet. Ein Kollege meiner Freundin, der zwei Kinder zu Hause betreut, hat verzweifelt versucht, einen Fuß in seinem alten akademischen Beruf zu behalten. Vergeblich – jetzt schult er zum Aerobiclehrer um.

Die Elternzeitväter arbeiten nur aus einem Grund: Sie wollen sich beweisen, dass sie aus der Arbeitswelt nicht völlig raus sind. Das ist dumm, denn selbstverständlich sind sie völlig raus. Ich habe versucht, mich vor Aufträgen zu schützen, indem ich statt Elternzeit immer „Elternvollzeit“ gesagt habe oder „Elterntotalzeit“ oder sogar „Elternstresszeit“. Aber diese Einschübe werden geflissentlich überhört. Wer wirklich seine Ruhe haben will, der sollte gar nichts von Elternzeit sagen, sondern kurz und knapp eine Auskunft geben, die jeder versteht: „Ich bin Hausfrau und Mutter!“ Sollte das jemand für einen Witz halten und mit einem Honorar locken, antwortet man: „Geldverdienen? Das erledigt bei uns meine Frau.“ Wenn der Anrufer dann trotzdem beginnt, „das faszinierende Projekt eben kurz zu erläutern“, dann hört man zehn Sekunden zu und schreit dann: „Hach, jetzt kocht mir das Mittagessen über, ich muss dringend auflegen.“ Wer das dreimal tut, muss sich künftig keine Sorgen mehr machen, mit Angeboten belästigt zu werden.

ROBIN ALEXANDER, Jahrgang 1975, war Politikredakteur und Kolumnist der taz und hat in seiner Elternvollzeit das Überlebensbuch „Familie für Einsteiger“ geschrieben, das dieser Tage im Rowohlt Verlag erscheint (208 S. 16,90 Euro). Der Text dieser Seite ist ein Auszug aus dem Buch. Robin Alexander hat mittlerweile ein zweites Kind und ist Agenda-Redakteur des Magazins Vanity Fair