Musikdownload: Ein Schuss vor den Bug

222.000 Dollar muss eine US-Amerikanerin zahlen, weil sie 24 Songs bei einer Onlinetauschbörse angeboten hatte. Die Plattenindustrie geht trotzdem unter.

Und sie dreht sich doch? Keineswegs: Die Plattenindustrie ist dem Untergang geweiht. Bild: dpa

Mit dem Runterladen von Musik aus dem Internet hat jeder so seine eigenen Probleme. Manchen gehts einfach oft zu laaangsam, während andere bedauern, dass so ein digitaler Download entgegen der landläufigen Meinung einfach nicht wirklich gut klingt. Und der Musikindustrie? Geht das alles viel zu schnell und zu gut, zumal sie die Entwicklung um mindestens ein sattes Jahrzehnt fröhlich verpennt hat.

Nun aber, obschon bereits unrettbar im Untergang begriffen, feuert die US-Branchenvereinigung RIAA seit vier Jahren noch aus allen juristischen Rohren auf alle illegalen Downloader, die sie in die Finger bekommen kann. Bislang sind weltweit 26.000 solcher Fälle bekannt geworden, in denen sich aber in der Regel die Beschuldigten mit der Industrie auf einen Vergleich einigten; mit einer einmaligen, gleichwohl schmerzhaften Strafzahlung war die Sache dann meistens erledigt.

Was auch darauf zurückzuführen ist, dass es die meisten Downloader schon aus finanziellen Gründen schlicht nicht auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit der RIAA ankommen lassen wollten, der ein Heer von Anwälten zu Gebote steht, die auf Tauschbörsen spezialisiert sind. Diese Praxis führte in der Vergangenheit aber auch oft dazu, dass sich auch Beschuldigte, die sich unschuldig wähnten, vorsichtshalber auf einen Vergleich einließen.

Jammie Thomas, eine 30-jährige Angestellte aus dem US-Bundesstaat Minnesota, wagte es nun trotzdem, lehnte alle Vergleichsangebote ab und zog vor Gericht. Ihr Anwalt erklärte: "Meine Klientin besteht darauf, dass sie das nicht getan hat. Sie hat mich engagiert, um sie zu verteidigen, und sagt, sie würde unter keinen Umständen klein beigeben."

Das Verfahren "RIAA vs. Thomas" war also der Präzedenzfall, das erste Mal, dass eine Abschreckungsklage der Plattenindustrie tatsächlich vor Gericht gelandet ist. Es ging um 1.700 von Thomas auf der Tauschbörse Kazaa feilgebotene Musiktitel - und knapp 4 Millionen Dollar Schadenersatz. Dabei war vor allem zu klären, ob der Musikfreundin das kostenlose Herunterladen bewiesen werden konnte - und ob sie sich mit der digitalen Bereitstellung von Songs aus der eigenen CD-Sammlung überhaupt strafbar gemacht hat.

Die Meinungen darüber gehen denkbar weit auseinander. RIAA-Präsident Cary Sherman klagte, illegale Downloads seien inzwischen "Gewohnheitssache, niemand denkt wirklich darüber nach. Die Leute werden verstehen, dass wir unsere Rechte schützen müssen." Der US-Anwalt und Prozessbeobachter Ray Beckermann dagegen schrieb in seinem Blog: "Verfügbar machen ist keine Urheberrechtsverletzung; dies ist eine Erfindung der Fantasie der RIAA-Anwälte." Das Gericht indes war anderer Auffassung und wies Thomas, die sich in Widersprüche verwickelt hatte, die "Verfügbarmachung" von mindestens 24 Songs nach, von Janet Jackson bis Prince. Nach US-Urheberrecht können für solche Copyrightverletzungen Strafen von 750 bis 30.000 Dollar pro Song verhängt werden, bei "mutwilligen" Tätern sogar bis zu 150.000 Dollar. Gestern nun verurteilte die Jury in Minnesota Jammie Thomas dazu, für jeden der 24 Titel 9.250 Dollar an die involvierten Plattenfirmen zu zahlen - macht summa summarum 222.000 Dollar.

Das sitzt. Aber nützt es auch etwas? Als die RIAA im April 2003 ihren Feldzug begann, wurden nach offiziellen Schätzungen monatlich rund 6,9 Millionen illegale Downloads getätigt - im März 2007 waren es 7,8 Millionen. Wären es heute 10 oder 20 Millionen, wenn die Industrie stillgehalten hätte? Wohl kaum. Zwar geht es den beteiligten Plattenfirmen auch hierzulande offiziell darum, das "Unrechtsbewusstsein" der Tauschbörsenfans zu schärfen, tatsächlich aber hat sich die Plattenindustrie selbst in die gegenwärtige Bredouille geritten, und zwar aus keinem anderen Grund als der unternehmerischen Gier nach größeren Gewinnspannen. Mit der Umstellung von Vinyl auf Plastik lieferte die Branche ihren Kunden zwar einen neuen, wesentlich billiger herstellbaren Tonträger zum Preis des alten - verwandelte ihre akustische Ware nebenbei aber eben auch ohne Not in Einsen und Nullen.

Man kann es nicht oft genug betonen: Mit seiner Digitalisierung hat sich der Ton vom Träger gelöst, die Tonträgerindustrie wird obsolet. Dabei handelt es sich um eine fahrlässig eingeleitete, gleichwohl irreversible Entwicklung, die - die Zahlen zeigen es - auch nicht durch eine Klagewelle gestoppt werden kann.

Dennoch sind Plattenfirmen wie etwa die EMI dazu übergegangen, Rezensionsexemplare kommender Platten nur noch als CD mit personalisiertem "Wasserzeichen" zu verschicken, per Link zu einem gesicherten Audiostream zu versenden - oder gleich wieder auf dem guten alten Vinyl, das nicht ohne weiteres in ein Computerlaufwerk passt.

Gleichzeitig nutzen immer mehr Künstler in Eigenregie die neuen Wege für den Vertrieb ihrer Musik. Was früher eine Plattenfirma machte, das tut bei Radiohead neuerdings die Homepage: "Radiohead have made a record", steht da, am kommenden Donnerstag werde sie veröffentlicht. Es folgen zwei Links: einer zum kostenlosen (!) Download, der andere zum Bestellformular für die "Discbox", ein wahres Füllhorn mit Doppelvinyl, CD, Artwork, Bonusmaterial etc. pp. - für satte 40 britische Pfund.

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