Haute Couture-Ausstellung: Die mythische Form der Weiblichkeit

Das Londoner Victoria & Albert Museum feiert die goldenen Jahre der Haute Couture von 1947 bis 1957, mit Christian Dior als optimistischem Erneuerer.

Achtung, minimale Taille: 'Bar' Suit & Hat von Christian Dior. Bild: v&a museum

Die Briten waren außer sich. Es war 1947, und während sich Londons Designer im Zuge der Rationalisierung mit Tricks herumplagten, um mehr Volumen aus wenig Stoff zu zaubern, entwarf man in Paris Kleider, die ihre wohlhabenden Trägerinnen aussehen ließen wie Göttinnen inmitten eines goldenen Weizenfeldes. Der Krieg war vorbei und die meterweise Stoff verschlingende Kollektion des aufstrebenden Christian Dior zelebrierte den neuen, scheinbaren Überfluss. Im empörten England wurden seine Kleider den Prinzessinnen Elisabeth und Margaret nur im Geheimen vorgeführt.

Das "Goldene Zeitalter der Couture" ist derzeit das schimmernde Aushängeschild des Londoner Victoria & Albert Museum. Zu sehen sind über 100 Kreationen, Fotografien und Accessoires, die von 1947 bis 1957 entstanden, jener kurzen, außergewöhnlichen Phase, die zwischen Christian Diors wegweisender Debütkollektion und seinem Tod 1957 lag. Die Schau wurde mit großer Geste eröffnet, zur Gala kamen Prince, Mario Testino oder Kate Moss, der allerdings das kostbare alte Dior-Kleid gegen Ende der Feierlichkeiten nur noch in Fetzen von den Schultern hing.

Diors gefeierter "New Look", wie er durch die Harperss Bazaar-Chefin Carmel Snow damals zum salonfähigen Begriff erhoben wurde, brachte Klassiker hervor wie "Bar", eine Kombination aus heller Seidenjacke und üppig fallendem Rock, mit den Akzenten auf der unnatürlich schmalen Wespentaille, die überging in üppig gepolsterte Hüften. Die Ausstellung verliert sich nicht in einer weiteren Hommage an die französische Haute Couture und deren Schöpfer von Dior bis Givenchy, sondern blickt zeitgleich nach England und die dortige Produktion, die die eigene Tradition mit den neuen Einflüssen aus Paris verband. So ließen sich auch einheimische Designer wie Hary Amies von Diors opulentem symbolischem Optimismus anregen, doch blieb man stets bei einer milderen, weniger geschlechtsspezifischen Variation.

Diese Entwürfe drohen allerdings in der Ausstellung vollkommen unterzugehen - inmitten des Glamours der Pariser Prachtroben, die die Weiblichkeit zur mythischen Form verklärten: So rieseln über den großzügig fließenden Satin eines korallfarbenen Abendkleides von Cristóbal Balenciaga auf Höhe der schmalen Taille unzählige Perlen wie Körnchen durch eine große Sanduhr. Hier wurde Mode zum Spiegel der damaligen weiblichen Idealfigur, und auch das V&A rührt diesen brav tradierten Mythos nicht kritisch an.

Während man in Paris aus kostbarem Nerz Muster stickte, experimentierte Hardy Amies für seine Kleider mit in Manchester produzierten, als typisch "afrikanisch" stilisierten Wachsstoffen und unterstützte damit die heimische Baumwollindustrie. Paris zelebrierte den dekadenten Luxus, London besann sich auf die lokale Qualität und kombinierte Eleganz mit kratzig-britischer Wolligkeit: Charles Creed, der das Schneiderhandwerk in Wien gelernt hatte, war bekennender Fan von Militärkleidung und übertrug Details von Offiziersjacken in seine Entwürfe schmaler Damenkostüme. Digby Morton, ursprünglich Architekt, verwandelte den Country-Tweed vom unförmigen Habit für Moorspaziergänge in ein klassisches, jedoch nicht überzogen tailliertes Kleid. Noch während des Krieges entwarf er "Siren Suits", die man bei drohenden Luftangriffen elegant und unkompliziert überstreifen konnte.

Denn anders als Paris blendete England den Krieg nach 1945 nicht komplett aus seinem Modevokabular aus. In den Wochenschauen wurden neue Glanzstoffe mit dem Hinweis präsentiert, dass man Metall auch woanders einsetzen könne als an der Front. Noch stellte Cecil Beaton sein Model für die britische Vogue vor ein zerstörtes Haus und machte die Trümmer zum mahnend-surrealen Teil des Settings. Der Bildtitel "Mode ist unzerstörbar" mag vielleicht klingen wie eine Durchhalteparole. Doch steckt dahinter nicht zuletzt auch die kritikwürdige Tatsache, dass zumindest die Oberschicht in Krisenzeiten immer noch ein luxuriöseres Leben führte. Beatons Bilder von Englands High Society, die den eleganten "New Look" mit Hingabe trug, hängen in der Ausstellung neben denen seiner jüngeren amerikanischen Kollegen wie Irving Penn oder Richard Avedon.

Für die Tatsache, dass ab 1956, also einem Jahr vor Diors Tod, in London bereits eine sich befreiende Jugend begann, die britische Mode zu beeinflussen, lässt die V&A-Schau keinen Platz. Stattdessen bleibt beim Besucher der Eindruck, die Mode der 50er-Jahre bestehe ausschließlich aus dem Ankleiden einer kleinen, wohlhabenden Elite um den britischen Hof und Botschaftergattinnen. 30 dieser sich zum Teil in V&A-Besitz befindlichen Abendroben hängen in einem verdunkelten Raum wie unnahbare Kunstwerke, an denen sich erfahrene Schneiderinnen zum Teil 600 Stunden die Finger blutig stickten.

Diese inhaltliche Lücke wird auch im letzten Raum nicht gefüllt, wo die Schau einigermaßen abrupt in der Gegenwart endet. Jedoch werden an dieser Stelle wichtige Figuren wie Vivienne Westwood nicht eingeführt, dafür stehen die Besucher ratlos vor John Gallianos pompös-eklektizistischen Haute-Couture-Gewändern. Hätte die Ausstellung zuvor erklärt, wie sich nach Diors "New Look"-Jahren zumindest in London die gesellschaftliche Rezeption von Mode veränderte, wäre dem ein oder anderen Besucher klarer geworden, warum der heutige Dior-Designer Galliano ausgerechnet punkhafte Zitate mit barocken Prachtgewändern kreuzt.

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