Spitzensport: Feige Dopingbekämpfer

Der Forscher Donati kritisiert die "komplizenhafte Verbindung" zwischen Staat und Sport. Im Grunde müsse man Spitzensport abschaffen.

"Doping macht aggressiv", sagt Donati. Leichtathlethin Marion Jones, stets unter Verdacht Bild: reuters

BERLIN taz Ein kleiner Italiener enterte am Mittwoch den Sitzungssaal 4.800 im Paul-Löbe-Haus des Bundestages, einem Protzbau aus Beton und Glas. Sandro Donati durfte am Mittwoch vor Sportpolitikern und Sportjournalisten sprechen. Der 60-jährige Donati ist ein Experte in Fragen des Dopings. Abgesehen von dem Heidelberger Molekularbiologen und Anti-Doping-Kämpfer Werner Franke hat Donati wie kaum ein anderer Wissenschaftler in Europa Aufklärung betrieben. Seine Berichte über die Verseuchung der Leistungssportszene und mafiöse Netzwerke sorgten für Aufsehen.

Auch sein Auftritt in Berlin konnte sich sehen lassen, las er den Politikern doch ordentlich die Leviten. Deutschland sei mitnichten ein Vorreiter, es gebe Defizite, vor allem in der Bekämpfung des illegalen Vertriebs von Dopingmitteln im Internet, sagte Donati und blickte keck mit seinen Knopfaugen in die Runde. "Jedes Land denkt, fortschrittlich und avantgardistisch in der Dopingbekämpfung zu sein, aber in Wirklichkeit treten die meisten Länder auf der Stelle." Es war klar, dass Donati Deutschland auch zu den Aufschneidern zählt. Noch immer gibt es hierzulande kein Antidopinggesetz. Und mit der finanziellen Unterstützung ist es im Land der großen Koalition und der Großkonzerne auch nicht weit her. Gibt der italienische Staat acht Millionen Euro zur Dopingbekämpfung und -prävention aus, so sind es in Deutschland weniger als zwei Millionen. "In Deutschland hat der Kampf gegen Doping spät begonnen, er muss jetzt an Tempo gewinnen", forderte Donati. Und entlarvte die deutschen Funktionäre und Politiker, die sich gern als Dopingbekämpfer erster Güte gerieren, als Parvenüs.

Der Italiener wurde noch deutlicher. "Das Dopingkontrollsystem ist tot", sagte er. Jede Regierung müsse außerdem überlegen, ob sie in Zukunft weiterhin den Spitzensport fördern will. "Ich verstehe, wenn sich Diktaturen bei Olympischen Spielen mit Medaillen schmücken wollen, aber Demokratien sollten das nicht nötig haben", sagte der römische Sportwissenschaftler, früher selbst in der Leichtathletikszene aktiv. Die "komplizenhafte Verbindung zwischen Staat und Sportsystem" müsse ein Ende haben, so Donati. Es ging ihm letztlich darum, zu erläutern, dass der Spitzensport per se nicht dopingfrei sein kann, dass er alles andere als gesund ist, dass er eine Anleitung zum Betrug der Massen ist, dass der Leistungssport den illegalen Handel mit Anabolika, Wachstumshormonen, mit Testosteron und Epo begünstigt, dass er Kinder durch stupide Abrichtung und Drill missbraucht, kurzum: dass der Spitzensport, so wie er derzeit praktiziert wird, abgeschafft gehört.

Die Politiker lauschten den Ausführungen gelassen und ohne größeren Widerspruch, während Donati, der rigorose Charmeur, davon sprach, dass der Sport nur als "Erziehungsmodell" überleben dürfe. Im Kreise der verstummten Volksvertreter plädierte Donati also nicht weniger als für die Abschaffung des Leistungssports in westlichen Demokratien und für eine Umverteilung des Geldes. Das hatte in seiner Radikalität durchaus revolutionäres Format. Er weiß natürlich, dass dies ein schöner Traum bleiben wird, denn die Regierungen in Paris, London, Rom oder sonst wo auf dem Globus werden wohl kaum darauf verzichten, an "der großen Show" des Spitzensports teilzunehmen - ebenso gut könnte Donati die Abschaffung der Erdrotation fordern.

Warum er trotzdem als Experte anerkannt ist? Weil er über detaillierte Landkarten im Dopingsumpf verfügt. Donati war es, der vorgerechnet hat, wie Pharmakonzerne am Doping verdienen. Das Blutdopingmittel Erythropoietin (Epo), eigentlich gedacht für Nierenkranke, wird weltweit im Wert von 11,8 Milliarden Dollar produziert, beispielsweise von der Firma Amgen, die auch einmal die Kalifornien-Rundfahrt für Radprofis gesponsert hat. Amgen und Co. müssten aber nur Epo im Wert von 1,5 Milliarden Dollar jährlich produzieren, mehr Patienten gibt es nicht. Es wird trotzdem fast siebenmal mehr Epo produziert als nötig - die illegalen Giftküchen in Russland, China, Thailand, Australien und Indien noch gar nicht eingerechnet. Was passiert mit dem Rest? Landet es bei korrupten Sportärzten, in Sportstudios, bei Physiotherapeuten und Möchtegern-Ironmen?

Ähnlich sieht es bei den Produktionsmengen von Wachstumshormonen und Testosteron aus. Es werden fast fünfmal mehr Wachstumshormone hergestellt, als der reine Medizinmarkt benötigt. Eine weitere Statistik zeigt, dass Epo auf Platz zwei und Wachstumshormone auf Platz zwölf des Arzneikonsums weltweit rangieren, dabei sind Wachstumshormone im ärztlichen Bedarf nur Nummer 150. Italiens staatliches Komitee für Arzneimittel hat wegen dieser Zahlen empfohlen, dass Epo nicht mehr für Befunde wie Blutarmut verschrieben werden soll - Anämie scheint der beliebteste offizielle Diagnosegrund für einschlägige Epo-Gaben zu sein.

Der graue und schwarze Markt für Pharmaprodukte dieser Art ist demnach riesengroß. Da kann es schon mal passieren, dass 1999 in Nikosia auf Zypern 4.650.000 (!) Epo-Ampullen aus dem Lager einer Pharmafirma verschwinden. Man muss wissen, dass Epo ungekühlt leicht verderblich ist. Sind die Diebe mit einem Kühlfrachter vorgefahren und haben das Beutegut verschifft? Der Fall ist bis heute nicht geklärt.

Geklärt ist für Donati indes, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) jahrelang weggeschaut hat und Dopingärzte wie den Italiener Francesco Conconi unterstützt hat. "Das IOC hat immer nur die Sportler bestraft, aber nicht die wahren Verantwortlichen", sagte Donati und geißelte diese Haltung als "feige. "Nur so konnte sich das Phänomen des Dopings in der Gesellschaft verankern." Die Verankerung ist so tief und fest, dass sie noch lange halten wird, auch wenn Sandro Donati, der kleine Italiener, an der Kette rüttelt und rüttelt.

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