Cristopher Street Day: Keine Frage des Lifestyles

Partyseligkeit war gestern: Der Berliner CSD unter dem Motto "Vielfalt sucht Arbeit" war politischer - man hat begriffen, dass die Gleichberechtigung noch nicht erreicht ist.

Frei wie nie - oder frei für einen Tag? Bild: dpa

Es mag an einem Medium wie der Zeit gelegen haben, in deren jüngster Ausgabe auf der Titelseite zwei Männer abgebildet sind, neben ihren Köpfen die Zeile: "Frei wie nie! Und doch schlägt den Schwulen in Deutschland neuer Hass entgegen". Hass? Ist das nicht ein etwas schroffes Wort zur Charakterisierung der gesellschaftlichen Lage einer Minderheit, die wie keine sonst im modernen Europa Erfolge feiern durfte? Sollte nicht eher zu sagen gelten, dass seit den Sechzigern (sexuelle Revolution usw.) über die Aidskrise der Achtziger bis hin zur Homoehe Ende der Neunziger alles erreicht wurde, um die Wünsche nach harten Strafen gegen Homosexuelle durch die heterosexuelle Majorität wenigstens unsagbar zu machen?

Der Berliner CSD hingegen, am Sonnabend überwiegend im Westteil der Stadt paradierend, den Osten ebenso meidend wie jene Viertel, die muslimisch grundiert sind, ließ etwas von dem vernehmen, was die bürgerlich-liberalen Milieus dieses Landes so stoßseufzen, glaubt es sich allein und frei von Schnickschnack neoliberaler Lebensformen wie den homosexuellen: Man hat es satt, Schwules als schick und schrill dargestellt zu bekommen - lieber scheint man auf familiäres Biedermeier im Stile der Konservativen umcodiert werden zu wollen. RednerInnen wie Justizministerin Brigitte Zypries, Claudia Roth, der Liberale Michael Kauch und die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner von der Linken betonten fast unisono, wie prekär die Lage Homosexueller im Lande noch sei. Und das Publikum, von der Siegessäule bis zum Brandenburger Tor, hörte zu - es applaudierte, es schien momentweise ernsthaft das zu überlegen, was man sich in aller Partyseligkeit der vergangenen Jahre gern in die Tasche log: dass der Kampf gegen Diskriminierung von Homosexualität allenthalben vorbei ist, dass der hübsche Schein trügt.

Das Dossier der Zeit bilanziert ja zutreffend, was selbst alternative Gemüter nicht zur Kenntnis nehmen möchten: Gleiche Rechte für Homosexuelle gibt es noch lange nicht. Die meisten letztinstanzlichen Gerichte der Bundesrepublik haben in jüngster Zeit Urteile gesprochen, die Heterosexuellem ein grundsätzliches Privileg zusprechen. Keineswegs sind Schwule und Lesben zu selbstverständlichen BürgerInnen dieses Landes geworden - als Comedians taugen sie, als offen Homosexuelle, die wenig Sinn für Komisches haben, bleiben sie rollenlos.

Untersuchungen zur Lage Homosexueller am Arbeitsplatz wie jüngst von Dominic Frohn aus Köln wie auch die Umfrage von Maneo, dem schwulen Antigewaltprojekt in Berlin, belegen: Mehr als zwei Drittel aller jeweils Befragten klagen über Herabsetzungen im Alltag, über Gewalt (10 Prozent sogar am Arbeitsplatz), sobald sie als Schwule kenntlich werden. Die Befragten betonten, dass sich ein Coming-out für ihr Leben stets gut auswirkte - ein Going-Public aber, ein nicht besonders prononciertes, aber auch kein verschwiegenes Leben als Homosexueller unkalkulierbare Risiken birgt. Bis hin zur Nichteinstellung, zum Mobbing oder zur Kündigung aus dubiosen Gründen. Schamhaftes Schweigen lohnt also immer noch - und das ist der eigentliche Skandal, allen CSD-Paraden zum Trotz.

Die Bundestagsdebatte vorige Woche bot ohnedies Trostloses. Sowohl die FDP wie die Grünen und die Linke suchten mit unterschiedlichen Anträgen den Ansprüchen Homosexueller auf ein freies, nicht im Verhältnis zu Heterosexuellen herabgesetztes Leben Geltung zu verschaffen. Sowohl die Union wie die Sozialdemokraten ließen sich nicht nur nicht erweichen: Sie stellten sich quasi kalt all diesen Wünschen gegenüber. Tenor der großen Koalition: Reden wir mal drüber, aber bitte sehr viel später, es gibt Wichtigeres! Ein Killerargument, das bis vor einem Jahr auch noch alle Frauen (und Männer) zu hören bekamen, die keine Hausfrauen (und "Alleinernährer") sein wollten und Krippenplätze für ihre Kinder forderten.

CDU ist also, wenn "liberaler geworden" auf der Packung steht und doch der traditionelle Plunder drinsteckt. SPD hingegen ist, wenn vieles vergessen wird, was in der Regierung Schröders (in gewisser Hinsicht auch dank der Grünen) noch satisfaktionsfähig war. Schwul oder lesbisch zu leben ist keine Frage des Lifestyles, sondern eine gleicher Rechte. Wer je CSDs als Komasauferei plus Sex assoziierte, wollte mit Politischem nicht konfrontiert werden. Die Zeiten werden sich seitens Homosexueller ändern. Sollen die Verhältnisse bloß nicht polnisch werden, wie der unausgesprochene Commonsense beim Berliner CSD lautete: "Frei wie nie!"? Prekäre Lebensverhältnisse - nichts anderes.

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