Lubbock, Schanghai, Daressalam

Pietra Rivoli erklärt, wie die Weltwirtschaft funktioniert. Dazu braucht sie nur ein T-Shirt und Zeit zum Reisen. Auch wenn sie Afrika vernachlässigt, lohnt es sich sehr, ihr Buch zu lesen

VON ROGER PELTZER

Pietra Rivoli ist Professorin für Wirtschaft an der Georgetown University in Washington. Immer wieder macht sie die Erfahrung, dass ihre Studenten von den Segnungen des Freihandels nicht so überzeugt sind wie sie und ihre Kollegen. Als 1999 im Vorfeld der WTO-Konferenz in Seattle eine Studentin während einer Kundgebung auf dem Campus jeden rhetorisch geschickt fragt, ob nicht auch sein T-Shirt unter ausbeuterischen Bedingungen in Vietnam oder in Indien hergestellt worden sei, reift in Pietra Rivoli der Entschluss zu einer Weltreise.

Sie begibt sich in das Herz der texanischen Baumwollproduktion, in die Sweatshops in China und auf die Altkleidermärkte Tansanias. Allerdings findet sie nicht den Weg zu den afrikanischen Baumwollbauern im Sahel, was sich als Nachteil für ein ansonsten sehr lesenswertes Buch erweist.

Etwas vereinfacht kann man sagen: Die Wertschöpfungskette, die ein in den USA gekauftes T-Shirt durchläuft, sieht etwa folgendermaßen aus. Die Baumwolle wird auf großen Farmen in Texas geerntet, dort entkernt und anschließend nach China exportiert. Dort wird sie in den Sweatshops zu Niedriglöhnen versponnen, gewebt und anschließend zu T-Shirts und anderer Konfektionsware vernäht, bevor sie wiederum ihren Weg zurück in die USA findet. Einige Male getragen oder unmodisch geworden, landet das T-Shirt in einer Altkleidersammlung und findet von dort den Weg auf die großen, bunten Märkte Afrikas.

Ausgangspunkt der Reise von Pietra Rivloi ist deshalb die Baumwollfarm der Familie Reinsch in der Nähe von Lubbock in Texas mit seinen endlosen Baumwollfeldern. Dort ist der Anbau perfektioniert. Je nach Klima können die Farmer künstlich Regen erzeugen, Sandstürme verhindern oder die Baumwollpflanze sogar einfrieren, um eine frühzeitige Reifung zu verhindern. Hocheffiziente Genossenschaftsbetriebe sorgen für die bestmögliche Nutzung aller Nebenprodukte. Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen sind ebenfalls um Lubbock herum konzentriert. In ihrer Begeisterung für dieses Idealbeispiel eines effizienten „agroindustriellen Clusters“ zeichnet die Autorin dann allerdings mit Blick auf die Baumwollproduktion in Westafrika – diese Station hat sie bei ihrer Weltreise ausgelassen – ein Zerrbild der dort lebenden Bauern: Diese seien durchweg Analphabeten, ließen sich von korrupten Regierungen und Händlern übervorteilen, könnten nicht mit Düngemitteln und Pestiziden umgehen.

Tatsächlich ist die Baumwollproduktion in West- und Zentralafrika recht gut organisiert, was sich schon darin zeigt, dass die durchschnittliche Produktivität pro Hektar deutlich höher ausfällt als etwa in Indien. Auch in Afrika gibt es Wertschöpfungsketten mit der Nutzung der Nebenprodukte. Wenn die afrikanische Baumwolle dennoch aktuell große Probleme hat, dann gibt es dafür nur einen Grund: die hohen US-Subventionen für die amerikanischen Baumwollfarmer.

Von Texas geht die Reise in die Spinnereien und Nähbetriebe in Schanghai in China. Bemerkenswert sind die Erkenntnisse, die Pietra Rivoli über die Motivation und Lebensbedingungen der jungen Mädchen gewinnt, die die Höfe ihrer Eltern verlassen, um in der Stadt unter Arbeitsbedingungen zu arbeiten, die von uns als menschenunwürdig angesehen werden.

Die Flucht in die Stadt bringt diesen Mädchen oft dennoch mehr persönliche Freiheit. Denn sie entkommen körperlich harter Arbeit in der Landwirtschaft, autoritären Familienverhältnissen, sozialer Kontrolle im Dorf und erschließen sich neue Konsummöglichkeiten. Mit etwas Glück schaffen sie später den sozialen Aufstieg in besser qualifizierte Jobs.

Letzte Station der Weltreise sind die gut organisierten Altkleidermärkte in Daressalam, die viele Menschen in Tansania mit preiswerter Kleidung versorgen. Allerdings verkennt die Autorin angesichts des bunten Treibens auf den Märkten, dass die Altkleiderimporte in vielen Ländern Afrikas eine funktionierende lokale Textilindustrie mit zehntausenden Schneiderinnen vom Markt drängen.

Doch wenn auch Altkleider Eingang in den Alltag der Afrikaner gefunden haben: Die sich quer durch den Kontinent entwickelnde afrikanische Mode ist Ausdruck eines entstehenden kulturellen Selbstbewusstseins – und greift auf einheimische Stoffe zurück. Daher hat Ghanas Präsident John Agyekum Kufuor eine neue Art „casual Friday“ angeregt. An Freitagen sollen alle Staatsangestellten afrikanische Kleidung tragen. Das hat schon jetzt zu einem bemerkenswerten Anstieg der Umsätze der einheimischen Textilindustrie geführt.

Insofern fordern Pietra Rivolis detaillierte Beobachtungen zu mancherlei Widerspruch auf. Dennoch ist die Lektüre ihres Buches anregend, stellen die detaillierten Analysen doch so manches vereinfachende Diktum der Globalisierungskritik gründlich in Frage.

Pietra Rivoli: „Reisebericht eines T-Shirts. Ein Alltagsprodukt erklärt die Weltwirtschaft“. Aus dem Englischen von Christoph Bausum. Econ Verlag, Düsseldorf 2007, 336 Seiten, 16 Euro