Ein gescheitertes Nena-Interview: "Wir beide verstehen uns nicht!"

Nena gilt als eine der wichtigsten Musikerinnen deutscher Sprache. Warum eigentlich? Ein Versuch, das herauszufinden, scheiterte nach 10 Minuten, 48 Sekunden. Ein Protokoll

"Was?! Da, Freundchen, ist die Tür!" Nena bei einer 80er-Show Bild: dpa

taz: Nena, Sie haben etwas gegen die Bezeichnung Interpretin?

Nena: Genau. Finde ich nicht so charmant, das Wort. Es transportiert überhaupt nicht das, was man da macht. Einfach ein uncharmantes Wort. Es klingt nicht schön.

Was wäre denn dann ein besseres Wort?

Weiß ich nicht. Ist mir auch egal. (lacht ihr Nena-Lachen)

Aber fremdes Material zu interpretieren ist doch eine ehrenvolle Aufgabe.

Das hat ja nichts mit der Aufgabe zu tun, ich rede nur von dem Klang des Wortes. Aber ich sage schon, dass es nun mal so ist: Ich bin ja hier die Interpretin auf dem Album. Und es ist nicht nur eine ehrenvolle Aufgabe, sondern eine sehr, sehr schöne und freudige Aufgabe, die ich mir gestellt habe.

Das Interpretieren selbst liegt Ihnen aber am Herzen?

Ja, sonst hätte ich das ja nicht gemacht. Ich hab schon immer diesen Wunsch gehabt und hab da vor anderthalb Jahren mal mit angefangen. Und das sagt ja so viel über jemanden aus. Diese Songs, diese Texte, alles, was ich mir da ausgewählt habe, spricht mir doch aus dem Herzen. Mit diesem Album lernt man mich auch kennen.

Was lernt man ganz konkret über Nena?

(Spöttisches Lächeln) Das sind 31 Songs. Das kann man nicht alles über einen Kamm scheren. Da musst du dir einfach mal die Texte ... Ich sag lieber du, wenn du willst, ich mag das nicht. Da muss man sich einfach die Texte anhören und sich da reinbegeben und gucken, was sagt das für mich aus. Ich sage nur: Ich habe mir einen bestimmten Song ausgesucht, weil er mir aus der Seele spricht. Und darüber kann man einen Menschen auch kennen lernen, allein über diese Songauswahl. Ich hätte diese Sachen inhaltlich auch alle selber schreiben können. Hab ich leider nicht, aber ich habe eine totale Verbindung dazu. Mit der Auswahl hab ich mir Zeit gelassen.

Du hast gesagt, manche der Songs sagen: Nimm mich, andere sagen, lass mich in Ruhe. Wie läuft das genau ab? Die Band fängt an zu spielen, du fängst an zu singen, und dann?

Das sind ganz klare Signale. Ich weiß nicht: Kennen Sie so was nicht? Musik spricht doch. Hört bei dir hier (deutet mit der Hand eine Wand vor ihrer Brust an) alles auf? Geht hier nichts rein ins Herzchen?

Doch, doch.

Also darum gehts doch. Es geht darum, sich zu öffnen, zu spüren und zu fühlen. Musik spricht. Musik spricht, das sind Töne, das ist Schwingung. Musik spricht zu mir, das ist ganz normal, das muss ich dir doch jetzt nicht erklären. Das lief konkret völlig unterschiedlich ab. Die Songauswahl hab ich ja mit mir alleine gemacht. Auch da hab ich schon Tendenzen gespürt, Ansätze: Mit dem einen könnt es schwierig werden, das andere fällt mir eher leicht. Dann kam die Phase, wo meine Band da war und wir alles gespielt haben. Klar, wir sind alle Musiker, und wir fangen dann an, etwas zu spielen. Wir kennen uns lange, wir müssen da auch nicht groß drüber reden. Das läuft über unsere Verbindung. Dann fängt man an, ersingt und erspielt sich das, und dann kommen klare Signale.

Du hast erwähnt, dass ein Grönemeyer-Song nicht von dir gesungen werden wollte. Wer flog denn noch raus aus der Auswahl?

Ich wollte gern von Hannes Wader "Heute hier, morgen dort" singen. Das ging leider nicht. Oder "Angie" von den Rolling Stones, das war auch so ein Song, der nicht wollte. Da gabs einige. Ich hab das auf meine Art gesungen und merke dann ganz schnell, ob es mir liegt oder nicht.

