Deutschland, ein PET-Shop

Als Weißblech, Plastik- und Glaswegwerfverpackungen zunehmend Straßen und Parks vermüllten und der Mehrweganteil von Getränkeverpackungen auf 72 Prozent gesunken war, zog die Bundesregierung die Notbremse. Zum 1. Januar 2003 führte Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) das Einwegpfand ein – ein Pfand, auf das kaum jemand vorbereitet war.

Vor allem die Pfandrücknahme war ein Problem. Die Getränkeindustrie machte die Politik für das Durcheinander verantwortlich, Umweltverbände beschuldigten den Handel: Anstatt rechtzeitig ein Rücknahmesystem aufzubauen, hätten die Handelsverbände bis zuletzt versucht, geltendes Umweltrecht mit einer beispiellosen Klagewelle zu verhindern, kritisierte Eva Leonhardt, Abfallexpertin beim Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) damals die Interessenvertreter, die wiederum scharfe Kritik am gesamten System äußerten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion forderte die Bundesregierung sogar auf, das Dosenpfand auszusetzen. Zu viele Fragen seien noch ungeklärt, so Werner Wittlich von der Bundestagsfraktion CDU/CSU im Dezember 2002.

Seit 1. Oktober 2004 müssen die Geschäfte auch Verpackungen zurücknehmen, die sie nicht selbst verkauft haben. Die unterschiedlichen Pfandsysteme blieben allerdings bestehen. Seit 1. Mai 2006 müssen alle Geschäfte mit mehr als 200 Quadratmetern Ladenfläche alle Getränkeverpackungen der Materialarten, die sie verkaufen, auch zurücknehmen. Unterdessen liegt der Anteil an Mehrwegflaschen bei 35 Prozent. SVEN KULKA

Ob heimische Hartz-IV-Empfänger, chinesische Recycler oder die Getränkekonsumenten – alle sind scharf auf Einwegflaschen aus Kunststoff. Über das Einwegpfand und seine Folgen

AUS ROSTOCK SVEN KULKA

Von weitem glitzern sie wie überdimensionale Zauberwürfel in der Sonne, blaue, grüne und klare Flaschen, dicht zusammengepresst zu riesigen Ballen. Was so schön aussieht, ist allerdings nichts weiter als Müll, begehrter Müll. Müll aus den Rücknahmeautomaten der Lebensmittelhändler. Rund um die Uhr liefern Lkws aus der gesamten Republik den Plastikabfall bei Cleanaway in Rostock an, Deutschlands einziger Bottle-to-Bottle-Recyclinganlage. Riesige Maschinen zerlegen, sortieren und schmelzen vor Ort die Einwegflaschen aus PET, bis nichts weiter von ihnen übrig ist als der reine, lebensmitteltaugliche Rohstoff.

Über lange Fließbänder rauschen die Flaschen durch die 2.000 Quadratmeter große Vorsortierhalle von einer Recyclingmaschine in die nächste. Ein Roboter trennt alles, was nicht Kunststoff ist, und wirft Alu- und Weißblechdosen aus. Eine Mühle zerlegt anschließend die PETs in winzige Flakes – fünf Tonnen die Stunde, 30.000 im Jahr. Der Recyclingprozess beginnt. Überall riecht es nach Alkohol, gegorenem Fruchtsaft und verdorbener Milch gleichzeitig. Sich vorzustellen, dass dieser stinkende Plastikmüll in einigen Tagen wieder in den Supermarktregalen steht, fällt schwer. Doch das sortenreine Recycling funktioniert. Die Verpackungsverordnung macht es möglich.

1991 war es so weit. Das Duale System mit dem Grünen Punkt entstand, ein System, von dem vor allem die privaten Entsorger begeistert waren. Erlaubte es ihnen doch, sich von dem ungeliebten Pfand und der Rücknahmepflicht freizukaufen – und zugleich mit dem getrennten Abfall eine Menge Geld zu verdienen. Ab sofort galt in der Praxis Verwertung als gleichwertig mit vorbeugender Vermeidung von Müll. Gleichzeitig verpackte die Lebensmittelindustrie immer mehr Produkte in Kunststoff – leichter und in der Herstellung günstiger als etwa Glas. Der Siegeszug der Kunststoffflaschen aus Polyethylenterephtalat – kurz PET – begann.

Heute boomt die Wegwerfflasche, weil die Konsumenten zunehmend bei Billigdiscountern einkaufen und zwischen den beiden Systemen Ein- und Mehrwegpfand nicht mehr unterscheiden. Sie glauben, sie handelten ökologisch, schließlich bringen sie auch die leeren Einwegflaschen zurück zum Händler.

