Werner Herzog: "Gewalt im Kino ertrage ich nicht"

Sein neuer Film "Rescue Dawn" läuft auf dem Münchner Filmfest: Regisseur Werner Herzog über radikale Menschenwürde und Chaos im Weltall

Ein etwas derangierter Dieter Dengler (Christian Bale,r.) in "Rescue Dawn" Bild: filmfest münchen

taz: Herr Herzog, 1998 haben Sie den Dokumentarfilm "Little Dieter Needs to Fly" gedreht, über einen jungen Deutschen, der sich der U.S. Navy anschließt. Wann haben Sie den Entschluss gefasst, aus dem Stoff den Spielfilm "Rescue Dawn" zu machen?

Werner Herzog: Schon bei der Produktion des Dokumentarfilms - ich sage ja lieber: "ein Spielfilm in Verkleidung" - war uns klar, dass daraus ein großer Film werden muss, mit einem großen Schauspieler. Nur gab es zunächst kein Geld. "Rescue Dawn" ist entstanden, nachdem Organisation, Finanzen und Star gesichert waren.

In "Little Dieter" sagen Sie, das Besondere an einer Figur wie Dieter Dengler sei, dass er eigentlich ein ganz gewöhnlicher Mensch ist. Ist es dann nicht ein Widerspruch, ihn mit einem Star zu besetzen?

Wenn man für die große Kinoleinwand arbeitet, dann liegt es auf der Hand, dass man einen Star braucht, jemanden, der etwas ganz Großes an sich hat. Die Geschichte von Dieter Dengler ist an sich eine epische Kinogeschichte.

"Rescue Dawn" (USA 2006), mit Christian Bale in der Hauptrolle, ist der neueste Spielfilm von Werner Herzog. Er basiert auf den wahren Erfahrungen des Deutschen Dieter Dengler, der als Jugendlicher in die USA emigrierte, um Pilot zu werden. Er heuerte bei der US Navy an, wurde bei seinem ersten, geheimen Kampfeinsatz 1966 über Laos abgeschossen und geriet in Gefangenschaft. Nach mehreren Monaten gelang ihm eine abenteuerliche Flucht. Unter dem Titel "Little Dieter Needs to Fly" ("Flucht aus Laos") hat Herzog 1998 bereits eine Dokumentation über Dieter Dengler vorgelegt.

Einige Details aus seiner Leidensgeschichte haben Sie in "Rescue Dawn" nicht verwendet. Zum Beispiel, wie er von den Vietcong seinen Ehering wiederbekam und der Finger seines Bewachers abgehackt wurde.

Es gab im Drehbuch eine Reihe von Szenen, die aus Gründen der Länge im endgültigen Film nicht mehr vorhanden sind. Es ist ja nicht so, dass ich sklavisch versucht habe, den Dokumentarfilm in einen Spielfilm umzuwandeln. Die Szene mit dem Finger wurde im Übrigen tatsächlich gedreht. Ich habe sie rausgelassen, weil ich Gewalt auf der Leinwand, vor allem Gewalt gegen Wehrlose, nicht ertrage. Als Zuschauer selbst ist mir das aus nicht ganz erklärbaren Gründen nicht recht. Ich will so etwas nicht sehen.

Die Retrospektive auf dem Münchner Filmfest ist überschrieben mit "Freaks, Besessene und Titanen". Das scheint mir die so typische wie heillos verzerrende Beschreibung Ihres Werks zu sein.

Man sollte Überschriften in irgendeinem Festivalprogramm keine allzu große Bedeutung zuweisen. Verbringen Sie deswegen keine schlaflosen Nächte. Ich glaube, meine Filme sprechen für sich selbst. Natürlich hat es immer wieder einmal Schieflagen in der Sichtweise auf meine Filme gegeben.

Stören Sie diese Klischees sehr?

Das stört nicht weiter sonderlich. Wenn von "Freaks" oder von "Missgeburten" in meinen Filmen die Rede ist, weise ich darauf hin, dass nicht Kaspar Hauser, sondern die Angehörigen der biedermeierlichen Gesellschaft um ihn herum die eigentlich Deformierten sind. Hauser ist kein Außenseiter, er steht mit seiner radikalen Menschenwürde eigentlich völlig im Zentrum von dem, was uns als Mensch ausmacht.

Sie selbst haben ihre Helden einmal "unhinged characters" genannt, Leute, die gewissermaßen aus ihren Angeln gehoben wurden, die ihren Mittelpunkt verloren haben.

Erst wenn jemand unter besonderer Belastung steht, weil er zum Beispiel ums Überleben zu kämpfen hat, erkennen Sie den Zustand eines Menschen. Das ist so ähnlich wie bei Materialien, die man als Physiker untersuchen will. Erst wenn Sie eine Metalllegierung extremem Druck, extremer Hitze aussetzen, wird Ihnen die unbekannte Materie Auskunft geben. Es geht um Menschen, die auf dem Prüfstand sind. Wie das Erz, das in der Schmiede geprüft und geläutert wird.