Im Informationsblatt Ihrer Plattenfirma werden Sie mit dem Satz zitiert: "Andere [Lieder] konfrontieren mich mit meinen Denkmustern".

Ja.

Was meinst du mit "Denkmustern"?

Alles, was ich mir angeeignet habe an Programm. Oder was Erwachsene in meiner Kindheit mir an Projektionen geschenkt haben und mich zugekleistert haben mit ihrer Art und Sicht auf die Dinge. Das sind alles Muster, die ich mit mir rumschleppe und die sich mir auch immer wieder offenbaren im alltäglichen Leben, im Umgang mit anderen Menschen. Und wo ich genau weiß, von welchen Mustern ich mich verabschieden will und welche zu mir gehören. Und das löst Musikhören bei mir halt aus. Das läuft auch wieder übers Gefühl.

Ich bin über "Denkmuster" gestolpert.

Ja, Denk-Muster. Ein Denkmuster ist zum Beispiel: "Kinder müssen in die Schule gehen." Das ist so ein Denkmuster. "Der Lehrer weiß mehr als die Kinder." Das sind so die Sachen, die ich meine und die ich für mich nicht akzeptiere. Nur weil sie hier und da auch auftreten in meinem Leben, heißt das nicht, dass ich sie nicht ganz anders anschauen kann oder mich davon lösen und trennen kann und sagen: Nein, mein Weg geht woandershin, ich verabschiede mich von einem Denkmuster und öffne mich für etwas Neues.

Viele der Songs sind aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, und wenn ich dich so reden höre, scheint es mir, dass dich die Hippie-Zeit sehr beeinflusst hat. Ist dein Denkschema von den Idealen dieser Zeit geprägt?

Das weiß ich nicht. Wir Menschen sind geprägt von so vielen Dingen, vielleicht sogar von 1.000 Leben noch davor. Was mich aber nicht besonders interessiert, weil ich habe dieses Leben. Meine Energie geht nicht dahin, das zu ergründen, sondern für mich ist wichtig, was passiert jetzt, hier, in diesem Moment. Das ist meine Aufgabe, die ich mir für dieses Leben stelle. Ich will diesen Moment erleben und mich nicht damit befassen, was mich geprägt hat. Das kriege ich ja sowieso zu spüren. Ich möchte lieber gucken, wo gehts für mich weiter, wo kann ich diese Prägung loslassen, um woanders wieder weiterzugehen.

Um sie loszulassen, muss man sie ja erkennen.

Ja, man muss sie konfrontieren. Und das passiert im Leben automatisch. Das bringt das Leben mit sich. Du bist ständig konfrontiert mit den Sachen, die dich geprägt haben, die dich irgendwo festhalten.

Ist es dann nicht unlogisch, zu sagen: Das interessiert mich nicht, woher diese Prägungen kommen?

Ja, das ist für dich unlogisch, für mich überhaupt nicht. Gar nicht. Das ist meine Logik.

Einerseits will man diese Prägung überwinden ...

Ich will nicht alles überwinden, das habe ich nicht gesagt.

Nein, aber ... das hast du gerade gesagt: Es geht darum, gewisse Sachen zu überwinden.

Ja, aber nicht alles. Es geht im Leben nicht immer darum, alles zu überwinden. Es geht darum, zu leben. Mit allem, was mir dieses Leben bringt. Aber wir beide verstehen uns nicht. (lacht) Wir reden so aneinander vorbei. Das ist auch interessant: Zwei Menschen begegnen sich und haben sich nichts zu sagen, weil du hast deine Wahrnehmung und ich habe meine. Deshalb macht dieses Gespräch für mich überhaupt keinen Sinn. Ich finde es auch nicht schlimm, aber es ist langweilig. Weil: Du gibst kein Signal von dir, ich fühle dich nicht. Und du fühlst mich vielleicht nicht. Für mich ist aber jede Sekunde meines Lebens kostbar. Ich will die Menschen fühlen, mit denen ich zu tun habe.

Dann beenden wir das jetzt?

Ja, würde ich sagen, echt. Ist auch nicht böse gemeint, aber das bringt nichts.

Kann ich noch eine Frage stellen?

Nein.

Was?

Nee. Okay. Dann danke ich dir.

Ja, vielen Dank.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.