Der Kunde steckt seine leeren Flaschen in die Rücknahmeautomaten, nimmt den Bon, löst damit das Pfand an der Kasse ein und kauft neue Flaschen – schnell, einfach, unkompliziert. Das unschlagbare Hauptargument für die PET-Flasche: Mit 40 Gramm wiegt sie nur ein Fünfzehntel ihres Mehrwegpendants aus Glas – das zudem nur die Hälfte des Inhalts fasst. Viel trinken ist schließlich gesund, viel schleppen eher weniger.

Was allerdings mit all dem Müll passiert, ist vielen nicht klar. Bis zu 5.000 leere PET-Flaschen ziehen die Rücknahmeautomaten jeweils ein und pressen sie zu einem Ballen zusammen, die der Handel anschließend laut Verpackungsverordnung entsorgen muss. Wie, wo, und bei wem, differiert stark. Bei Recyclern wie Cleanaway in Rostock beispielsweise. Der meiste PET-Abfall aus dem Dualen System landet allerdings in China. Mit dem könnte Cleanaway ohnehin nichts anfangen. „Die Qualität der Flaschen aus der Gelben Tonne ist zu schlecht und eignet sich nicht für die Lebensmittelindustrie“, sagt Joachim Westphal, Geschäftsführer bei Cleanaway.

Nach einer gründlichen Wäsche gelangen die Schnipsel in ein Wasserbecken, in dem die Polyolefine, aus denen die Schraubdeckel der Flaschen bestehen, oben schwimmen. Eine Pumpe saugt den Kunststoff ab, den Cleanaway an Unternehmen verkauft, die wieder Verschlussdeckel daraus herstellen. Der bunte PET-Mix hingegen sinkt nach unten und schießt durch ein Rohr in einen Windsichter, in dem ein Gebläse leichte und schwere – also klare und farbige – Flocken automatisch voneinander trennt. Für die grünen, braunen und gelben Flakes ist die Reise durch das Recyclingwerk an dieser Stelle zu Ende. Sie werden an die Folienindustrie verkauft. Für die klaren Flakes geht der Recyclingprozess in Rostock weiter. Warum nur klare Flakes? „Weil die Hersteller von Flaschenrohlingen PET-Rohstoff haben wollen, den man später so einfärben kann, wie es den Produktmarken entspricht“, erklärt Westphal.

Ein Förderband transportiert die Flakes in den lebensmittelsicheren Bereich des Unternehmens. Dorthin, wo Mitarbeiter penibel genau dafür sorgen, dass der Rohstoff unter strengsten hygienischen Vorschriften zurückgewonnen wird. In einem riesigen Drehofen löst eine Natronlauge bei großer Hitze letzte Verunreinigungen. Ein Prozess, der gewährleistet, dass das gewonnene PET lebensmitteltauglich ist. Heißt: Aromastoffe und andere Zusätze müssen raus.

Das Verfahren sichert Cleanaway einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der asiatischen Konkurrenz, denn die kann lediglich nach Farbe trennen. Was ihr bisweilen auch ausreicht, denn sie benötigt den thermoplastischen Kunststoff aus der Familie der Polyester nicht für den Einsatz in der Lebensmittelindustrie, sondern um T-Shirts oder Turnschuhe daraus zu produzieren. Also räumen die Asiaten, die ihren Rohstoffhunger schon lange nicht mehr mit primären Rohstoffen wie Öl und Gas decken können, weltweit den PET-Markt leer.

Etwa 500 Millionen leere Flaschen bietet der Handel zu hohen Preisen jährlich asiatischen Händlern an. Und die zahlen gut. „Sie fragen direkt bei deutschen Sortieranlagen an und organisieren den Transport“, sagt Sascha Schuh, Geschäftsführer des auf Abfallwirtschaft spezialisierten Beratungsunternehmens Ascon. Vor Ort mahlen und schmelzen sie die Flaschen und stellen daraus schicke Fleecepullis, hochwertiges Filmmaterial für Kinos oder Polyamidhemden mit geringem Baumwollanteil her. Die Wertschöpfung ist enorm. Ein Fleecepullover kostet – je nach Qualität und Marke – zwischen 10 und 100 Euro, der Materialeinsatz hingegen liegt bei rund 32 Cent.

Wer glaubt, der Aufwand sei zu groß und der Transport der ganzen Flaschen zu teuer, der irrt. Eine Schiffsfracht von Hamburg nach Hongkong beispielsweise kostet weniger als etwa der Zugtransport von Hamburg nach München. Wie kann das sein? Die Containerschiffe löschen die in China produzierten Textilien in deutschen Häfen und nehmen die PET-Flaschen als Ballast mit auf ihren Weg zurück nach China. Dort sind die Produktionskosten niedrig, auch weil Umwelt- und Sozialstandards weitgehend fehlen. Und warum ganze Flaschen? Man könnte doch geschreddertes PET nach China fahren, um Platz zu sparen. Tatsächlich sehen die chinesischen Einfuhrbestimmungen dieses Procedere auch vor. Die Unternehmen umgehen die Bestimmungen jedoch, indem sie die Flaschenladung in den Freihäfen löschen, vor Ort zermahlen und dann gegen Schmiergeld ins Land schleusen. Das Risiko lohnt sich, denn in China kostet es nur rund 60 Euro, eine Tonne Flaschen zu schreddern und nach Farbe zu trennen, in Deutschland wären es dagegen gut 200 Euro.