Und es geht um Begegnungen, zwischen Ihnen und Ihren Figuren. Man wundert sich immer, wie Sie es schaffen, die Helden Ihrer Dokumentarfilme aufzuspüren. Man kann sich oft des Eindrucks nicht erwehren, dass es Menschen sind, die nur darauf gewartet haben, Werner Herzog zu treffen.

Seltsamerweise finde ich solche Leute immer. Ich weiß auch nicht, wie ich das mache.

Ihre Erforschung der Menschennatur findet oft in einer äußerst menschenfeindlichen Natur statt.

Natur und Landschaften in meinen Filmen sind ja nicht nur ein hübscher Hintergrund wie in Werbefilmen. Es sind gewissermaßen innere Landschaften von Menschen. Der Urwald als Ort der Fieberträume etwa spielt in meinem Filmen immer wieder eine Rolle. Bei der Produktion zu "Grizzly Man" hat jeder von mir eine Naturdokumentation erwartet. Ich habe darauf geantwortet: Gebt euch keinen Illusionen hin, das wird kein Film sein über die Natur da draußen, sondern über die innere Natur.

In "Grizzly Man" sagen Sie auch, das Universum beruhe nicht auf Harmonie, sondern auf Chaos, Feindseligkeit und Mord. Ist Natur immer zerstörerisch?

Nicht unbedingt. Wenn Sie sich allerdings das Weltall anschauen, dann werden Sie sehr schnell auch ohne Fernrohr erkennen, dass es da sehr chaotisch und absolut lebensfeindlich zugeht. Allein die Kraft der Sonne - das ist so, als würden ununterbrochen vier Millionen Atombomben explodieren. Nicht sehr freundschaftlich.

Unter Umständen aber sehr schön. Das beweisen die Aufnahmen des Weltalls in "The Wild Blue Yonder".

Das ist richtig. Man muss den Verhältnissen auch etwas abringen können.

Sie sprechen den Kommentar Ihrer Dokumentarfilme grundsätzlich selbst ein, obgleich Sie kein ausgebildeter Sprecher sind.

Es ist wichtig, dass ich es bin, der spricht, und dass ich zum Teil sogar Widerspruch gegen meine Figuren einlege, wie bei "Grizzly Man". Die Filme werden dadurch authentischer. Als die deutsche DVD-Version von "Grizzly Man" erscheinen sollte, erfuhr ich nur durch Zufall, dass für den Kommentar irgendein Schauspieler angeheuert werden sollte. Da habe ich Einspruch eingelegt. Ich habe zwar kein verbrieftes Recht, aber ein Naturrecht darauf, mich selbst zu sprechen. Genauer gesagt: Es ist nicht mein, sondern das den Filmen innewohnende Naturrecht.

Auf der Retrospektive, die beinahe Ihr gesamtes Filmschaffen versammelt, stellt sich unweigerlich der Effekt ein, dass man Motivketten sucht und findet. Bestimmte Tiere tauchen immer wieder auf: der Bär oder die Qualle. Und jede Menge Fluggeräte. Gibt es mehrere Filme von Werner Herzog oder nur den einen, großen, der sich auf viele Rollen Film verteilt?

Sicher stellen sich in einer Retrospektive sehr schnell Querverbindungen ein. Man erkennt einen Stil und bestimmte Faszinationen. Nicht, dass das geplant wäre! Das kommt beinahe automatisch in die Filme hinein. Ich habe mich ja entwickelt, ich bin nie stehen geblieben. Aber der Eindruck, als wäre es nur ein einziger Film, an dem ich arbeite, ist nicht falsch. So kommt es mir selbst manchmal vor.

Sind die Erwartungen des Publikums an "den" Werner-Herzog-Film eine Belastung oder ein Ansporn?

Nein, es gibt keine Belastung dadurch. Einem wirklichen Erwartungsdruck bin ich im Übrigen nicht ausgesetzt. Ich glaube, dass das Publikum froh ist, meine Handschrift wiederzuerkennen, aber nicht kommen würde, wenn ich immer nur wiederkäuend auf der Wiese sitzen würde wie eine Kuh.

Viele Ihrer Helden suchen ihr Glück im Ausland, sie verlassen die Heimat und wandern aus. Auch Sie sind aus Deutschland weggegangen. Seit Jahren schon leben Sie in Los Angeles.

Ich bin nicht "ausgewandert". Es ist nicht so, dass ich meine Träume hier nicht hätte verwirklichen können. Genau das habe ich ja getan. Wichtige Filme von mir sind in Deutschland entstanden. Sie haben aber recht, dass viele der Figuren sich geografisch woanders hin bewegen. Fitzcarraldo muss in den Urwald, um seinen Traum von der großen Oper zu verwirklichen. Stroszek geht nach Amerika, weil die Verhältnisse in Berlin für ihn so bedrückend sind. Aber in Wisconsin ist es auch nicht besser. Es ist nicht so, dass ich aufbreche und anderswo leben will, weil ich dort "meine Träume" - bitte nur in Anführungszeichen - verwirklichen könnte. Im Grunde genommen lebe ich an meinen Drehorten, und die liegen eben in unterschiedlichen Ländern, in unterschiedlichen Landschaften.

INTERVIEW: DIETMAR KAMMERER

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