Schillertage: Südamerikanisches Theater-Abc

Die Schillertage in Mannheim haben Auftragsarbeiten an Theater aus Argentinien, Brasilien und Chile vergeben. Das südamerikanische Theater unterhielt gut, fand aber nicht wirklich zu sich selbst.

VON KRISTIN BECKER

Alle zwei Jahr kurz vor Saisonende huldigt das Mannheimer Nationaltheater seinem berühmtesten ehemaligen Hausautor mit einem Festival. International wollen die "Schillertage" sein und deshalb muss die Auswahl ein Programm liefern, das den deutschen Sprachraum zumindest in Ansätzen überschreitet. Als Novität hatte man diesmal allerdings keine Gastspiele vom anderen Ende der Welt eingeladen, sondern eben dorthin Inszenierungsaufträge vergeben und pünktlich zum Festival die Theatermacher mit ihren Gruppen und Werken reimportiert. So traf sich das Abc Südamerikas letzte Woche am Neckar: Argentinien, Brasilien, Chile, aus denen je ein Projekt die Eigenheiten der jeweiligen Theaterkultur ausbuchstabieren und natürlich irgendwas mit Schiller zu tun haben sollte. Einziger Anhaltspunkt war dabei das Titelthema "Bestie Mensch", das sich praktischerweise auf so ziemlich jeden Schillertext anwenden lässt.

Die argentinische Compañía Pablo Soler um den Regisseur und Autor Alejandro Tantanian hatte sich mit "La Libertad" zum Auftakt eine eigenwillige Recherche um den fiktiven Hauptstädter und Neurologen Pablo Soler ausgedacht, der schon als Achtjähriger einer "Räuber"-Inszenierung verfiel und Schillers freiheitsberauschtes Gedankengut vielleicht zu wörtlich genommen hat. Abhanden gekommen ist er jedenfalls einer namenlosen Frau (Analía Couceyro), die viel über ihn wusste, aber wenig über sich selbst preisgeben wollte. Rätselhaft gaben sich auch die Kollegen vom Teatro La Puerta aus Chile mit einer Performance frei nach den Kallias-Briefen, in denen Schiller mit seinem Freund Körner 1793 über die Ursächlichkeit von Schönheit philosophierte. Regisseur Luis Ureta ist ein Spezialist für zeitgenössische Dramatik und bekannt für chilenische Erstaufführungen deutschsprachiger Autoren. Er gehört zu den wenigen Theatermachern, denen René Pollesch eine Nachspielerlaubnis seiner Texte erteilt hat. Deshalb verwundert es nicht, dass Uretas "Kallias. Tentativas sobre la Belleza" in Satzfetzen wühlt und wild assoziiert. Zu Schiller gesellen sich Edmund Burke und Plato, per Projektion meldet sich auch die französische Extremperformerin Orlan zu Wort, der man bei einer ihrer Schönheitsoperationen zuschauen darf. Drastischer und eindrücklicher als sie hat wohl kaum je eine Künstlerin die Prinzipien und Vorstellungen von Schönheit untersucht. Mit diesem Verweis schneidet sich Ureta aber buchstäblich ins eigene Fleisch, denn vor der Körperauslieferung, mit der Orlan seit Jahren schockiert, muss jedes Konzepttheater verblassen. Ein fiktives Model, das an einer Schönheitspille zugrunde geht, oder ein Mörder, der tötet, um die Schönheit seiner Opfer zu konservieren, bleiben nette Anekdoten, wenn Orlan im Hinterkopf lauert.

Nachdem die Argentinier und Chilenen vor allem den europäischen Einfluss in ihren aktuellen Theaterformen bewiesen hatten, zückte das Festival zum Abschluss alles versprechend die brasilianische Karte. Spätestens seit den Gastspielen an der Berliner Volksbühne 2005 ist das Teatro Oficina aus São Paulo hierzulande der Inbegriff eines exotischen Orgientheaters. Für Mannheim hatte sich Zé Celso, der legendäre Theaterleiter, anders als seine Kontinentkollegen aber tatsächlich ein Stück ausgesucht, das natürlich nur "nach Schiller" gespielt wurde und dem Nationaltheater damit die erste Uraufführung des Teatro Oficina außerhalb von Brasilien bescherte. Celso gießt dafür "Die Räuber" in die ureigenste Kunstform, die Südamerika im Medienzeitalter zu bieten hat: Seine "Os Bandidos" sind eine rasende Telenovela. Vor Kitsch, Peinlichkeit und großen Gefühlen hat hier keiner Angst.

In Celsos wilder Version purzeln Popkultur, Politik und Kapitalismuskritik übereinander. Schiller ist zwar erstaunlich präsent, aber er muss die Bühne teilen mit He-Man, Bin Laden, Bush, Scheherazade, Merkel und Frank Castorf. Die transnationale Verweislust kennt keine Grenzen. Mit der Kunst der groben Vereinfachung erzählt Celso dabei eigentlich die Geschichte seiner Auseinandersetzung mit dem brasilianischen Medienmogul Silvio Santos, der seit einigen Jahren mit seinen Bauplänen das Wohn- und Arbeitsviertel des Teatro Oficina in São Paulo bedroht. Deshalb geht es in Celsos fünfstündigem Spektakel nicht um die Moors, sondern um das Konzernimperium Santos, einer deutsch-brasilianischen Familie, in der die moralische Korruption wütet. Um diesen Handlungskern tobt ein Schauspielensemble, das mit seiner Energie beeindruckt, die gefühlt unfertige Inszenierung aber nicht über den Charme einer großen bunten Hauptprobe heben kann. Südamerikanisches Theater bleibt in Mannheim ein schillerndes Vexierbild, das zwar gut unterhält, aber in der Auftragskunst nicht zu sich selbst findet.

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