Das Chamäleon Terrorismus

Ursprünglich propagierte der Terror Revolution, Aufstand und Anarchie. Heute verbreitet er nur noch Furcht und Schrecken

Dass es den Vereinten Nationen nicht gelungen ist, eine von der Mehrheit ihrer Mitglieder akzeptierte Definition des Terrorismus zu finden, hat politische Gründe; dass in wissenschaftlichen Debatten so viel aneinander vorbeigeredet wird, wenn es um Terrorismus geht, hat jedoch auch sachliche Gründe. Seit seinen Anfängen im zaristischen Russland Ende des 19. Jahrhunderts hat der Terrorismus immer wieder seine Erscheinungsform geändert. Aus einem Instrument, das der Befreiung des Volkes von Armut und Unterdrückung dienen sollte bzw. sich damit gerechtfertigt hat, ist zuletzt eine Gewaltform geworden, mit der die Bevölkerung, zumindest die in Europa und den USA, eingeschüchtert und geängstigt werden soll. Macht es unter diesen Umständen überhaupt Sinn, am Begriff Terrorismus als Sammelbezeichnung festzuhalten?

Das Einzige, was allen Formen terroristischer Gewalt gemeinsam ist, ist die Orientierung an den psychischen und weniger an den physischen Folgen der Gewalt: Es geht vor allem um die Erzeugung von Schrecken, nicht so sehr um das Anrichten von Zerstörungen. Das lateinische Wort terror, Schrecken, bringt die Grundintention dieser Strategie, sehr präzise zum Ausdruck. Worin sich dagegen die verschiedenen Terrorismen fast immer unterscheiden, ist die Gruppe derer, die in Furcht und Schrecken versetzt werden soll, und natürlich auch der Kreis derer, denen die Anschläge Mut und Zuversicht geben sollen, dass eine Revolution möglich und terroristische Gewalt das dazu geeignete Mittel sei. Man kann Letztere auch als "den zu interessierenden Dritten" bezeichnen, an den die Anschläge wie die Bekennerschreiben indirekt gerichtet sind.

Etwas vereinfacht lässt sich zwischen einem nationalrevolutionär-ethnoseparatistischen und einem sozialrevolutionären Terrorismus unterscheiden. Beispiele für ersteren Typus waren in Europa zuletzt die IRA und die ETA, während für letztgenannten Typus die Brigate Rosse in Italien oder die Rote Armee Fraktion (RAF) in Deutschland stehen. Als Drittes lässt sich ein vigilantistischer Terrorismus unterscheiden, für den der Ku-Klux-Klan in den USA ein Beispiel ist: Hier soll der Schrecken nicht dem Umsturz, sondern der Erhaltung der bestehenden Strukturen dienen. Wichtig ist dabei, dass dieser Schrecken nicht vom Staatsapparat selbst, sondern von unabhängigen Bewegungen erzeugt wird. Sonst spricht man von Terror, nicht von Terrorismus. Rückblickend wird man sagen können, dass der nationalrevolutionäre Terrorismus einige Male erfolgreich gewesen ist, der sozialrevolutionäre dagegen nie. Dass dem so ist, hat vor allem mit der Reaktion des "zu interessierenden Dritten" zu tun.

Mangelnde Resonanz

Die Geschichte der RAF in Deutschland ist durch Auseinandersetzungen und Zerwürfnisse über die Frage gekennzeichnet, wer "der zu interessierende Dritte" sein sollte: Während die einen auf das nationale Proletariat und später eine heterogene Gruppe von gesellschaftlich Marginalisierten setzte, orientierte sich der internationalistische Flügel an den "Völkern der Dritten Welt", womit in Zeiten des Vietnamkrieges zwangsläufig die USA zum Hauptgegner avancierten.

