Hetzjagd in Sachsen: Inder in Todesangst

Der Bürgermeister von Mügeln redet sich mit immer kruderen Verharmlosungen um Kopf und Kragen. Auch in Indien sind die Übergriffe ein großes Thema.

taz/ap/dpa Der sächsische Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) war gestern kurzfristig ins Polizeirevier nach Oschatz gereist, um mit Polizisten zu sprechen, die an der "Lagebereinigung" im benachbarten Mügeln beteiligt waren. Dabei ließ der Versprecher von Oberkommissar Jörg Hofmann von der Bereitschaftspolizei Leipzig aufhorchen. "Wir haben die Personengruppe, die sich gegen diese ausländischen Mitbürger gewehrt hat, nach hinten gedrängt und eine Lagebereinigung durchgeführt", erstattete er in schönstem Polizeideutsch seinen Bericht.

In Mügeln war es in der Nacht zum vergangenen Sonntag nach einem Stadtfest zu einer Messerstecherei und einer Hetzjagd auf acht Inder gekommen, die sich in die Pizzeria Picobello ihres Landsmanns Singh flüchteten. Hofmann ergänzt, es habe sich bei den vierzig bis sechzig Personen vor der Pizzeria um eine "wilde Zusammensetzung" von Personen gehandelt. Darunter habe er "Hooligan-typische Erscheinungen" ebenso wie durchschnittliche Normalbürger wahrgenommen. Ausdrücklich bestätigte er, Rufe wie "Ausländer raus!" und "Deutschland den Deutschen!" gehört zu haben.

Einer vom Revier Mügeln, der vor Ort im Dienst war, ist Hauptwachtmeister Andreas Reinhard. Er gehörte zu den drei Polizisten, die sich zunächst schützend vor die Pizzeria stellten. Nach der Anforderung weiterer Polizeikräfte folgte er einem Ruf des Gaststätteninhabers und begab sich ins Innere des Lokals. In diesem Moment wurde die Pizzeria auch vom Hintereingang her angegriffen. Die Beamten hätten ein Eindringen verhindert.

Alkohol habe auf beiden Seiten "eine große Rolle" gespielt, wobei die indischen Mitbürger aber deutlich weniger angetrunken gewesen seien. Die Stimmung unter den überwiegend jugendlichen Angreifern sei eskaliert und "immer aggressiver" geworden. Vom Applaus Unbeteiligter habe er allerdings nichts bemerkt. Die Inder in der Pizzeria seien unbewaffnet gewesen und hätten "um ihr Leben gezittert".

Nach Antifa-Informationen handelte es sich bei den Angreifern am Hintereingang der Pizzeria doch um organisierte Neonazi-Kräfte der Gruppe Schober aus dem benachbarten Leisnig. Sie sollen ursprünglich einen auch im Internet angekündigten Angriff auf das Jugendzentrum "Free Time Inn" geplant haben, das sie aber verschlossen fanden. Für eine organisierte Aktion gebe es keine Anzeichen, erklärte dagegen Innenminister Buttolo gestern.

Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat inzwischen offiziell gegen zwei Tatverdächtige im Alter von 21 und 23 Jahren Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die beiden Mügelner waren am Tatort festgenommen, dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Einer von ihnen leugnet jede Tatbeteiligung, der andere schweigt. Nach unbestätigten Informationen soll einer der verletzten Inder polizeilich gesucht werden, weil er sich illegal in Deutschland aufhält.

Der Mügelner Bürgermeister Gotthard Deuse relativierte die rechtsextremistischen Sprechchöre in seiner Stadt und löste damit Empörung aus. Auf die "Ausländer raus!"-Rufe während der Hetzjagd angesprochen, sagte Deuse der Financial Times Deutschland: "Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen." Gegenüber AP erklärte Deuse erneut, in seiner Stadt gebe es keinen Rechtsextremismus.

Am Dienstagabend hatten rund 200 Personen auf dem Mügelner Marktplatz gegen rechte Gewalt demonstriert. Mit Plakaten protestierten sie gegen Ausländerfeindlichkeit. Es seien zum Teil vermummte Anhänger aus der linken Szene gewesen, sagte die Polizeisprecherin.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat gefordert, den Rechtsextremismus zu bekämpfen. "Fakten sind wichtig und nicht nur schöne Sonntagsreden", sagte die Präsidentin Charlotte Knobloch gestern.

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