Feminismus-Debatte: Die Privatisierung der Politik

Opfer oder Ego (3): Beim Feminismus geht es um mehr als ums rein individuelle Glück. Es geht um die Frage, unter welchen Bedingungen Emanzipation überhaupt möglich ist

"Feminismus ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Antwort auf Statistiken", sagt die Journalistin Ingrid Kolb, Autorin des Spiegels und zwischen 1995 und 2006 Leiterin der Henri-Nannen-Journalistenschule. Auf diesen kleinsten aller gemeinsamen Nenner können sich so genannte Alt-Feministinnen und Alpha-Mädchen wohl gerade eben noch verständigen. Doch wie die feministische Antwort auszubuchstabieren sei, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Während jene auf das "samtene Dreieck" setzen - die Kooperation von Gleichstellungspolitik, feministischer Bewegung und feministischer Theorie -, huldigen diese dem Mantra der neobürgerlichen Idee vom Erfolg.

Es ist dieses Ideal des modernen Zeitalters, dem ironischerweise die Alpha-Mädchen - mit der patriarchal angemessenen historischen Verzögerung - derzeit am deutlichsten ausgesetzt sind und das sie zugleich reflexhaft selbst propagieren. Es ist der Glaube daran, dass der je erreichte Platz in der Welt einzig Ergebnis eigenen Tuns und Wollens ist. Die Alpha-Mädchen müssten sich heute zwar, so Katja Kullmann, "in einer immer noch männlich dominierten Praxis durchkämpfen". Zugleich haben sie es aber "dennoch irgendwie geschafft" und lebten nun "einen Gegenentwurf zum Opferdasein".

Jede einzelne Frau, glaubt das Alpha-Mädchen, kann also zu einer positiven Bilanz in Sachen Gleichberechtigung kommen, so sie denn den Mut von Thea Dorns F-Klässlerinnen hat, "Führung zu übernehmen". Im Klartext: Frank Sinatras Ode an den Mann, der kompromisslos seinen Weg geht, dessen Erfolge der Kraft seiner Souveränität geschuldet sind, ist endlich auch für Frauen nicht länger Wunsch, sondern Wirklichkeit: "I planned each charted course, each careful step along the byway. And more, much more than this, I did it my way." In der neobürgerlich beschaulichen Version des selbsternannten Alpha-Mädchens Nina Mattenklotz aus der Spiegel-Titelstory liest sich das dann so: "Ein Alpha-Mädchen wie ich steht morgens verliebt auf, arbeitet in dem Beruf, den es sich erträumt hat, und freut sich auf ihre Kinder, die sie eines Tages bekommen wird."

Als den Nutzen der "Alibi-Frau" hatte Adrienne Rich dies schon 1979 beschrieben: Einigen wenigen Frauen werde die der großen Mehrheit vorenthaltene Macht geboten, damit der Eindruck entsteht, jede wirklich qualifizierte Frau könne Zugang zu leitenden Positionen, Belohnung und Anerkennung erlangen - so, als gäbe es eine tatsächlich auf Leistung beruhende Gerechtigkeit. Die Alibifrau werde zudem dazu ermutigt, sich selbst als außergewöhnlich begabt und belohnungswürdig zu sehen und sich von allen "gewöhnlichen" Frauen zu distanzieren.

Um an dieser Stelle Missverständnissen vorzubeugen: Nichts ist gegen Leistungsbereitschaft einzuwenden - und gegen beruflichen Erfolg durchsetzungsstarker Frauen schon gar nichts. Selbstredend sollten Frauen all jene Türen offen stehen, die Männer immer schon ungehindert passieren konnten. Und erst recht sollten sie hinter diesen Türen auf allen Stühlen Platz nehmen können, gleich ob im Cockpit oder im Labor, an der Werkbank oder auf dem Lehrstuhl, im Weißen Haus oder an der Wall Street.

