Handwerk: Geiz ist nicht mehr geil

Das Handwerk - und somit teure Produkte - rücken stärker ins Bewusstsein der Konsumenten. Dadurch haben Ein-Mann-Läden mit kreativen Produkten wieder eine Chance.

Handwerk hat wieder goldenen Boden Bild: dpa

Handwerk klingt verstaubt. Man kann das Wort drehen und wenden - es bleibt rückständig. Aber dem hinterwäldlerischen Ruf zum Trotz entsteht in den Städten wieder neuer Raum für Handarbeit. Das Prinzip dieser Ein-Mann-Läden ist fast immer das gleiche: Hinten Werkstatt, vorne Verkauf. Und es beruht auf steigender Nachfrage: Viele wünschen sich wieder mehr Qualität beim Einkaufen - krampfhaftes Jagen nach Schnäppchen lehnen immer mehr Konsumenten ab.

Zum Beispiel Mode. Ein bisschen abseits der Oranienstraße in Berlin hängt prunklos ein weißes Schild über einem Laden. "N.A. Design" steht darauf. N und A, das sind die Schwestern Nuray und Asiye Kara. Ihr Konzept: Jede Kara-Kollektion bringt einige neue Schnitte und dazu eine Auswahl an Stoffen. Diese werden dann miteinander kombiniert. Man kann sich selber einen Stoff für einen Schnitt aussuchen oder etwas ganz Eigenes anfertigen lassen. Und die Kleider sind bezahlbar: Ein Einzelstück der Geschwister Kara gibt es ab 50 Euro.

"Hier kommt nichts rein - und auch nichts raus", sagt die Modedesignerin Nuray Kara. Alles wird im hinteren Teil des Ladens entworfen und hergestellt. "Ich könnte gar nicht nur in einem Laden sitzen und irgendwelche Kleider verkaufen", überlegt die Modedesignerin. Ihr geht es um das Ganze: "Ich entwerfe einen Schnitt, suche einen passenden Stoff aus und finde dann die Trägerin dafür." Und das Ergebnis kommt gut an. "Das ist dann meins", sagt eine Frau vor dem Spiegel und lässt den Blick wohlwollend auf ihrem schwarz-weißen Kleid ruhen.

Das Handwerk hat wieder zurückgefunden ins Bewusstsein der Einkäufer. Man erinnert sich an eine uralte Faustregel: Für mehr gibts mehr. Mehr Qualität, mehr Individualität und ein besseres Gewissen. "Geiz ist geil ist am Ende", sagt Dirk Bathen vom Hamburger Trendbüro. Er beobachtet diesen Wandel im Konsumverhalten schon länger. Trotz immer schnelleren Produktzyklen und entgegen all der Kampagnen, die das Gegenteil behaupten: Das Überangebot an Schnäppchen und Nachahmprodukten empfinden immer mehr Menschen als lästig und überflüssig. Selbst Saturn hat gemerkt, dass der "Geiz ist geil"-Slogan nicht mehr fruchtet und die Agentur gewechselt.

Den Kunden verführen, bevor er auf das Preisschild schielen kann - darauf kommt es an. Madame Miammiam in Köln hat sich ganz und gar der Kunst des Verführens gewidmet. Petit Fours in grellen Farben und hauchzart dekoriert, Torten dreistöckig, vierstöckig, verziert mit riesigen Blumen und knallbunten Schokokleinigkeiten - das Auge kann gar nicht genug bekommen, ein wunderbarer Anblick. Wie wird es schmecken? Das wagt man kaum zu denken. Madame Miammiam heißt eigentlich Anne Schulters und ist schwer zu erreichen. Sie stecke mitten in einem Hochzeitstortenmarathon und stehe bis zu 16 Stunden in der Backstube, sagt sie vergnügt. Die Künstlerin hatte immer schon ein Faible für essbare Kunst. In dem Laden, den sie im April eröffnet hat, beschäftigt sie jetzt zehn Mitarbeiter. Wer sind die Kunden? Eigentlich alle, querbeet, so die Konditorin. "Aber, und das war die größte Überraschung", sagt sie, "die wenigsten fragen nach dem Preis." Wahrscheinlich, weil die meisten kommen, um ein Geschenk zu finden oder Torten für einen besonderen Anlass zu bestellen, überlegt Madame Miammiam. "Dann haben sie sich wohl schon vorher entschieden, dass sie sich bei mir etwas Besonderes gönnen", glaubt sie. Und besonders ist es, denn es wurde nur für den Kunden und nach seinen Vorstellungen gebacken, glasiert und verziert.

