Fußball : Historisches Endspiel

Viktoria Berlin ist 1894 kampflos deutscher Fußballmeister geworden. Das ausgefallene Finale gegen Hanau 93 wird nun nachgeholt.

Der erste deutsche Fußballmeister: das Team von Viktoria Berlin. Bild: PR

HANAU taz Noch ist es ruhig im Herbert-Dröse-Stadion in Hanau. Auf den Stehplätzen hinter den Toren liegt eine Vertikutier-Maschine, ein Teil des eingewachsenen Grünzeugs ist schon entfernt worden, es wurde geharkt. Der 1. FC Hanau 1893 bereitet sich und sein veraltetes Stadion auf nichts Geringeres als die Austragung der Deutschen Fußballmeisterschaft vor. Gegner ist weder Bayern München noch Schalke 04 oder der amtierende Meister VfB Stuttgart. Gegner ist BFC Viktoria 1889 Berlin, und es geht um den Titel von 1894.

Die erste Deutsche Fußball-Meisterschaft wurde 1894 nicht auf dem Platz entschieden. Der Grund: Hanau hatte damals kein Geld, um die Reisekosten in die Hauptstadt zu bezahlen, und konnte nicht antreten. Viktoria Berlin wurde der Titel zugesprochen, und der drittälteste Fußball-Verein Deutschlands steht seitdem in den Geschichtsbüchern als erster Titelträger verzeichnet. Jetzt, 113 Jahre später, wurden Mittel und Wege gefunden, in zwei Spielen den "moralischen Sieger" auszuspielen. "Wir wollen Viktoria nicht den Titel wegnehmen, aber für Hanau 93 ist es das wichtigste Spiel des letzten Vierteljahrhunderts", sagt der Hanauer Vereinspräsident Thomas Tamberg.

Es geht längst nicht mehr nur um die Deutsche Meisterschaft. Der Verein, der vergangene Saison den Aufstieg in die Bezirksoberliga knapp verpasst hat, soll wieder an Bedeutung gewinnen. Zunächst in Hanau, dann in Hessen und schließlich in Fußball-Deutschland. Thomas Tamberg hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, seit er vor eineinhalb Jahren in seine Heimatstadt Hanau zurückgekehrt ist und den Chefposten seines alten Clubs übernahm. Insgesamt zehn Jahre spielte Hanau 93 in der zweiten Bundesliga, letztmals in der Saison 1978/79. Eine erste Gelegenheit, den Bekanntheitsgrad des Vereins zu steigern, sieht Tamberg nun in der Durchführung des historischen Endspiels.

Vor gut einem Jahr ergriff Tamberg die Initiative und rief in Berlin an, um sich des Interesses von Viktoria 89 zu vergewissern. Die hatten sogar vor einigen Jahren schon mal in Hanau angefragt, ob man nicht das Endspiel austragen wolle, damals sagte Hanau ab. Es war für den Verein immer noch untragbar, die Reisekosten zu bezahlen. Das ist es heute auch noch, sagt Tamberg, doch es wurden Sponsoren gefunden, die neben der Reise auch ein "großes Familienfest" organisieren, wenn das Spiel am Sonnabend um 17 Uhr im Herbert-Dröse-Stadion angepfiffen wird. Um dem Spektakel noch einen offiziellen Rahmen zu geben, hat sich DFB-Präsident Theo Zwanziger bereit erklärt, die Schirmherrschaft zu übernehmen, und sein Kommen angekündigt.

Sportlich ist es ein ungleiches Duell. Viktoria spielt in der Verbandsliga, zwei Klassen höher als die Hanauer. Doch die sind trotzdem optimistisch, dass sie am Ende den Titel feiern dürfen. Trainer Uwe Neuendorf hat sich sogar vierzig Minuten Videomaterial des Gegners besorgt. "Die sind sehr abwehrstark und sehr robust", analysiert er, "aber wir haben viele wendige, schnelle Spieler und deshalb vielleicht einen Vorteil."

Neuendorf musste sechs neue Spieler integrieren, die er nicht nur aufgrund des Endspiels geholt hat. Dennoch sieht auch der Trainer das "vergessene Finale" als Chance. "Das Interesse wird groß sein. Es ist wichtig, dass wir nicht enttäuschen und ein gutes Spiel abliefern. Vielleicht können wir so den ein oder anderen Sponsor gewinnen." Der Imagegewinn steht also für den Verein im Vordergrund, die Spieler freuen sich auch auf eine einmalige Chance und eine große Party.

Jens Friedrich ist einer der sechs Neuzugänge. Der 21-Jährige meint, dass Hanau aufgrund der Geschlossenheit und des Teamgeistes das Endspiel für sich entscheiden wird. Das Team befindet sich mitten in der Vorbereitung und die Fokussierung liege eindeutig auf dem Aufstieg nächstes Jahr. "Trotzdem hat das Endspiel für uns einen sehr hohen Wert. Wenn wir gewinnen, sind wir schließlich Deutscher Meister von 1894. Natürlich mit einem Augenzwinkern, aber wir freuen uns auf das Spiel und die Feier in Berlin."

Auch Friedrich hat bemerkt, dass sich bei Hanau 94 was bewegt: "Ich war überrascht über den Ansporn der Vereinsführung und die gute Organisation. Es fehlt an nichts, und wir Spieler können uns auf den Fußball konzentrieren. So glaube ich daran, dass wir zwei bis drei Klassen aufsteigen können."

Im Windschatten des "Jahrhundert-Finals" rüstet Hanau also auf. Das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft von 1894 wird für den 1. FC Hanau 1893 zu einem wegweisenden Spiel im Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit. Läuft alles nach Plan, könnten die Visionen von Thomas Tamberg Wirklichkeit werden. Geht es daneben, wird mit den Jahren das Grünzeug wieder wachsen auf der Hintertortribüne im Herbert-Dröse-Stadion. Denn dann wird Hanau 93 weiterhin auf dem kleinen Platz im Wald vor 150 Zuschauern gegen die SpVgg Roßdorf oder Eintracht Oberrodenbach antreten. Als Deutscher Vizemeister von 1894.

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