Eine faschistische Waffe

Sie sind billig, leicht durchzuführen und verschaffen den Attentätern große Aufmerksamkeit: Anschläge mit Autobomben. Mike Davis zeichnet ihre Erfolgsgeschichte nach

VON RAUL ZELIK

Die „Asymmetrisierung des Krieges“ gehört zu den modischen Schlüsselbegriffen sicherheitspolitischer Debatten. Mit dem Begriff soll beschrieben werden, dass die westlichen Staaten heute mit neuen Konfliktkonstellationen konfrontiert sind. Der Staat habe es nicht mehr so sehr mit anderen Staaten als mit Terrorgruppen, Guerillas und Banden zu tun. In diesem Zusammenhang wird stets auch betont, dass der asymmetrische Krieg die Gewalt enthege und irregularisiere. Die nichtstaatlichen Akteure würden, so die These, die Zivilbevölkerung systematisch in Kriegsziele verwandeln.

Dass an dieser Erzählung etwas faul ist, liegt auf der Hand. Besonders in Deutschland ist es einigermaßen bizarr, staatlicher Kriegsgewalt Eigenschaften der Zivilisiertheit zuschreiben zu wollen. Immerhin war es die robuste Staatlichkeit Deutschlands, die die jüdische und osteuropäische Zivilbevölkerung zum Ziel einer konsequent entgrenzten, irregulären Gewalt machte.

Trotzdem lohnt es sich, jene Waffe genauer zu betrachten, die gemeinhin als das Mittel asymmetrischer Kriegführung gilt: die Autobombe. Mike Davis, linker Soziologe und Autor von „Planet der Slums“ und der Los-Angeles-Stadtgeografie City of Quartz“, hat genau dies getan und zeichnet den Siegeszug dieser unkonventionellen Waffe nach.

Davis widersetzt sich dabei dem Mainstream-Terrordiskurs – er bezeichnet den von staatlichen Luftwaffen geführten Bombenkrieg als nicht minder terroristisch als die Autobombe – ohne jedoch irgendwelche Relativierungen zuzulassen. Eine Waffe, die den Tod von Passanten so systematisch in Kauf nimmt oder gezielt verfolgt wie die Autobombe, sei, so Davis, „letzten Endes eine an sich faschistische Waffe“.

Davis' Ausgangspunkt kann als politisch-moralisch gelten, seine Darstellung bleibt historisch und sachlich. Davis arbeitet zunächst die wichtigsten Gründe für die rasante Ausbreitung der Autobombe im 20. Jahrhundert heraus. In diesem Zusammenhang stellt er fest, dass es sich um eine militärisch potente Waffe handele, die große öffentliche Aufmerksamkeit sicherstelle und somit auch marginalen Gruppen politische Aufwertung garantiere. Darüber hinaus seien Autobombenanschläge mit geringen finanziellen Mitteln möglich und leicht durchzuführen, würden kaum kriminalistische Spuren hinterlassen und in der Regel allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung hervorrufen. Der letzte Punkt erklärt wohl auch, warum die Autobombe in der Vergangenheit von so unterschiedlichen Gruppen eingesetzt wurde.

Die Autobombe war nämlich keineswegs nur eine Waffe von Underdogs und erklärten Staatsfeinden. Auch als Mittel staatlicher Sicherheitspolitik besitzt sie eine lange Geschichte – selbst in Europa. Davis führt aus, dass die Autobomben, die im Mai 1974 in Dublin detonierten, unter Mitwirkung des britischen Geheimdienstes gebaut wurden. Ähnliches gilt auch für die Autobombenanschläge der staatlichen spanischen Todesschwadronen Batallón Vasco-Español und der GAL („Antiterroristische Befreiungsgruppen“), die zwischen 1977 und 1987 an die 80 Menschen ermordeten. Die Verunsicherung der Bevölkerung durch (verdeckt ausgeführte) Anschläge ist aus staatlicher Sicht insofern funktional, als dadurch Sicherheitsapparate und Strafverfolgungsmaßnahmen legitimiert werden.

Davis’ weitgehend chronologisches Vorgehen macht deutlich, dass Autobombenanschläge zwar einem politischen Kalkül folgen, ihre Entwicklung jedoch von der Eigendynamik einer Waffentechnik abhängt. Die Autobombe musste von niemandem verbreitet werden, sie hat sich dank ihr Logik selbst einen Weg durch die Geschichte gebahnt. Der Anarchist Mario Buda, der 1920 eine mit Eisenschrott beladene Kutsche in der Wall Street zündete, kann als derjenige gelten, der die Büchse der Pandora öffnete.

Danach folgten kubanische Oppositionelle und die zionistische, antibritische Stern Gang in Palästina. Der vietnamesische Widerstand setzte die Autobombe in den 1950er-Jahren ein, um die Franzosen aus Indochina zu vertreiben; die eng mit den französischen Sicherheitsapparaten liierte Organisation de l'Armée Secrète hingegen griff auf sie zurück, um den Befreiungskampf in Algerien zu stoppen.

In der jüngeren Geschichte schließlich zeichne sich die Autobombe, so Davis, vor allem dadurch aus, dass sie eine neue Form urbaner Kriegführung etabliere: Immer größere Anschläge gegen immer weichere Ziele. Die Verbreitung von Furcht sei nämlich durchaus funktional, wenn sie nur systematisch genug betrieben werde. Auch hier zeichnet Davis kenntnisreich unterschiedliche Beispiele nach: von den Terrorkampagnen der italienischen Mafia über die Bomben der tamilischen LTTE in Sri Lanka bis hin zu den weltweiten Aktionen islamistischer Terroristen.

Mike Davis' Stärke ist es, bekannte Phänomene aus neuer Perspektive zu lesen und dabei beeindruckende Materialmengen zusammenzutragen. Auch „Eine Geschichte der Autobombe“ zeichnet sich durch diesen anderen, umfassenden Blick aus. Davis erklärt Terror nicht aus der Sicht der Akteure und mit Blick auf Ideologien, sondern leitet den Terror aus den eingesetzten Mitteln ab. Gerade weil das Buch auf große politische Thesen verzichtet, trägt es zur Klärung des Begriffs „asymmetrischer Krieg“ einiges bei.

Mike Davis: „Eine Geschichte der Autobombe“. Aus dem Amerikanischen von Klaus Viehmann. Assoziation A, Berlin 2007, 227 Seiten, 20 Euro