Bildung: Schleswig-Holstein ohne Hauptschulen

Haupt- und Realschulen werden künftig in Regionalschulen zusammengefasst. Doch die SPD freut sich vor allem über den Zuspruch für Gemeinschaftschulen.

"Nüchtern, nicht euphorisch": Schüler im Gymnasium Bild: dpa

Schulleiter Rolf Jacoby geht der neue Name noch schwer über die Lippen: "Gemeinschaftsschule Kellinghusen" heißt sein Haus jetzt. Eine Reihe von Häusern eigentlich: Mehrere Schulen schließen sich zusammen, um in dem kleinen Ort in Schleswig-Holstein ein breites Bildungsspektrum zu erhalten. Bis zur zehnten Klasse werden die Kinder gemeinsam lernen, eine gymnasiale Oberstufe ist möglich. Die Lokalpolitik verspricht sich Standortvorteile und investiert großzügig. Für die Schulen bedeutet die Umstrukturierung viel Arbeit: "Nüchtern, nicht euphorisch" sei er, sagt Jacoby.

Sieben Gemeinschaftsschulen nehmen mit Beginn des Schuljahres am 25. August ihre Arbeit auf. Sieben von über 1000 Schulen in Schleswig-Holstein - das klingt, ist aber eine Revolution.

Schleswig-Holstein hat die Hauptschule abgeschafft, aber das System bleibt dreigliedrig: Das Ergebnis eines Kompromisses, auf den sich die Koalitionspartner CDU und SPD nach hartem Ringen einigten.

Statt Gymnasium, Haupt-, Real- und Gesamtschule wird es ab 2010 nur noch Gymnasium, Regional- und Gemeinschaftsschule geben. Die Regionalschule ist das Kind der CDU. In ihr verschmelzen Haupt- und Realschulen, allerdings wird dort ab Klasse 7 in getrennten Kursen unterrichtet. Gemeinschaftsschulen sind das SPD-Modell. Sie ähneln Gesamtschulen, aber gehen darüber hinaus: Von der fünften bis zehnten Klasse sollen alle Kinder gemeinsam lernen. Eine gymnasiale Oberstufe kann angegliedert werden. Zwar soll es unterschiedliche Lerngruppen für einzelne Fächer geben, doch die Klasse bleibt erhalten, und die Kurse führen nicht zwangsläufig auf einen bestimmten Abschluss zu. Sitzenbleiben wird abgeschafft. Wie das genau aussieht, bestimmt jede Schule selbst. Zurzeit ist alles noch vage: "Wir müssen der Weiterentwicklung Zeit geben", heißt es auf der Homepage der Schule Schafflund, die in wenigen Tagen startet.

Trotz aller Unsicherheiten: Die Gemeinschaftsschulen entwickeln sich zum Erfolgsmodell. Zwar liegen bisher erst 13 Anträge für das Schuljahr 2008/2009 vor, aber der Sprecher des Bildungsministeriums, Sven Runde, geht davon aus, dass es deutlich mehr werden. Oft auf Drängen der Eltern: "Zahlreiche resolute Mütter" machte die Lokalzeitung bei einer Schulverbandssitzung in Albersdorf aus, die für das neue Modell votierten. Die Entscheidung trifft der jeweilige Schulträger, doch es gibt Bedingungen: Erst ab 300 Kindern ist eine Gemeinschaftsschule möglich, kleinere Standorte werden zu Regionalschulen.

"Wir puschen die Gemeinschaftsschule nicht", sagt Ministeriumssprecher Runde. "Im ländlichen Raum kann es wegen der Schülerzahlen oft nur eine Schule geben - beide Modelle haben ihre Berechtigung."

Auch wenn das Ministerium neutral den gemeinsamen Beschluss umsetzt, dürfte die SPD sich klammheimlich über den Erfolg freuen. Auch Ministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD): Sie hatte deutlich gemacht, dass sie von der Gemeinschaftsschule nicht abweichen würde.

Der Streit begann bereits im Wahlkampf: Die SPD setzte auf gemeinsames Lernen, die CDU mobilisierte gegen die "Einheitsschule". Die Wahl endete knapp, das Bündnis aus SPD, Grünen und Minderheitenpartei SSW scheiterte kurz darauf. Die Großen mussten sich zusammenraufen, einer der Knackpunkte war die Gemeinschaftsschule. Für die CDU blieb sie eine schmerzhaft große Kröte: Noch im Herbst 2006 wiederholten Landesvorstand und Fraktion ihr Nein. Erst als die Idee der Regionalschule geboren wurde, einigten sich beide Seiten.

Klar dagegen ist weiterhin die FDP: Die Gemeinschaftsschule werde "die Lernergebnisse negativ beeinflussen", sagt deren Bildungsexperte Ekkehard Klug. Die Folgen seien unabsehbar: "Experimente am lebenden Objekt." Ein Kritikpunkt lautet, dass es zu wenige Lehrkräfte gebe. Zwar will das Land 540 Millionen Euro, das entspricht 1.300 Stellen, von 2010 bis 2020 bereitstellen. Allerdings fließt das Geld nicht zusätzlich ins System: Es bleiben nur die Mittel erhalten, die sonst entzogen werden könnten - ab 2011 sinken die Schülerzahlen dramatisch.

Denn das eigentliche Problem in Schleswig-Holstein heißt nicht etwa Pisa: Vielen Orten gehen schlicht die Kinder aus, ohne Zusammenschlüsse müssten Schulen dicht machen.

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