Auch die deutschen Händler machen ein riesiges Geschäft. Denn die immense Nachfrage vor allem aus China treibt die Preise weltweit in die Höhe. Bei einem deutschen Recycler bekommen sie derzeit bis zu 250 Euro pro Tonne PET-Flaschen, bei der chinesischen Konkurrenz je nach Qualität sogar bis zu 400 Euro. Momentan habe sich der Markt allerdings etwas entspannt, erläutert Westphal. Die chinesischen Lager seien vorerst gut gefüllt.

Recycling in China oder Deutschland, sortenrein oder lediglich getrennt – all das wäre ohne die Verpackungsverordnung nicht so einfach. Eine Verordnung, so umstritten wie kaum eine andere. Immer wieder gab es Gerangel darum (siehe Randspalte). So trieben Handel und Industrie den Anteil der Mehrwegverpackungen im Lauf der Jahre unter die gesetzliche Schutzquote von damals 72 und heute 80 Prozent. Als Resultat gibt es nicht etwa direkte Sanktionen, sondern seit 2003 das Pflichtpfand auf viele Getränke-Einwegverpackungen. Und an diesem verdienen die großen Discounter nicht schlecht. Dann nämlich, wenn ihre Kunden das Pfand nicht einlösen, weil sie die Flaschen einfach in den Hausmüll werfen. So bescheren sie mit dem sogenannten Pfandschlupf den Händlern zusätzliche Einnahmen.

„Wir wollten damals mit dem Dosenpfand vermeiden, dass unsere Landschaft in Zukunft weiter vermüllt“, erinnert sich Sylvia Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grünen. Das sei gelungen. Immerhin. Und gäbe es die Abgabe nicht, wäre das Mehrwegsystem längst gestorben, so Kotting-Uhl. Aber es könnte trotzdem einiges besser laufen. Weniger Wegwerfflaschen gibt es trotzdem nicht. Ganz im Gegenteil. Die Verpackungsverordnung besagt, dass der Anteil der in ökologisch vorteilhaften Verpackungen abgefüllten Getränke mindestens 80 Prozent betragen soll. „Das ist leider im Alltag nicht immer so, eine Lücke, die wir schnell schließen sollten“, so Kotting-Uhl.

Funktioniert das Dosenpfand in Bezug auf das Recycling gut, so verfehlt es das eigentliche Ziel, die Einwegflaschen zu torpedieren, völlig: Nach der Einführung des Einwegpfands stieg die Mehrwegquote zunächst etwa bei Bier von 70,4 Prozent Ende 2002 auf fast 89 Prozent Ende 2005. Erst seit die Einwegverpackungen überall zurückgegeben werden können, ist das Einwegsystem zumindest konkurrenzfähig. Mit der Folge, dass die Mehrwegquote heute im Durchschnitt nur noch bei knapp 35 Prozent liegt. Sinkt sie weiter, könnte es das Aus für das Mehrwegsystem bedeuten, sagt Ascon-Geschäftsführer Sascha Schuh.

Schafft es das Pflichtpfand wenigstens, dass neue Recyclingtechnologien die Welt erobern, Arbeitsplätze entstehen und der Rohstoff zu 100 Prozent wiederverwertet werden kann? Oder ist es eher so, dass der Mensch den wertvollen Rohstoff Erdöl noch schneller verbraucht? Die Wahrheit liegt in der Mitte. Gewinner des Pflichtpfands sind in jedem Fall die Discounter und die Hersteller der Rücknahmeautomaten, denn in fast jedem Supermarkt steht heute so ein Gerät. Und nach großen Volksfesten freuen sich die Obdachlosen über ein kleines Zubrot durch die in den Gräben liegenden Pfandflaschen.

Immerhin schließt sich für den Rohstoff der Kreis: Vom Recycler in der Hansestadt kaufen die Hersteller von Flaschenrohlingen den zurückgewonnenen Rohstoff und stellen daraus Rohlinge her, die sie an die Getränkeabfüller und Brunnen verkaufen. Den restlichen PET-Abfall bieten die Händler und Verwerter den Chinesen an. So werden aus alten Flaschen neue Flaschen, Folien oder T-Shirts. Und vielleicht kaufen die Händler schon heute ihren alten Müll zurück – allerdings in Form von Fleecepullis oder Sportschuhen – garantiert reißfest, knitterfrei und witterungsbeständig.

SVEN KULKA, 32, ist freier Journalist und Autor und lebt in Berlin