Joschka Fischers Biografie: Das Prinzip Härte

"Die rot-grünen Jahre" heißt die Autobiografie von Joschka Fischer. Auf 443 Seiten erzählt er von seiner Zeit als Außenminister -und dem Ende vieler Spontiträume.

Fischers Erinnerungen: Pragmatismus statt grüne Träumereien. Bild: ap

Vorweg gesagt: "Die rot-grünen Jahre" ist ein - für das Genre Politikerautobiografie - lesbares Buch. Zwar fällt Fischer oft in die rappeltrockene, abgedichtete Diplomaten-Sprache, in der ohne Unterlass "tiefe Sorge ausgedrückt", "erheblicher Gesprächsbedarf angemeldet" und selbstredend jeder "Schatten eines Zweifels an der Bündnistreue vermieden" wird. Diese Sprache hat etwas Stillgelegtes, Eingefrorenes. Sie zeigt, wie intensiv der Code der Macht Fischer ge- und verformt hat. Vielleicht ist diese Sprachödnis eine Art Rache, mit der die Politiker uns, das Publikum, für die Lebensferne und Entbehrungen ihres normierten Alltags strafen. Trotzdem: "Die rot-grünen Jahre" ist, verglichen mit der Verlautbarungsprosa der Memoiren von Kohl und Schröder, geradezu ein Feuerwerk an Eloquenz und Lebendigkeit.

Auch künftig wird Joschka Fischer in der internationalen Politik präsent sein. In der jetzt gegründeten Denkfabrik "European Council on Foreign Relations" (ECFR) sind neben Fischer u. a. Finnlands früherer Staatspräsident Martti Ahtisaari, der polnische Ex-Außenminister Bronislaw Geremek (Polen), der neue Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, Ex-Ministerpräsident Giuliano Amato (Italien) und der Milliardär George Soros Gründungsmitglieder. Fischer und Ahtisaari gehören zum Vorstandsvorsitz des ECFR. Der "Think-Tank" wird finanziert von der spanischen "Stiftung für Internationale Beziehungen und Außendialog" (Fride), der britischen "Sigrid-Rausing"-Stiftung und dem Soros Foundation Network. TAZ, DPA

Biografien sind Versuche, sinnvolle Erzählung zu konstruieren, in denen ein günstiges Licht auf den Autor fällt. Joschka Fischers Erzählung von 1998 bis zum 11. 9. 2001 klingt in etwa so: Er war der entnervte Erzieher, der die traumverlorenen Grünen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbeorderte. "Ströbele! Immer wieder Ströbele. Dieser Meister grüner Selbstzerstörung", stöhnt er. In dieser ironisch gebrochenen Verzweiflungsgeste steckt die ganze Verachtung, mit der Fischer auf die Grünen blickt: eine Bande von Quälgeistern, undankbar, im Grunde nicht satisfaktionsfähig. Und unfähig, die Realität zu sehen.

Dahinter schimmert ein Bildungsroman durch: Als Roman Herzog ihm die Ernennungsurkunde überreicht, ist der Flüchtlingssohn ohne Abitur und Ex-Sponti Joseph Fischer endlich oben angekommen. Das Ministeramt ist die offizielle Bestätigung, dass alle seine Wandlungen richtig waren. Jetzt ist er Teil der wirklichen Welt, jenseits von Spontiträumen und grünen Parteitagsreden. Und hier regiert das Prinzip Härte. "Sind wir Grünen hart genug?", fragt sich Fischer 1998.

Sein Start als Außenminister ist nicht einfach. Das Außenministerium ist traditionell konservativ - und dies lassen einige Beamte den früheren Linksextremisten Fischer spüren. Bei einem Treffen fehlen geheime Nato-Dokumente, die man offenbar dem Minister vorenthalten will. Fischer tobt, erfolgreich. Seine erste bemerkenswerte Tat ist es, sich gegen die atomare Erstschlagsdoktrin der Nato starkzumachen. Das steht im rot-grünen Koalitionsvertrag, vernünftig ist es auch, zudem ein Zeichen, dass Rot-Grün nicht alles genauso machen wird wie Kohl. Doch das interessiert die US-Regierung wenig. Fischer muss klein beigeben. Beim Nato-Gipfel etwas später stimmt Deutschland sogar dafür, dass die atomare Nato-Erstschlagdoktrin bleibt. Es ist ein Desaster. "Ich hatte mein ministerielles Lehrgeld zu bezahlen gehabt", schreibt Fischer. Mag sein, dass dies eine Art Schlüsselerlebnis war: Wer sich mit den USA anlegt, dabei auch noch auf eigene Faust handelt, verliert. Danach geht Fischer Konfrontationen mit der US-Regierung aus dem Weg.

