Geschichtsschreibung: Friedensschulung mit Hindernissen

Israel ändert seine Geschichtsbücher - nun fließt auch die palästinensische Deutung des 1948er Krieges ein. Der Likud-Block findet das "absurd".

In Geschichtsbüchern ist von einer Vertreibung der Palästinensern die Rede? Absurd, findet Likud-Chef Netanjahu. Bild: dpa

Ein kleiner Unterschied in den israelischen Schulbüchern der arabisch- oder hebräisch-sprechenden Drittklässler erhitzt die zionistischen Gemüter. Konservative Politiker forderten bereits den Rücktritt von Erziehungsministerin Juli Tamir (Arbeitspartei), weil diese dafür gesorgt hatte, dass an staatlichen Schulen künftig auch die palästinensische Version des Krieges 1948 gelehrt werden wird. Dabei geht es um den Begriff "Nakba", zu deutsch Katastrophe, und um die Tatsache, dass im Anschluss an den israelischen Unabhängigkeitskrieg Palästinenser vertrieben wurden. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu (Likud) sprach von "der größten Absurdität, die ein Unterrichtsminister des Staates Israel je beging".

Die rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachende arabische Bevölkerung musste bislang mit der israelisch-zionistischen Geschichtsschreibung vorliebnehmen, in der es allein um den "Unabhängigkeitskrieg" und die Staatsgründung ging. Die Vertreibung und der Beginn der palästinensischen Flüchtlingskatastrophe, die von den "Neuen Historikern" erst 40 Jahre nach Staatsgründung überhaupt wahrgenommen wurde, kam in den Schulbüchern nicht vor. Erziehungsministerin Tamir hält es für angebracht, dass die arabische Geschichtsschreibung im israelischen Lehrplan berücksichtigt wird.

Die arabischen und hebräischen Fassungen des Lehrbuchs "Zusammenleben in Israel" sind bis auf wenige "kulturelle Anpassungen", so Dalia Fenig vom Erziehungsministerium, identisch. Ziel ist, dass "jeder über sich und den anderen lernt, aber in erster Linie über sich selbst."

Dabei würden Beispiele für den Lernstoff stärker das jeweilige Umfeld der Schüler berücksichtigen. "In den hebräischen Büchern tauchen öfter äthiopische Einwanderer auf und Kibutzim", erläutert Fenig, während in den arabischen Büchern öfter Beduinenfamilien erwähnt würden. Die Gründung des jüdischen Staates wird in den arabischen Büchern mit den Zusatz versehen: "Die Araber nennen den Krieg 'Nakba, den Krieg der Katastrophe, des Verlustes und der Demütigung, und die Juden nennen ihn Unabhängigkeitskrieg." Das Buch erwähnt zudem, dass die arabischen Führer den damaligen Teilungsplan der UNO abgelehnt haben.

Der Historiker Aviad Kleinberg von der Universität Tel Aviv versteht die Aufregung im rechten Lager nicht. Man könne "über den Begriff 'Nakba streiten", sagt Kleinberg. Dass die Palästinenser, wie es das Buch lehrt, den Krieg von 1948 so bezeichnen, "ist Tatsache". Genauso wie die Vertreibung selbst sowie "Akte von Massakern Tatsachen sind, die man den Kindern mitteilen muss", und die dementsprechend auch in die Schulbücher gehörten.

Kleinberg bezweifelt indes, dass schon Drittklässler mit "dieser komplexen Geschichte" konfrontiert werden sollten. Zudem würde er vorziehen, wenn sich die Palästinenser für eine andere Terminologie entscheiden könnten. Von einer "Katastrophe" zu sprechen, sei dem Frieden nicht förderlich. Unter den Palästinensern werde eine "negative Erinnerung" verbreitet, auch mit der Wahl des Datums, der Staatsgründung Israels, mit dem die Botschaft signalisiert werde: "Wenn ihr euch freut, haben wir Grund zur Trauer."

Manifestiert wird die anti-israelische Propaganda vor allem in den Schulbüchern der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die unverändert von dem "Unrecht" des Staates Israel ausgehen und den Märtyrertod verherrlichen. Nur im Jahr 2005 stellte das Institut C.M.I.P. (Center for Monitoring the Impact of Peace), das regelmäßig Untersuchungen der Schulbücher in der gesamten Region veröffentlicht, "überraschend positive Ansätze" fest, so Forschungsdirektor Arnon Groiss. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas habe nach dem Tod seines Vorgängers Jassir Arafat, "auch die jüdische Geschichte in die Bücher schreiben lassen". Außerdem seien israelische Landkarten abgedruckt worden, anhand derer politische Entwicklungen erklärt werden sollten. Nach dem Wahlsieg der Hamas sei die PA jedoch 2006 wieder zum alten Lehrstoff zurückgekehrt.

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