Drama: Eine Welt voller Fettnäpfe

Auschwitz aus der Perspektive eines deutschen Zivildienstleistenden: Robert Thalheims Spielfilm "Am Ende kommen Touristen".

Als Zivi im heutigen Oswiecim: Sven (Alexander Fehling). Bild: X-Verleih

Robert Thalheim dürfte Auschwitz wie kein zweiter Regisseur seiner Generation kennen. Der 1974 geborene Berliner leistete seinen Zivildienst in der internationalen Jugendbegegnungsstätte des heutigen Oswiecim ab. Eine Drehgenehmigung für die KZ-Gedenkstätte bekam er für "Am Ende kommen Touristen" dennoch nicht. Damit befand sich der Regisseur von "Netto" mit seinem zweiten Langfilm in prominenter Gesellschaft: Steven Spielberg war die Erlaubnis für "Schindlers Liste" ebenso verweigert worden. Er verstehe es, wenn die Leitung des Museums Spielfilmaufnahmen grundsätzlich untersagt, meint Thalheim im Presseheft. Das stimmt nicht ganz. Vor ein paar Jahren wurde Marceline Loridan-Ivens erlaubt, ihren Film "Birkenau und Rosenfeld" dort zu drehen. Der Überlebenden des Auschwitz-Hauptlagers Birkenau hätte man dies wohl kaum verweigern können.

Erstaunlicherweise haben beide Filme einige Gemeinsamkeiten. In beiden trifft ein Holocaust-Überlebender auf einen jungen Deutschen, und zwischen ihnen kommt nach anfänglichen Schwierigkeiten wenn auch keine Freundschaft dann doch so etwas wie eine vorsichtige Annäherung zustande. Beide Filme spielen in der Gegenwart, sie verzichten komplett auf Rückblenden, also auf eine direkte Erinnerung an das Grauen der Vernichtungslager. Damit unterscheiden sie sich deutlich von der filmischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust der letzten Jahrzehnte, in der zunächst die Geschichten der Opfer und in den letzten Jahren auch immer mehr die Täter ins Blickfeld genommen wurden. "Am Ende kommen Touristen" und "Rosenau und Birkenfeld" rücken stattdessen den Umgang mit der Erinnerung und dem Gedenken in den Mittelpunkt.

Hauptfigur von "Am Ende kommen Touristen" ist der 19-jährige Berliner Sven, der seinen Zivildienst in Auschwitz ableistet - anders als Robert Thalheim allerdings eher zufällig, lieber wäre er nach Amsterdam gegangen. Schnell muss er feststellen, dass er hier nicht sonderlich willkommen ist. Der KZ-Überlebende Krzeminski, um den er sich kümmern soll, hat keine Lust auf einen deutschen Aufpasser, der ihn an seine Krankengymnastik erinnert. Und die polnischen Jugendlichen, auf die er trifft, geben sich auch nicht unbedingt freundlich gegenüber Deutschen. Die Welt scheint plötzlich voller Fettnäpfe, die nur darauf warten, dass man in sie hineintritt. Nur die junge polnische Museumsführerin Ania tritt dem Zivi vorurteilsfrei gegenüber - zwischen den beiden entwickelt sich bald eine Liebesgeschichte. Mit der Zeit begreift Sven die Einheimischen besser.

Krzeminski hat seine Lebensaufgabe darin gefunden, als Augenzeuge Besuchergruppen vom Alltag im KZ zu berichten und für das Museum Koffer von Lagerinsassen zu restaurieren. Aber der störrische alte Mann ist vielen einfach nur lästig mit seinen langwierigen Geschichten und seinen veralteten Restaurationsmethoden, die den Ansprüchen eines modernen Museums nicht genügen. Und die Jugendlichen im Dorf wollen eigentlich nichts anderes als raus, aus einem Ort, der weltweit Synonym für das größte Menschheitsverbrechen ist und in dem es keine Perspektiven für die Zukunft gibt. Nichts sei normal an diesem Ort, schreiben die Produzenten des Films, Hans-Christian Schmid und Britta Knöller, in einem Text zum Film: "Wenn in Oswiecim eine Disko in der Nähe der Gedenkstätte eröffnet werden soll, damit polnische Teenager sich am Wochenende amüsieren können, dann ist das womöglich ein Vorgang, der die ganze Weltöffentlichkeit beschäftigt."

Während es Marceline Loridan-Ivens darauf ankam, in "Birkenau und Rosenfeld" die "Präsenz des Ortes" unerträglich werden zu lassen, bis zu dem Punkt, an dem die Erinnerung an das, was geschehen ist, von den Bildern kommt und nicht von den Worten, interessieren Thalheim mehr die Probleme, die sich aus dem Alltag institutionalisierten Gedenkens ergeben. Wie kann an diesem Ort Platz sein für Normalität? Dabei geht er äußerst behutsam vor. Keine der Hauptfiguren kommt schlecht weg - alle haben ihre Gründe. Ebenso vorsichtig agiert die Kamera und Thalheim als Regisseur. Bewusst unspektakulär sind die bräunlich gefärbten Bilder. Die Konzentration des Zuschauers soll sich ganz auf die Figuren und ihre Geschichten richten, offenbar wäre Thalheim alles andere unangemessen vorgekommen. Für einen Film, der aus der Perspektive eines 19-Jährigen erzählt ist, wirkt "Am Ende kommen Touristen" bisweilen ein wenig zu reif und ausgewogen. Das Thema verträgt keine leichtfertigen Provokationen, aber manchmal hätte etwas mehr inhaltlicher oder formaler Wagemut nicht geschadet, auch um ein junges Publikum zu erreichen, das bei dem Wort Auschwitz nur noch gelangweilt abwinkt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.