Wenn man diesen Erinnerungen glaubt, dann dürfen wir uns Außenminister Fischer fortan als einen Pragmatiker der Macht vorstellen, der gelernt hat, nur das Mögliche im Sinn zu haben. Von anderen Politikern, etwa Otto Schily, unterscheidet ihn, dass er Fehler zugeben kann. Keine fundamentalen, aber immerhin. "Die rot-grünen Jahre" erzählt chronologisch vom Wahlkampf 1998 bis zum 11. 9. 2001. Das interessanteste Kapitel schildert die Eskalation im Kosovo-Konflikt und die hektischen diplomatischen Versuche, den Krieg zu verhindern. Fischer listet die ernst gemeinten Versuche der USA auf, Miloðevic zum Nachgeben zu bewegen. Er beschreibt Miloðevic volltönenden Irrtum, die Nato werde in Serbien ihr Vietnam erleben. Er argumentiert - im Ton zu scharf, aber im Kern richtig - gegen linke Fundis, die bloß US-Kriegstreiber am Werk sehen. Denn es gibt kein Öl im Kosovo, sondern muslimische Kosovaren, die lange von Serben unterdrückt wurden. Am 26. Januar 1999 telefoniert Fischer mit der US-Außenministerin Albright. Miloðevic müsse alle Bedingungen der Nato erfüllen, sagt Albright, " or we bomb". Fischer ist "leicht schockiert". Er versucht, Russland "im Boot zu halten" und den Eskalationskurs der USA vorsichtig zu dämpfen. Es ist alles umsonst. Das berühmte Treffen von Rambouillet erscheint bei Fischer als Farce: Weder Miloðevic noch die kosovarische UÇK wollen eine Einigung.

So beginnt der Bombenkrieg - aber die Lage ändert sich kaum. "Die Nato setzte darauf, dass Miloðevic unter Druck die Vereinbarung von Rambouillet unterschreiben würde. Aber was, wenn nicht? Worin bestand der Plan B? Es gab keinen", schreibt Fischer erstaunt. Kriege sind immer leicht zu beginnen und schwer zu beenden. Fischers Konsequenz ist klar: Weiter so. Die Nato muss geschlossen handeln. Keine Bombenpause. Das Prinzip Härte.

Wer Fischers Kosovo-Schilderungen ohne Scheuklappen liest, sieht keinen militaristischen Agitator am Werk, sondern einen Politiker, der im Strudel der Ereignisse versucht, das Schlimmste zu verhindern. Seine anfänglichen Skrupel sind glaubwürdig, sein historisches Verdienst besteht darin, unermüdlich Russland einzubinden. Das hat handfesten Wert. Denn der Krieg endet nach 78 Tagen; auch, weil man in Belgrad begreift, dass Russland Serbien nicht retten wird. Auf Fischers Habenseite steht auch der Stabilitätspakt für Südosteuropa, trotz der deprimierenden Wirklichkeit im UN-Protektorat Kosovo 2007.

Joschka Fischer war in den 90er-Jahren ein Fürsprecher des Konzepts der Zivilmacht Deutschland, die bescheiden im Hintergrund agieren sollte. Die selbstkritische Überprüfung, ob der Kosovokrieg der Zivilmacht Deutschland wirklich genutzt hat, sucht man in "Die rot-grünen Jahre" allerdings vergebens.

Zudem gibt es eine Reihe von beredten Auslassungen: Kein Wort fällt über die Vertreibung der Serben aus dem Kosovo nach dem Sieg der Nato. Die "Kollateralschäden", die zivilen Opfer der Nato-Bomben, werden mit diplomatischen Floskeln bedauert. Kein kritisches Wort, dass der Bombenkrieg unverhältnismäßig ist. Keine Andeutung, dass Fischer versucht hätte, die USA zu mehr Vorsicht bei der Bombardierung zu bewegen. Und keine überzeugende Auseinandersetzung damit, dass der Kosovokrieg faktisch ein Angriffskrieg und Bruch des Völkerrechts war. Wo es wirklich weh tut, schweigt Fischer.

Merkwürdig abwesend ist in diesem Panoramablick die Dritte Welt. Mal wird pflichtgemäß von einer Afrikareise Bericht erstattet, mal unverbindlich geklagt, dass die Millenniumsziele zur Armutsbekämpfung unverbindlich sind. Mehr nicht. Nichts über die schändliche Praxis der EU, mit subventionierten Lebensmitteln die Märkte in Afrika zu zerstören. Nichts über die Waffenexporte, die unter Rot-Grün florieren. Das Moralische, das Kerngeschäft der Grünen, bleibt eine großflächige Leerstelle.

Der grüne Politiker Fischer war stets ein Widerspruch. Keiner hat das Gesicht der Grünen stärker geprägt, kein Grüner war je populärer. Keiner hat die Verwandlung von einer linksalternativen in eine bürgerlich-liberale Partei so forciert wie er. Und doch hat er, von Beginn an, bei den Grünen stets gefremdelt. Jetzt gibt er, als Staatsmann a. D., via Stern und Spiegel der Partei schlechtgelaunt Tipps, wie sie sein Erbe ordnungsgemäß zu verwalten hat. Es ist kein Wunder, dass die Grünen sich taub stellen.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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