Türkei: Ein fast unbemerkter Tod

In Istanbul wird ein Nigerianer in Polizeigewahrsam erschossen. Die Behörden spielen den Fall herunter.

Fast wäre er Tod des Nigerianers in der Stadt überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden. Bild: dpa

ISTANBUL taz Festus Okey, ein 25-jähriger Nigerianer, wurde am 20. August in Beyoglu, einem Viertel der Istanbuler Innenstadt, zusammen mit seinem Freund M. O. wegen Verdachts auf Drogenbesitz festgenommen. Auf dem Polizeirevier wurden die beiden getrennt. M. O. hörte auf einmal seinen Freund Festus, der sich in einem anderen Stockwerk befand, schreien, dann fiel ein Schuss. Danach hätten ihm die Polizisten erklärt, sein Freund sei tot, erklärte M. O. später. In einer offiziellen Stellungnahme zum Tod des Afrikaners heißt es, Festus Okey habe dem vernehmenden Beamten C. Y. die Dienstpistole entrissen, daraufhin sei es zwischen den beiden zu einem Gerangel gekommen. Dabei habe sich der Schuss gelöst und Festus tödlich getroffen.

Der Fall kam erst am vergangenen Wochenende an die Öffentlichkeit, als plötzlich ein Häufchen afrikanischer Menschen in der Istiklal-Straße in der Innenstadt von Istanbul gegen Rassismus demonstrierten. Seither erinnert alles fatal an "deutsche Zustände". Die ausländischen Flüchtlinge seien "kriminell, sie stehlen und verkaufen Drogen", lautet der Tenor in den Boulevardblättern, die Polizei wiegelt ab, das Innenministerium hält sich bedeckt. Die kritische Öffentlichkeit der Türkei aber ist schockiert. Sie sieht sich erstmals mit einem Rassismus konfrontiert, den sie bisher nur in den "reichen Ländern des Westens" ortete, wie die linksliberale Tageszeitung Radikal schreibt.

Die Sozialdemokraten haben im Parlament angefragt: "Herrschen im Polizeiapparat Vorurteile gegen Schwarze?" Das UN-Flüchtlingskommissariat schrieb den Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan an und bat dringend um die Ermittlungsergebnisse. Türkische Menschenrechtsorganisationen, allen voran die Helsinki Citizens Assembly und der Menschenrechtsverein IHD, fordern Klarheit.

Festus Okey, der von seinen Freunden "Okute" genannt wurde, kam vor zwei Jahren nach Istanbul. Er träumte davon, ein Fußballstar zu werden. Das misslang. Einmal griff ihn die Polizei auf und steckte ihn für sechs Monate in das "Gästehaus der Ausländerpolizei" in Kumkapi am Marmarameer. Hier, einen Steinwurf von der Hagia Sophia entfernt, leben die Menschen, die es gar nicht geben soll. An der Hauptstraße des Viertels reiht sich ein Call-Shop an den anderen: Nigeria, Burundi, Togo, Kenia stehen auf der langen Liste der anwählbaren Länder. Glücklich schätzt sich, wer bei der ohnehin sehr hohen Arbeitslosigkeit den Tag überlebt. Vielleicht acht- bis zehntausend Afrikaner leben mittlerweile in den schlechten, baufälligen Wohnungen am Marmarameer und um den Taksim-Platz herum.

"Okute" hielt sich am Fußball fest. Der Ausländerpolizei sagte er, dass er beim UN-Flüchtlingskommissariat einen Antrag auf Asyl gestellt habe. Daraufhin ließ man ihn frei. Kurz bevor er im August festgenommen wurde, nahm er an dem "Afrika-Cup" teil, das afrikanische Flüchtlinge in Istanbul zum vierten Mal veranstalteten - ohne dass je ein Weißer es mitbekam.

Nach dem Tod des Afrikaners verteidigte sich ein Polizeibeamter mit den Worten: "In Beyoglu kommen die Menschen nicht aus der Moschee oder dem Kulturzentrum, hier laufen Kriminelle herum." Die Nerven liegen oft blank. Im letzten Jahr wurden 22 Anzeigen wegen Misshandlungen im Polizeigewahrsam erstattet. Vor allem Prostituierte, Transvestiten und Homosexuelle beklagen Übergriffe. Auf der Demo vom Wochenende berichtete Igue Ehi, der Wortführer der Flüchtlinge, von zunehmendem "rassistischem Verhalten" der Polizisten: "Früher wurden wir nur geschlagen und uns wurde Geld abgenommen. Jetzt gibt es erstmals einen toten Freund. Wird das so weitergehen?"

Der Sarg des Nigerianers, der in Istanbul davon träumte, Fußballstar zu werden, war aus hellem Holz gezimmert. Darauf klebte ein Zettel: "Der Leichnam des Festus Okey, 1982 als Sohn von Peter geboren, ist eingesargt und versiegelt; es besteht kein Hindernis gegen seinen Transport nach Lagos in Nigeria."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.