Aber diese bewussten Genießer sind nicht die Mehrheit. "Der Massenkonsum blüht nach wie vor", sagt Thomas Perry vom Sozialforschungsinstitut Sinus Sociovison in Heidelberg und mahnt zur Differenzierung. Es sei nach wie vor ein Nischenmarkt, der auf Authentizität setzt und nachvollziehbar produziert - aber, das gibt Perry zu, es ist ein Nischenmarkt mit Wachstumspotenzial. Und das nicht zuletzt, weil die modernen Handwerker mehr sind als kreative Bastler: Sie sind selbstständig. Die Prekariatsdebatte zeigt die Richtung an: Viele Leute wollen keine Kompromisse in einer Festanstellung eingehen - sie nehmen weniger Einkommen in Kauf und halten dafür den symbolischen Lohn der Selbstverwirklichung hoch.

"Es ist ein bescheidenes, aber freies Leben", sagt Rikki Johne. Die Münchnerin führt ihren Werkstattladen im Gärtnerplatzviertel schon im neunten Jahr. 17 Quadratmeter sind nicht viel Platz. Für Rikki Johne reicht es. Die 52-Jährige braucht keine große Werkstatt, um ihren Schmuck herzustellen, eine Werkbank hinten in der Ecke mit einer guten Lampe, einer Flamme und einer Poliermontur reichen aus. Und vorne im Schaufenster liegen die Ergebnisse: schlichte Ketten aus schwarzem Lava-Stein, Armbänder aus bunten Perlen und einfache Silberohrringe. "Man muss fleißig sein, und es muss Spaß machen", sagt Rikki Johne, "sonst geht es nicht." Das erste Jahr hatte sich die Lehrerin vorfinanziert, es ging langsam los, erinnert sie sich. Finanzielle Unterstützung oder staatliche Zuschüsse gab es damals nicht. "Das große Geld darf man nicht erwarten, aber dafür kann man machen, was einem in den Sinn kommt." Nicht immer, räumt sie ein. Man müsse sich nach dem Kunden richten, denn ohne Stammkundschaft gehe es nicht. Man will sich gut fühlen beim Einkaufen. Und ist auch bereit, dafür einen höheren Preis zu zahlen. "Alles muss stimmen", so Dirk Bathen vom Hamburger Trendbüro: "Produktion, Verkauf und Ware." Er nennt das: Rückkehr der Ethik in den Konsum.

Neue Orte, in denen das gute Gefühl ein Zuhause bekommen soll, bereitet die Zunft AG vor. Faire Handelskreisläufe will die Aktiengesellschaft schaffen, so der Fachbeiratsvorsitzende Christoph Hinderfeld. Auf brachliegenden Industrieanlagen sollen Räume für Handwerker entstehen - zum Wohnen, Arbeiten und Verkaufen. Auf diesen marktähnlichen Plätzen im Innenstadtraum findet man dann unterschiedliche regionale Produkte und kann zusehen, wie sie hergestellt werden. Sobald der erste Zunft-Ort der Zunft AG in Burg im Spreewald bevölkert ist, kann man die Handarbeit sogar von Zuhause aus beobachten: Zunft-TV sendet dann im Internet live von den Werkbänken.

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