Ebenso selbstredend sollte gelten, dass the pursuit of happiness, das Streben nach Glück, auch für Frauen ein unveräußerliches Recht ist. Und wenn das "verliebt am Morgen aufwachen und sich auf die Kinder freuen, die es eines Tages bekommen wird", einschließt, so sei jedem Alpha-Mädchen auch das gegönnt.

Doch mit Feminismus, dieser Einspruch sei erlaubt, hat das nur insofern zu tun, als man willens ist, Feminismus als Brevier eines - Vorsicht, jetzt kommt es! - neoliberalen Programms des "Jede ist ihres eigenen Glückes Schmied" zu verstehen. Zwar gibt sich der F-Klassen-Feminismus stark und kämpferisch; der Kampf indes ist ein individueller, jede Frau nimmt es mit den Widrigkeiten, die ihrer Gleichberechtigung im Wege stehen, alleine auf.

Feminismus aber, auch dieser Hinweis sei erlaubt, ist eben nicht nur ein Wort des Privaten; schon gar nicht ein Wort individuell zu erreichenden Glücks. Feminismus ist vor allem ein Wort der Politik, insofern Feminismus sich mit Forderungen nach Umgestaltung der Geschlechterverhältnisse als Voraussetzung für das Streben nach Glück an die Polis, die politische Sphäre, richtet. Wer Feminismus aber auf das individualisierte Streben nach Glück reduziert, ohne nach den Bedingungen zu fragen, wie welche ihr Glück machen können, und zugleich dessen politische Seite notorisch auf ein Programm der moralischen Maßregelung von F-Klässlerinnen reduziert, hat schon verkannt, dass Emanzipation bereits im Ansatz vereitelt ist, wo sie als ein solches Privatprojekt missverstanden wird.

Die Radikalität des heute "alt" oder "traditionell" genannten Feminismus der zweiten Welle bestand dagegen genau darin, beides zu sein: ein Projekt der politischen Emanzipation und der privaten Befreiung, ein Projekt von Gleichheit und Freiheit. Denn das eine, das wusste Audre Lorde so gut wie Monique Wittig, Judith Butler so gut wie Christina Thürmer-Rohr, ist ohne das andere nicht zu haben: Freiheit nicht ohne Gleichheit, diese wiederum nicht ohne Gerechtigkeit und individuelle Autonomie nicht ohne gesellschaftliche Bedingungen, die Freiheit ermöglichen.

Der feministische Clou, wenn man so will, besteht also gerade darin, sowohl die Bedingungen freizulegen, die Handeln ermöglichen oder verhindern, als auch politisch für die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten aller Frauen zu streiten - auch der "sprichwörtlichen Aldi-Kassiererin oder der noch sprichwörtlicheren polnischen Putzfrau", die Katja Kullmann bemühte.

Dabei ging und geht es nicht darum, alle Frauen über einen Kamm zu scheren. Gabi Mustermann ist eine Erfindung der Bundesdruckerei, nicht der Frauenbewegung. Warum die abgestandenen antifeministischen Klischees immer wieder beleben? Längst klar ist doch, dass das Versprechen, Politik im Namen "der Frauen" sei machbar, ohne dass dabei Ausschlüsse produziert würden und ohne dass zudem der vermeintlich alle Frauen einschließende Feminismus letztlich doch nur eine spezifische Gruppe von Frauen meint, der Vergangenheit angehört. Denn was Feminismus letztlich immer gewusst hat, was heute aber dringlicher denn je dessen Leitlinie sein muss, ist die Einsicht, dass Geschlechterverhältnisse nicht unabhängig von anderen gesellschaftlichen Teilungsverhältnissen verstanden und verändert werden können. Dafür braucht es viele unterschiedliche Stimmen, viel Bewegung und Widerstreit.

Auch die F-Klasse mag in einem solchen Projekt unterkommen. Sie sollte sich allerdings stets als das ausweisen und als das verstanden werden, was sie ist: ein Spartenprojekt für jene, die von gesellschaftlichen Be- und Verhinderungen nichts wissen wollen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.