Beide Flügel hatten freilich ein gravierendes Problem, und das war das notorische Desinteresse derer, die durch die Anschläge unterstützt und motiviert werden sollten. Die fast zwangsläufige Konsequenz dieses Desinteresses war, dass die Aktionen schließlich wesentlich auf die Befreiung von Inhaftierten der eigenen Gruppe abzielten. Die "zweite Generation" der RAF war damit beschäftigt, die in Haft befindliche "erste Generation" freizupressen. Das Desinteresse des "zu interessierenden Dritten" gegenüber den Terroristen hatte zur Folge, dass die Bekämpfung des Terrorismus keine politische Herausforderung mehr war, sondern nur noch ein polizeiliches Problem. Die Anschläge gingen zwar noch mehr als ein Jahrzehnt weiter, aber die Erregung hielt sich in engen Grenzen.

Das ist bei den neuen Formen des Terrorismus, für die der Name al-Qaida steht, ganz anders. Der "zu interessierende Dritte" ist auf eine Restgröße geschrumpft, etwa in Form von Beifallskundgebungen der arabischen Massen oder der geweckten Spendenbereitschaft reicher muslimischer Geschäftsleute, die mit "dem großen Satan" Geschäfte machen und darüber ein schlechtes Gewissen haben. Während im klassischen Terrorismus die Anschläge als Anlasser dienten, den Dritten in Bewegung zu setzen und die Gewaltkampagne in einen Massenaufstand in den Städten oder einen Partisanenkrieg auf dem Lande zu überführen, spielen diese Dritten im transnationalen Terrorismus des 21. Jahrhunderts keine entscheidende Rolle.

Die Strategie der schreckenerzeugenden Gewalt folgt hier anderen Vorgaben: Sie dient nicht als Anlasser für einen eskalatorischen Prozess, in dem das Volk schließlich die entscheidende Rolle spielt, sondern es geht um einen Ermattungskrieg, bei dem kleine und im Prinzip schwache Akteure unter Umgehung des professionellen Sicherheitsapparats die Bevölkerung des Gegners immer wieder mit Anschlägen überziehen, bis diese ihre Regierung zum Nachgeben und zur politischen Resignation drängt.

War der klassische Terrorismus eine Form der Gewalt, die sinnvoll unter dem Rubrum der Revolutionstheorien verbucht wurde, so ist der neue transnationale Terrorismus eher dem Feld der Kriegstheorien zuzuschlagen. Jedenfalls handelt es sich dabei um eine Strategie, deren Erfolg nicht davon abhängig ist, dass ein "zu interessierender Dritter" auf eine bestimmte Weise reagiert.

Anleitung im Internet

Das hat schließlich ganz lebenspraktische Konsequenzen für die in den Gebieten terroristischer Aktionen Lebenden: Selbst auf dem Höhepunkt der RAF-Kampagnen in den Jahren 1972 und 1977 konnte man relativ unbesorgt mit dem Zug und der U-Bahn fahren, denn die Strategie schrieb zwingend vor, dass niemand aus den Reihen des "zu interessierenden Dritten" zu Schaden kommen durfte.

Wenn man nicht zu den Spitzen von Staat und Gesellschaft oder deren Sicherheitspersonal gehörte, mussten einen die Anschläge nicht sonderlich beunruhigen. Wenn sie es dennoch taten, war dies eine Folge medial erzeugter Erregung, aber nicht des rationalen Kalküls.

Das ist beim transnationalen Terrorismus nicht der Fall, wie die Anschläge von New York, Madrid und London gezeigt haben. Der Verzicht auf den "zu interessierenden Dritten" im transnationalen Terrorismus hat obendrein zur Folge, dass Anschläge sehr viel einfacher geworden sind und tendenziell von jedem durchgeführt werden können. Anleitungen aus dem Internet und etwas handwerkliches Geschick genügen. Das hat zur Folge, dass im transnationalen Terrorismus nicht mehr straff geführte Gruppen, sondern lose Verbände agieren.

Überhaupt haben ideologische Rechtfertigungen der Gewalt, die für die RAF noch von zentraler Bedeutung waren, an Gewicht verloren. Die Gewalt erklärt sich selbst: Sie soll allen Furcht und Schrecken einjagen.

HERFRIED MÜNKLER, Jahrgang 1951, Professor für Theorie der Politik an der Berliner Humboldt-Universität, ist Autor des Buches "Imperien" (Rowohlt, Berlin 2005, 331 Seiten, 9,90 Euro)

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